Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung - Grundsatz der Individualablehnung; AdV - Verfassungsmäßigkeit der Kleinunternehmerregelung
Leitsatz (NV)
- Ein Befangenheitsantrag ist rechtsmißbräuchlich, wenn der gegen sämtliche Richter eines Gerichts geltend gemachte Ablehnungsgrund derart allgemeiner Natur ist, daß er seine Besonderheit und Eigenart für den einzelnen Richter verloren hat und nicht mehr individuell begrenzbar ist.
- Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, die Nichterhebung der Steuer außer für Kleinunternehmer i.S.d. § 19 UStG auch für weitere Unternehmer anzuordnen, deren Gewinn den existenznotwendigen Bedarf nicht deckt.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 44; UStG 1993 § 19
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat einen ...betrieb, in dem er allein arbeitet. Im Jahre 1994 betrug sein Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer 25 858 DM.
Wegen Nichtabgabe der Voranmeldungen für die Monate November und Dezember 1995 setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Steuer für die genannten Voranmeldungszeiträume im Wege der Schätzung auf 425 DM und 905 DM fest (Vorauszahlungsbescheide vom 23. Februar 1996). Der Antragsteller reichte daraufhin die Voranmeldungen nach; er errechnete für November 1995 einen Vorsteuer-Überschuß von 22,20 DM und für Dezember 1995 eine Umsatzsteuer von 1 378 DM. Gleichzeitig beantragte er mit Schriftsatz vom 15. März 1996, "die noch für 1995 verbleibenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbeträge auf 0 DM herabzusetzen". Zur Begründung seines Antrags machte er Verfassungswidrigkeit der "Kleinunternehmerregelung" in § 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) geltend. Das FA sah hierin einen Einspruch gegen die Vorauszahlungsbescheide vom 23. Februar 1996, den es als unbegründet zurückwies.
Die hiergegen gerichtete Klage ist beim Finanzgericht (FG) unter dem Aktenzeichen ... anhängig. Während des Klageverfahrens hat der Kläger die Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 1995 abgegeben; das FA hat der Erklärung zugestimmt (Bescheid vom 3. April 1998). Der Kläger hat die Jahresveranlagung gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht (Schriftsatz an das FG vom 25. April 1998).
Gleichzeitig mit der Klageerhebung hat der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide beim FG beantragt.
Das FG teilte die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers gegen die Vorschrift des § 19 UStG 1993 nicht und wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab (Beschluß vom 19. März 1997).
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die das FG zugelassen hat. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein bisheriges Begehren weiter.
Nachdem der erkennende Senat den verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers gegen die Vorschrift des § 19 UStG 1993 im Verfahren V B 52/97 (wegen Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuervorauszahlungen für das 1. und 2. Quartal 1996) nicht gefolgt war (Beschluß vom 11. Dezember 1997 V B 52/97, BFH/NV 1998, 751) und auch den Antrag auf Nichterhebung der Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung zurückgewiesen hatte (Beschluß vom 3. August 1998 V E 2/98, BFH/NV 1999, 72), lehnte der Antragsteller die Richter, die an diesen Entscheidungen mitgewirkt hatten, wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde in seiner nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung. Denn die Ablehnungsgesuche des Antragstellers sind mißbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig. Deshalb ist auch eine dienstliche Äußerung der beteiligten Richter gemäß § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung nicht erforderlich. Aus dem gleichen Grunde kann der Senat über die Ablehnungsgesuche auch zugleich mit der Beschwerdeentscheidung befinden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. April 1988 I R 284/82, BFH/NV 1989, 395).
Ein Befangenheitsantrag ist rechtsmißbräuchlich, wenn der gegen sämtliche Richter eines Gerichts geltend gemachte Ablehnungsgrund derart allgemeiner Natur ist, daß er seine Besonderheit und Eigenart für den einzelnen Richter verloren hat und nicht mehr individuell begrenzbar ist. Behauptete Rechtsfehler, die in einem früheren Verfahren unterlaufen sein sollen, sind kein Befangenheitsgrund, es sei denn, daß ganz besondere Umstände dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung der Richter gegenüber der ablehnenden Partei beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653, und vom 30. September 1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348).
Der Antragsteller begründet das Ablehnungsgesuch in der Sache damit, daß der Senat mit dem Beschluß in BFH/NV 1998, 751 ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 19 UStG 1993 verneint hatte und hierin auch im Beschluß in BFH/NV 1999, 72 keine unrichtige Sachbehandlung erkennen konnte. Hieraus kann aber nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung nicht auf die Voreingenommenheit der mitwirkenden Richter geschlossen werden.
2. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes soll auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 69 Abs. 2 und 3 FGO).
Nachdem die ursprünglich angefochtenen Vorauszahlungsbescheide durch die Jahresveranlagung ersetzt worden sind und letztere Gegenstand des Klageverfahrens vor dem FG geworden ist, hat der Senat nur noch zu entscheiden, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Jahresveranlagung bestehen.
3. Solche Zweifel bestehen nicht.
Die Umsatzsteuererklärung des Antragstellers für das Kalenderjahr 1995 gilt als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 Satz 1 der Abgabenordnung --AO 1977--). Es ist unbestritten und unzweifelhaft, daß sie dem Gesetz entspricht. Der Antragsteller war kein Kleinunternehmer i.S. des § 19 UStG 1993, da er die Umsatzgrenzen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1993 a.F. überschritten hatte.
Der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, die Nichterhebung der Steuer für weitere Unternehmer anzuordnen, deren Gewinn den existenznotwendigen Bedarf nicht deckt. Die Umsatzsteuer ist nicht personen-, sondern umsatzbezogen und berücksichtigt die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 1997 1 BvR 201/97, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1997, 328; vgl. dazu auch noch BFH-Beschluß vom 15. September 1998 V B 39/98, BFH/NV 1999, 226). Soweit die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig ist, kann dies im Rahmen des § 227 AO 1977 berücksichtigt werden. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Umsatzsteuerbescheides können hieraus jedoch nicht hergeleitet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 422589 |
BFH/NV 2000, 244 |