Leitsatz (amtlich)
FG und BFH sind an die dem Urteil des BFH im ersten Rechtsgang zugrunde liegende rechtliche Beurteilung auch dann gebunden, wenn die Auslegung von Gemeinschaftsrecht in Frage steht. Die Bindung entfällt, wenn sich inzwischen die Rechtsprechung des BFH geändert hat.
Normenkette
FGO § 126 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ am 26. September und 1. November 1972 Rum aus Guadeloupe zum zollrechtlich freien Verkehr und zur weiteren Versendung auf Branntweinbegleitschein abfertigen. Entsprechend dem Weingeistgehalt des Rums erhob ein dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA -) unterstehendes Zollamt durch Bescheide vom 27. September und 3. November 1972 jeweils die Monopolausgleichspitze. Der nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) Hamburg durch Urteil vom 15. Februar 1977 statt. Der erkennende Senat hob die Entscheidung mit Urteil vom 16. Juli 1980 VII R 24/77 (BFHE 131, 158, BStBl II 1980, 632) auf und verwies die Sache an das FG zurück. Im zweiten Rechtsgang gab das FG der Klage wiederum statt (Urteil vom 23. Juli 1982 IV 173/80 H, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 72).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zwar die Tragweite seiner Bindung an das zurückverweisende Urteil des erkennenden Senats verkannt (§ 126 Abs. 5 FGO) und Art. 95 EWGV teilweise unrichtig ausgelegt. Sein Urteil ist im Ergebnis dennoch zu bestätigen (§ 126 Abs. 4 FGO).
1. Das FG hat im zweiten Rechtsgang seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH in der zurückverweisenden Entscheidung zugrunde zu legen (§ 126 Abs. 5 FGO). Diese Bindungsregelung ist ein allgemeiner Grundsatz des deutschen Verfahrensrechts (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG - vom 1. Juli 1954 1 BvR 361/52, BVerfGE 4, 1, 5; BFH-Urteil vom 28. Oktober 1975 VIII R 103/72, BFHE 117, 415, BStBl II 1976, 216). Das FG hat sie nicht beachtet.
Der erkennende Senat hat sich in seinem Urteil im ersten Rechtsgang (BFHE 131, 158, BStBl II 1980, 632) zur Frage der rechtlichen Bedeutung der Produktionsumstände des eingeführten Rums geäußert. Er hat diese Entscheidung auf die bis dahin ergangene Rechtsprechung des EuGH gestützt, die er in bestimmter Weise auslegte. Diese Auslegung hielt das FG für unrichtig. Es folgte seiner eigenen Auslegung. Damit hat das FG seiner Entscheidung gerade nicht die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde gelegt.
Der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts führt nicht zu einer Durchbrechung des § 126 Abs. 5 FGO. Die Anwendung jenes Grundsatzes stand und steht hier nicht in Frage. Deswegen geht auch der Hinweis des FG auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. Januar 1974 8/2 RU 226/72 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1974, 1063) fehl; dort handelte es sich nicht um unterschiedliche Interpretationen der Rechtsprechung des EuGH durch verschiedene Spruchkörper. Im vorliegenden Fall ist über den Inhalt des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden. Das hatte der erkennende Senat im ersten Rechtsgang getan. Das FG durfte daher nicht seiner eigenen - abweichenden - Auffassung vom Inhalt des Gemeinschaftsrechts den Vorzug geben. Dabei kam es für das FG nicht darauf an, ob es die Auffassung des erkennenden Senats für richtig hielt. Es wäre nach § 126 Abs. 5 FGO an dessen Entscheidung auch dann gebunden gewesen, wenn es Gründe gehabt hätte, sie für unzutreffend zu halten (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 126 Anm. 10 B, mit Hinweisen auf das Schrifttum). Es ist daher ohne Bedeutung, daß der EuGH inzwischen die Richtigkeit der Auffassung des Senats bestätigt hat (Urteil vom 26. April 1983 Rs. 38/82, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1983, 386, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1983, 170).
Auch Gründe der Prozeßwirtschaftlichkeit ermächtigten das FG nicht zu einer Verletzung des § 126 Abs. 5 FGO. Das FG begründete seine entgegenstehende Auffassung zu Unrecht mit dem Hinweis, es hätte selbst eine Vorabentscheidung des EuGH einholen können. Es kann dahinstehen, ob das FG mit einem solchen Vorabentscheidungsersuchen gegen § 126 Abs. 5 FGO verstoßen hätte (zum Problem vgl. Gräber, a.a.O., Anm. 8, und Dumon, Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, herausgegeben vom EuGH, Luxemburg 1976, 162). Jedenfalls hat das FG den EuGH nicht erneut eingeschaltet.
2. Obwohl die Vorentscheidung danach rechtsfehlerhaft ist, ist gemäß § 126 Abs. 4 FGO ihre Aufhebung und die Zurückverweisung der Sache an das FG nicht erforderlich. Denn die Vorentscheidung erweist sich aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Zwar wäre der erkennende Senat an einer solchen Bestätigung der Vorentscheidung gehindert, wäre er selbst an seine im ersten Rechtsgang getroffene Entscheidung gebunden. Das ist jedoch nicht der Fall. Wohl ist das Revisionsgericht ebenso wie die Vorinstanz grundsätzlich an die Auffassung gebunden, die es in der zurückverweisenden Entscheidung im ersten Rechtsgang vertreten hat (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1968 V B 4/66, BFHE 91, 509, BStBl II 1968, 382). Eine solche Bindung entfällt aber ausnahmsweise, wenn sich die Rechtsprechung des zurückverweisenden Gerichts selbst inzwischen geändert hat (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 GmS-OGB 1/72, BFHE. 109, 206, 209). Das ist hier der Fall. Im Urteil vom 18. Oktober 1983 VII R 26/77 (BFHE 139, 461) ist der erkennende Senat von der rechtlichen Beurteilung abgegangen, die er im ersten Rechtsgang und das FG im ersten und zweiten Rechtsgang dem Begriff der Gleichartigkeit i. S. des Art. 95 Abs. 1 EWGV hat zukommen lassen. Er hat sich dabei auf das - erst während des zweiten Rechtsgangs erlassene - EuGH-Urteil vom 26. April 1983 (HFR 1983, 386, ZfZ 1983, 170) gestützt.
Fundstellen
BStBl II 1984, 317 |
BFHE 1984, 11 |