Leitsatz (amtlich)
Wenn ein Berliner Unternehmer in Berlin (West) hergestellte Gegenstände im Auftrag und Namen eines westdeutschen Unternehmers von Berlin (West) an dessen Kunden im Ausland versendet, der Berliner Unternehmer aber die Aufträge der ausländischen Kunden selbst bearbeitet und die von den Kunden zu zahlenden Preise bestimmt, dem westdeutschen Unternehmer Forderungsausfälle ersetzt und über die auf dessen Konto eingehenden Gelder verfügen kann, ist der westdeutsche Unternehmer kein Abnehmer des Berliner Unternehmers, an den eine Lieferung in einem Reihengeschäft als ausgeführt gilt.
Normenkette
UStG 1967 § 3 Abs. 2; UStG 1973 § 3 Abs. 2; BerlinFG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1970-10-29
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt in Berlin (West) pharmazeutische Erzeugnisse, z.B. Schmerztabletten und Augentropfen, her. Seit 1975 schaltete sie aufgrund eines Vertriebsvertrages die Firma P in die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse ein. Für Lieferungen pharmazeutischer Erzeugnisse an P machte die Klägerin Kürzungsansprüche nach § 1 Abs.1, Abs.7 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in Höhe von 6 v.H. der Bemessungsgrundlage geltend, die antragsgemäß gewährt wurden. Nach einer Betriebsprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1975 bis 1978 durch Änderungsbescheide vom 19.Februar 1981 und versagte die Kürzungsansprüche von insgesamt 217 653 DM. Das FA vertrat die Auffassung, P sei nicht als selbständiger Zwischenhändler, sondern nur als Geschäftsbesorger bei den Ausfuhrgeschäften der Klägerin tätig geworden. Er habe Angebote der Klägerin an ihre Kunden und Aufträge der Kunden an die Klägerin lediglich weitergeleitet. Die Klägerin habe die Aufträge bearbeitet und abgewickelt. Sie habe Aufträge auf Briefbögen von P bestätigt. P habe die Preisgestaltung nicht beeinflußt und der Klägerin Vollmacht über sein für die Exportgeschäfte eingerichtetes Bankkonto erteilt. P habe schließlich auch kein geschäftliches Risiko getragen, weil sich die Klägerin verpflichtet habe, Gutschriften zu erteilen, wenn Auslandskunden nicht zahlen würden.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) teilte die Ansicht des FA, daß P nicht als selbständiger Zwischenhändler, sondern lediglich als Geschäftsbesorger tätig gewesen sei. Dafür sei zwar nicht entscheidend, daß P keinen Einfluß auf die berechneten Preise genommen und daß die Klägerin Briefbögen von P benutzt habe. Die Preise für die Erzeugnisse der Klägerin seien bei den meisten Exporten durch Ausschreibungen der Abnehmer festgelegt gewesen. Es habe nur entschieden werden müssen, ob zu diesen Preisen noch geliefert werden könne. Wenn der Hersteller dann zur Beschleunigung der Auftragsabwicklung den Auftrag gegenüber dem ausländischen Kunden bestätigte, werde dies durch die Besonderheiten des Falles gerechtfertigt.
Unvereinbar mit der Stellung eines selbständigen Händlers sei es jedoch, daß nicht P, sondern die Klägerin als Hersteller der Lieferungsgegenstände das Risiko eines Forderungsausfalls für die Weiterlieferung getragen habe. Wenn die Exportrisiken, wie sie die Klägerin behauptet habe, wegen der üblichen Akkreditivgestellung nur gering seien, hätte für deren Übernahme kein Bedürfnis bestanden. Ein selbständiger Zwischenhändler hätte etwaige Risiken durch Abschluß einer Exportversicherung mindern können. Gegen die Einschaltung von P als Zwischenhändler und für seine Tätigkeit als Geschäftsbesorger spreche auch, daß die Klägerin Bankvollmacht für das Ausfuhrabwicklungskonto von P erhalten und dadurch die Zahlungseingänge habe kontrollieren können. Dieser Beurteilung stehe nicht entgegen, daß Händler --wie die Klägerin behaupte-- ihren Lieferanten häufig die Befugnis zum Bankeinzug mittels Lastschriftverfahrens einräumten, denn dieses Verfahren verschaffe keinen vollständigen Einblick in das Konto des Kunden.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 1 BerlinFG.
Zur Begründung macht sie geltend, gegen die Beurteilung des P als Zwischenhändler spreche nicht, daß er nicht das Risiko des Forderungsausfalls getragen habe. Dies sei in der Praxis üblich, weil die Händlerspanne so gering sei, daß ein Ausfall der gesamten Forderung für den Exporteur einen Schaden verursache, der auch durch noch so große Gesamtaufträge nicht ausgeglichen werden könne. Durch einen einzigen Fehler in der Akkreditivabwicklung gehe für den Exporteur nicht nur die geringe Händlermarge, sondern darüber hinaus nahezu das 50fache der eigenen Spanne verloren. Eine Zahlung von Versicherungsprämien sei angesichts der geringen Handelsspanne nicht möglich gewesen. In der streitbefangenen Zeit seien keine großen Zahlungsausfälle eingetreten.
Die Erteilung der Bankvollmacht für sie, die Klägerin, sei entgegen der Annahme des FG ohne Bedeutung. Es sei ohne Belang, daß sie, die Klägerin, einen vollständigen Einblick in die Bewegungen auf dem für die Abwicklung der Ausfuhrlieferungen eingerichteten Bankkonto gehabt habe. Das Konto habe lediglich Zahlungen der ausländischen Abnehmer auf der Einnahmeseite aufgezeigt, die sie, die Klägerin, in voller Höhe habe beanspruchen können. Da es für die Beurteilung, wer Leistender sei, auf das Außenverhältnis ankomme und P nach außen im eigenen Namen aufgetreten sei, könne keine Geschäftsbesorgung vorgelegen haben.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerschuld
für 1975 um ... DM,
für 1976 um ... DM,
für 1977 um ... DM,
für 1978 um ... DM
herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten. Es hält die Vorentscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zwar im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die Klägerin die Voraussetzungen für Kürzungsansprüche nach § 1 Abs.1 BerlinFG nicht erfüllt hat. Es hat aber keine weiteren Feststellungen getroffen, die eine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide ermöglichen. Darin liegt eine fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts.
1. Nach § 1 Abs.1 BerlinFG vom 29.Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1481, BStBl I 1970, 1016) für 1975, für 1976 bis 1978 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes vom 19.Dezember 1975 (BGBl I 1975, 3157, BStBl I 1976, 2) ist ein Berliner Unternehmer (§ 5 Abs.1 BerlinFG), der an einen westdeutschen Unternehmer (§ 5 Abs.2 BerlinFG) Gegenstände geliefert hat, berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 4,5 v.H. --unter den Voraussetzungen des § 1 Abs.7 Satz 1 BerlinFG um 6 v.H.-- des für diese Gegenstände vereinbarten Entgelts zu kürzen, wenn die Gegenstände in Berlin (West) hergestellt worden sind und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes gelangten.
Der Kürzungsanspruch ist nicht gegeben, wenn die Gegenstände nicht an einen westdeutschen Unternehmer, sondern an einen anderen Abnehmer --sei es auch aufgrund einer Geschäftsbesorgung durch einen westdeutschen Unternehmer-- geliefert worden sind. Für die Lieferung von in Berlin (West) hergestellten Gegenständen, die letztlich in das Ausland gelangen, erhält der Berliner Unternehmer nur dann das Recht, seine Umsatzsteuerschuld nach § 1 Abs.1, 7 BerlinFG zu kürzen, wenn er die Gegenstände zunächst an einen westdeutschen Unternehmer liefert und dieser sie an einen Abnehmer im Ausland weiterliefert. Dies kann auch im Rahmen eines Reihengeschäfts nach § 3 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1973 geschehen.
Lieferungen sind Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über den Gegenstand zu verfügen (§ 3 Abs.1 UStG 1967/1973).
Das FG geht in den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung sinngemäß davon aus, daß die Klägerin so, wie im Vertriebsvertrag vereinbart, tätig geworden ist. Sie hat dementsprechend die in Berlin (West) von ihr hergestellten Gegenstände "im Auftrag und Namen" von P über die Bundesrepublik Deutschland an Abnehmer im Ausland versendet. Unter diesen Umständen hätte die Klägerin diese Waren an P nur liefern können, wenn die Voraussetzungen für ein Reihengeschäft (§ 3 Abs.2 UStG 1967/1973) erfüllt worden wären.
Ein Reihengeschäft ist gegeben, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und diese Geschäfte dadurch erfüllen, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft; denn dann gilt die Lieferung an den letzten Abnehmer gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe.
Bei einem Reihengeschäft der hier in Betracht kommenden Länge der Reihe wird (nur) dem letzten Abnehmer tatsächlich (Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, 5.Aufl., § 3 Rdnr.201) die Verfügungsmacht verschafft, indem ihm wirtschaftlich Wert, Substanz und Ertrag des Gegenstandes (vgl. zur Verschaffung der Verfügungsmacht Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Februar 1986 V R 133/75, BFH/NV 1986, 311; vom 6.Dezember 1979 V R 87/72, BFHE 129, 425, BStBl II 1980, 279) durch den ersten Unternehmer im Auftrag von dessen Abnehmer zugewendet werden. Die Folge, daß durch diese eine Warenbewegung gleichzeitig Lieferungen zwischen dem ersten Unternehmer und dessen Abnehmer und zwischen diesem und dem letzten Abnehmer als ausgeführt gelten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26.Oktober 1967 V 230/64, BFHE 90, 379, BStBl II 1968, 110), setzt (mehrere) auf diesen Erfolg gerichtete Umsatzgeschäfte über den Gegenstand voraus. Das Umsatzgeschäft umfaßt den Sachverhalt, der dem als Lieferung geltenden Vorgang zugrunde liegt, einschließlich des Verpflichtungsgeschäfts (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12.Februar 1987 V R 89/78, BFHE 149, 1, BStBl II 1987, 289, zu § 5 Abs.2 BerlinFG).
P ist Abnehmer einer in einem Reihengeschäft als ausgeführt geltenden Lieferung, wenn er aus dem Umsatzgeschäft mit der Klägerin berechtigt und verpflichtet wurde. Dies setzt bei ihm eine Rechtsstellung voraus, die ihn befähigte, die Klägerin --als ersten Unternehmer in der Reihe-- anzuweisen, die Verfügungsmacht an den Gegenständen der Lieferung unmittelbar an seinen jeweiligen Kunden --als den letzten Abnehmer in der Reihe-- (tatsächlich) zu übertragen.
2. Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die zuerst selbst exportierende Klägerin auch nach Einschaltung von P die Exportpreise bestimmte, die Aufträge der ausländischen Kunden selbst bearbeitete, das Risiko der Exportgeschäfte trug und sofort über die von diesen Abnehmern eingehenden Gelder verfügen konnte. Es hat diese mit begründeten Verfahrensrügen in der Revision nicht angegriffenen Feststellungen dahin gewürdigt, daß sich die Verhältnisse der Klägerin durch die Einschaltung von P gegenüber ihren früheren im eigenen Namen ausgeführten Ausfuhrlieferungen nicht verändert hatten. An diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung ist der Senat als Revisionsgericht gebunden (§ 118 Abs.2 FGO); denn sie ist in sich widerspruchsfrei, verletzt keine Denkgesetze und knüpft an eindeutige Feststellungen an. Es handelt sich um eine mögliche Würdigung des Sachverhalts. Darauf, daß auch eine andere Beurteilung möglich wäre, kommt es nicht an.
Auch die rechtliche Schlußfolgerung des FG, daß P nur als Geschäftsbesorger bei der Erledigung von Exportformalitäten und nicht als Empfänger zu beurteilen ist, an den eine Lieferung in einem Reihengeschäft als ausgeführt gilt, trifft zu. P hatte nach den bezeichneten Feststellungen nicht die Rechtsstellung, die den Empfänger kennzeichnet, der über Wert, Substanz und Ertrag eines Lieferungsgegenstands verfügt und an den im Reihengeschäft eine Lieferung als ausgeführt gilt.
Lieferte die Klägerin danach nicht an P als an einen westdeutschen Unternehmer, so stehen ihr --wie das FG insoweit im Ergebnis zutreffend entschieden hat-- dafür auch keine Kürzungsansprüche nach § 1 Abs.1 BerlinFG zu.
3. Der Senat kann nicht in der Sache entscheiden. Das FG hat nicht geprüft, ob die Klägerin, die nach seiner revisionsrechtlich nicht angreifbaren Würdigung nicht an P, sondern an Abnehmer im Ausland geliefert hat (§ 3 Abs.1, 7 UStG 1967/1973), die Voraussetzungen für steuerfreie Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr.1 i.V.m. § 6 Abs.1 UStG 1967/1973) erfüllt. Es muß insbesondere unter Beachtung dieser Beurteilung feststellen, ob die Klägerin die für die Steuerbefreiung erforderlichen Voraussetzungen durch Belege und Bücher nachweisen kann (§ 6 Abs.1 Nr.3, 4 UStG 1967/1973, §§ 1, 2 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes). Außerdem muß das FG feststellen, ob die Klägerin über Lieferungen an P abgerechnet und in Abrechnungspapieren einen Steuerbetrag gesondert ausgewiesen hat (§ 14 Abs.2, 3 UStG 1967/1973).
Fundstellen
Haufe-Index 62818 |
BFH/NV 1989, 53 |
BStBl II 1989, 999 |
BFHE 158, 172 |
BFHE 1990, 172 |
BB 1990, 267 |
BB 1990, 267-268 (LT1) |
DB 1989, 2583 (T) |
HFR 1990, 95 (LT) |