Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer auf nach Konkurseröffnung entstandene laufende Gewinne und Veräußerungsgewinne sind Massekosten
Leitsatz (NV)
1. Die vom Konkursverwalter durch laufende Gewinne und durch Veräußerungsgewinne realisierte Einkommensteuerschuld des Gemeinschuldners gehört zu den Massekosten und nicht zu den Konkursforderungen (Bestätigung der BFH-Urteile vom 7. November 1963 IV 210/62, BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70 und vom 29. März 1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602).
2. Die Einkommensteuerschuld ist in die konkursrechtlichen Forderungskategorien nach Maßgabe des Verhältnisses der Teileinkünfte aufzuteilen (ebenfalls Bestätigung des BFH-Urteils in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602).
3. Wird ein gegen den Konkursverwalter gerichteter Steuerbescheid, mit dem die Steuerschuld als Masseanspruch geltend gemacht wird, auf den Zeitraum nach der Konkurseröffnung beschränkt, so handelt es sich nicht um die (unzulässige) Besteuerung für einen im Gesetz nicht zugelassenen Besteuerungszeitraum, sondern um die (zulässige) Beschränkung des Steuerbescheides auf den Masseanspruch (Bestätigung der BFH-Urteile vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 1458, 346, BStBl II 1987, 226 und vom 16. Juli 1987 V R 2/81, BFHE 150, 215, BStBl II 1988, 190).
Normenkette
EStG § 36 Abs. 1; AO 1977 § 251 Abs. 2; KO § 3 Abs. 1, § 58 Nr. 2, § 59 Abs. 1 Nr. 1, § 117 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter. Der Gemeinschuldner betrieb bis zur Konkurseröffnung am 1. Juni 1984 ein ...unternehmen.
Auf der Grundlage der vom Kläger erklärten Besteuerungsmerkmale ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) für den Zeitraum von der Konkurseröffnung bis zum 31. Dezember 1984 einen laufenden Gewinn aus Gewerbebetrieb von ./. ... DM sowie einen zur Konkursmasse gelangten, gemäß §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigten Gewinn aus der Veräußerung von Anlagevermögen und Vorräten von ... DM. Außerdem hatte der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von ... DM und anzurechnende Kapitalertragsteuer von ... DM erklärt. Hiernach berechnete das FA die anteilig auf den Zeitraum nach Konkurseröffnung entfallende Einkommensteuer 1984 - vor Berücksichtigung der Kapitalertragsteuer - mit ... DM und setzte sie durch gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) zugunsten des Klägers geänderten Bescheid vom 30. Juni 1988 diesem gegenüber fest. Die anteilige Einkommensteuer 1984, soweit sie auf die vor Konkurseröffnung erzielten Einkünfte entfiel, meldete das FA zur Konkurstabelle an. Weitere anteilige Einkommensteuer 1984, die aus Veräußerungen im Interesse absonderungsberechtigter Gläubiger entstanden war, setzte es gegen den Gemeinschuldner fest. Als Maßstab zur Aufteilung der Einkommensteuer diente dem FA das Verhältnis der jeweiligen Teileinkünfte.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage des Klägers gegen den an ihn gerichteten Bescheid gab das Finanzgericht (FG) mit den in Finanz-Rundschau (FR) 1993, 305 wiedergegebenen Gründen statt. Das FG war der Auffassung, es fehle sowohl für die Aufteilung der Einkommensteuer auf einen vor- bzw. nachkonkurslichen Zeitraum als auch für den Erlaß eines Einkommensteuerbescheides gegen den Kläger als Konkursverwalter an der gesetzlichen Grundlage. Die Einkommensteuer gehöre auch nicht zu den Massekosten gemäß § 58 Nr. 2 der Konkursordnung (KO).
Während des finanzgerichtlichen Verfahrens hatte das FA den angefochtenen Bescheid wegen hier nicht streitiger Fragen geändert; der Kläger hat den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Steuerforderungen werden im Konkurs des Steuerpflichtigen (= Gemeinschuldners) nach Maßgabe der KO berücksichtigt. Waren sie bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet, werden sie als Konkursforderungen aus der Masse befriedigt (§ 3 Abs. 1 KO). Bei den später begründeten Steuerforderungen kann es sich um Masseansprüche handeln, die vorweg aus der Konkursmasse zu befriedigen sind (§ 57 KO). Es kann sich aber auch um Forderungen gegen das konkursfreie Vermögen handeln, die am Konkurs nicht teilnehmen (§ 6 KO).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestimmt sich nach diesen - konkurs- und nicht steuerrechtlichen - Maßgaben auch die Einkommensteuerschuld des Gemeinschuldners im Jahr der Konkurseröffnung (Urteile vom 7. November 1963 IV 210/62 S, BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70; vom 14. Februar 1978 VIII R 28/73, BFHE 124, 411, BStBl II 1978, 356; vom 29. März 1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602). Nicht entscheidend ist deshalb, daß die Einkommensteuerschuld - als einheitliche Steuerschuld - erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG). Nicht entscheidend ist auch, daß Steuerpflichtiger der Gemeinschuldner ist und bleibt. Ausschlaggebend ist vielmehr, wann, durch welche Vorgänge und in welchem Umfang die Steuerschuld im Laufe des Veranlagungszeitraums begründet wurde. Danach bestimmt sich, ob es sich um eine Konkursforderung, einen Masseanspruch oder eine konkursfreie Forderung handelt.
Diese Rechtsprechung des BFH geht zurück auf die seit dem Urteil vom 22. Juni 1938 VI 687/37 (RFHE 44, 162, RStBl 1938, 669) gewandelte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - RFH - (s. auch dessen Urteile vom 13. Juli 1938 I 89/38, RFHE 44, 249, RStBl 1938, 843; vom 25. Oktober 1938 I 138/38, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1938, II Nr. 695; vom 5. März 1940 I 44/40, RFHE 48, 241, RStBl 1940, 715; ferner vom 26. April 1939 VI 58/39, StuW 1939, II Nr. 320). Mit dieser Entscheidung hatte der RFH seine vorgängige ständige Rechtsprechung aufgegeben, wonach mit Eröffnung des Konkursverfahrens eine Trennung von Gemeinschuldner und Konkursmasse eintreten und zukünftig zwei Subjekte einkommensteuerpflichtig sein sollten (sog. Separationstheorie; vgl. dazu z.B. RFH-Entscheidung vom 17. Dezember 1930 VI A 820/29, RFHE 27, 335, RStBl 1931, 197; eingehend zur Rechtsprechungsentwicklung mit Nachweisen Flume in Festschrift des Bundesfinanzhofs Fünfzig Jahre Finanzgerichtsbarkeit, 1968, S. 92ff.).
Der erkennende Senat schließt sich der seither ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH an. Auf die vorgenannten Urteile wird deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
3. Im Urteilsfall bezieht sich die vom FA beim Kläger für das Streitjahr angeforderte Einkommensteuer auf von diesem erzielte Einkünfte aus Kapitalvermögen. Sie bezieht sich darüber hinaus auf Veräußerungsgewinne, die nach Konkurseröffnung aus der Verwertung der Konkursmasse entstanden sind. Sowohl die Kapitaleinkünfte als auch die Veräußerungsgewinne beeinflussen als steuerlich relevante Merkmale die Höhe des der Besteuerung zugrunde zu legenden Jahreseinkommens des Gemeinschuldners; sie sind erst nach Konkurseröffnung entstanden. Das FA ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, daß es sich bei der Einkommensteuerschuld insoweit um einen Masseanspruch handelt.
a) Zu den Masseansprüchen gehören als Massekosten insbesondere die Ausgaben für die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse (§ 58 Nr. 2 KO) sowie als Masseschulden die Ansprüche, welche aus Geschäften oder Handlungen des Konkursverwalters entstehen (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 KO). In der bisherigen Rechtsprechung wird davon ausgegangen, daß es sich bei der die Verwertung der Konkursmasse betreffenden Einkommensteuer um Massekosten handelt (RFH-Urteil in RFHE 44, 162, RStBl 1938, 669; BFH-Urteile in BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70; in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602 m.w.N.).
Der erkennende Senat hält hieran auch nach erneuter Überprüfung mit den in den zitierten Urteilen aufgeführten Gründen fest. Die Erwägungen des FG rechtfertigen keine Änderung der Rechtsprechung. Ihrer Beurteilung als Massekosten widerspricht vor allem nicht der Umstand, daß die Einkommensteuer eine Personen- und keine Objektsteuer ist (so aber vor allem Keuk, Steuerberater-Jahrbuch - StBJb - 1973/74, 349, 360ff.; ähnlich Classen, Betriebs-Berater - BB - 1985, 50; Onusseit, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1986, 77). Dieser Unterscheidung kommt allein steuerrechtliche Bedeutung zu. Für die hier maßgebliche konkursrechtliche Einordnung der Steuer, die auf Verwertungshandlungen des Konkursverwalters zurückgeht, ist sie ohne Belang (zutreffend Frotscher, Steuern im Konkurs, 3. Aufl., 1990, S. 115ff., 117).
b) Nach § 3 Abs. 1 KO sind Konkursforderungen die zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens begründeten Vermögensansprüche an den Gemeinschuldner. Vor der Konkurseröffnung begründet sind diese Ansprüche dann, wenn der Rechtsgrund für ihre Entstehung zu diesem Zeitpunkt bereits gelegt war (Kilger/Karsten Schmidt, Konkursordnung, 16. Aufl., § 3 Rdnr. 4; Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl., § 3 Anm. 31). Die Einkommensteuerschuld entsteht zwar gemäß § 36 Abs. 1 EStG am Ende des Veranlagungszeitraums. Sie wird aber i.S. von § 3 Abs. 1 KO regelmäßig dadurch begründet, daß im Laufe des Veranlagungszeitraums die einzelnen für die Höhe des Jahreseinkommens maßgebenden Besteuerungsmerkmale erfüllt werden. Für die konkursrechtliche Betrachtung ist danach grundsätzlich entscheidend, ob die Besteuerungsmerkmale vor oder nach Konkurseröffnung verwirklicht werden.
c) Dies hat zur Folge, daß auch jene Einkommensteuer, die auf Verwertungsmaßnahmen des Konkursverwalters i.S. des § 117 Abs. 1 KO entfällt, stets als nachkonkursliche Massekosten zu beurteilen ist. Die Besteuerung von stillen Reserven, die in betrieblichen Wirtschaftsgütern enthalten sind, kann erst durch entsprechende Verwertungshandlungen ausgelöst werden. Das Ansammeln und Halten stiller Reserven ist hingegen einkommensteuerrechtlich irrelevant; ihre Erfassung in diesem Stadium der betrieblichen Vermögensbildung widerspräche sowohl dem Realisations- als auch dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Dies ist auch für die konkursrechtliche Beurteilung ausschlaggebend. Die mit der Versilberung der Konkursmasse in Zusammenhang stehende Einkommensteuerschuld stellt deshalb grundsätzlich eine Masseschuld dar; eine Konkursforderung kann darin nicht gesehen werden. Der Senat folgt auch insoweit der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteile in BFHE 78, 172, BStBl III 1964, 70, und in BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602.
4. Die vom FA gewählte Aufteilungsmethode der Jahressteuerschuld nach Maßgabe des Verhältnisses der jeweiligen Teileinkünfte ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie ist auch in Ansehung der progressiven Einkommensteuerbelastung sachgerecht, weil zur Jahressteuerschuld ununter- scheidbar alle Einkommensteile unabhängig von ihrem zeitlichen Anfall beigetragen haben (BFH-Urteil in BFHE 141, 2, 6, 7, BStBl II 1984, 602, 604).
5. Das FA ist schließlich nicht gehindert, gegen den Kläger als Konkursverwalter einen Einkommensteuerbescheid zu erlassen, der auf den Zeitraum nach Konkurseröffnung beschränkt ist. Zwar ist Veranlagungszeitraum grundsätzlich das Kalenderjahr. Die Eröffnung des Konkursverfahrens hat hierauf keinen Einfluß. Die zeitliche Beschränkung des Steuerbescheides ist jedoch unschädlich, da durch sie kein vom Gesetz nicht vorgesehener abgekürzter Besteuerungszeitraum bezeichnet wird. Vielmehr handelt es sich um die Abgrenzung der Steuerforderungen danach, wie sie infolge der Konkurseröffnung innerhalb eines Besteuerungszeitraumes nach unterschiedlichen Verfahren (Konkursforderung, Masseanspruch, konkursfreies Vermögen) zu verfolgen sind. Dies aber ist uneingeschränkt zulässig (vgl. auch BFH- Urteile vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226; vom 26. Juli 1987 V R 2/81, BFHE 150, 215, BStBl II 1988, 190, zur insoweit vergleichbaren Rechtslage im Umsatzsteuerrecht).
6. Die Vorinstanz ist von einer hiervon abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen. Ihr Urteil ist deshalb aufzuheben. Da die Sache spruchreif ist, kann der Senat durcherkennen und die Klage abweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Fundstellen
BFH/NV 1994, 477 |
ZIP 1994, 1286 |