Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutz gegen Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung
Leitsatz (NV)
1. Eine bloße Erinnerung an eine anderweitig bereits begründete Erklärungspflicht ist kein Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage gegeben ist.
2. Die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung i. S. des §149 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ist nicht ermessensfehlerhaft und deshalb rechtmäßig, wenn die Möglichkeit besteht, daß der Aufgeforderte steuerpflichtig ist (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1974 I R 161/73, BFHE 115, 93, BStBl II 1975, 464).
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 149 Abs. 1 S. 2; FGO § 40 Abs. 1, § 102
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) -- eine AG mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz (sog. Domizilgesellschaft) -- erwarb im Mai 1992 für insgesamt rd. 16 Mio. DM drei inländische Mietwohngrundstücke, die sie mit notariellem Vertrag vom ... Juli 1992 unverändert für rd. 20 Mio. DM wieder veräußerte. Sie ging keiner anderen Tätigkeit nach und hatte im Inland weder eine Betriebsstätte noch einen ständigen Vertreter.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) vertrat die Ansicht, die Klägerin sei mit inländischen Einkünften i. S. des §49 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Hierüber streiten die Beteiligten in den noch anhängigen Einspruchsverfahren gegen den Vorauszahlungsbescheid vom 22. Januar 1993 und den Körperschaftsteuerbescheid vom 6. Juni 1994, den das FA wegen Nichtabgabe der Steuererklärung auf geschätzte Besteuerungsgrundlagen stützte.
Mit Schreiben vom 9. August 1994 erinnerte das FA die Klägerin an die Abgabe der Körperschaftsteuererklärung 1992. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte ebenso wie die Klage keinen Erfolg (s. Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1119).
Mit der vom Finanzgericht (FG) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des §49 EStG und beantragt, das angefochtene Urteil, den Bescheid des FA vom 9. August 1994 und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 20. Juni 1995 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Klage ist zulässig.
Das Schreiben des FA vom 9. August 1994 ist zwar kein Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage (§40 Abs. 1 FGO) gegeben ist. Das FA hat die Erinnerung darauf gestützt, daß die Klägerin einer Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung vom 20. Februar 1994 nicht nachgekommen sei. Daraus folgt, daß das Schreiben selbst nicht als Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung i. S. des §149 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977), sondern als bloße Erinnerung an die durch die vorangegangene Aufforderung bereits begründete Erklärungspflicht zu werten ist. Eine solche Erinnerung enthält keine rechtliche Regelung i. S. des §118 AO 1977 (zur Erinnerung an die gesetzliche Erklärungspflicht vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §149 AO 1977 Rz. 17).
Die Klage ist gleichwohl zulässig. Die Klageschrift ist dahin auszulegen, daß Klage gegen die in dem erwähnten Schreiben bezeichnete Aufforderung vom 20. Februar 1994 erhoben werden sollte. Entsprechendes gilt für die Auslegung der Beschwerdeschrift und des Revisionsantrages.
2. Die Klage ist unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob die angefochtene Verfügung vom 20. Februar 1994 bestandskräftig ist. Die Verfügung ist jedenfalls deshalb rechtmäßig, weil sie nicht ermessensfehlerhaft ist.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung eine Ermessensentscheidung, die gemäß §102 FGO nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (z. B. Urteil vom 18. Dezember 1974 I R 161/73, BFHE 115, 93, BStBl II 1975, 464). Eine Ermessensverletzung liegt vor, wenn das FA eine Steuer erklärung verlangt, obwohl klar und einwandfrei feststeht, daß eine Steuerpflicht nicht gegeben ist (BFH-Urteile vom 10. Oktober 1951 IV 216/51 S, BFHE 55, 513, BStBl III 1951, 209; vom 11. Juni 1958 II 56/57 U, BFHE 67, 178, BStBl III 1958, 339; in BFHE 115, 93, BStBl II 1975, 464). Besteht die Möglichkeit, daß der Aufgeforderte steuerpflichtig ist, ist die Aufforderung selbst dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Auffassungen der Beteiligten über das Bestehen einer Steuerpflicht auseinandergehen (BFH-Urteile in BFHE 55, 513, BStBl III 1951, 209; vom 5. Dezember 1963 IV 375/60 U, BFHE 78, 379, BStBl III 1964, 146; in BFHE 115, 93, BStBl II 1975, 464). Die Klärung dieser Zweifel kann nur im Veranlagungs- und ggf. im nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren herbeigeführt werden. Nichts anderes gilt, wenn ein solches Rechtsbehelfsverfahren bereits anhängig ist.
Dies bedeutet, daß im vorliegenden Verfahren noch nicht abschließend über die Steuerpflicht der Klägerin zu entscheiden ist. Ebenso kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin aufgrund gesetzlicher Vorschriften zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet ist (BFH-Beschluß vom 24. Januar 1990 I B 58/89, BFH/NV 1990, 488 unter 4., m. w. N.).
b) Im Fall der Klägerin besteht die Möglichkeit, daß sie mit inländischen Einkünften aus Spekulationsgeschäften körperschaft steuerpflichtig ist (§§2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes i. V. m. §49 Abs. 1 Nr. 8 EStG). Nach §49 Abs. 1 Nr. 8 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung unterliegen sonstige Einkünfte i. S. des §22 Nr. 2 EStG, soweit es sich um Spekulationsgeschäfte mit inländischen Grundstücken handelt, der beschränkten Steuerpflicht. Die Annahme von sonstigen Einkünften aus solchen Spekulationsgeschäften ist im Streitfall jedenfalls möglich (§22 Nr. 2 i. V. m. §23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG).
Fundstellen