Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbehelfsfrist bei Fehlen einer konkreten Datumsangabe auf einem maschinell gefertigten Steuerbescheid
Leitsatz (NV)
Die Rechtsbehelfsfrist beginnt auch dann zu laufen, wenn ein maschinell gefertigter Steuerbescheid statt eines kalendermäßigen Datums den Vermerk trägt ,,Datum des Poststempels". Etwaigen Versäumnissen, insbes. durch den Verlust des den Steuerbescheid enthaltenden Briefumschlags kann durch das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begegnet werden.
Normenkette
AO 1977 § 355 Abs. 1, §§ 356, 110
Tatbestand
Der für die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bestimmte Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1976 wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) am 11. Mai 1977 mittels einfachen Briefes zur Post gegeben. Statt eines kalendermäßigen Datums trägt der Bescheid den Vermerk ,,Datum des Poststempels". Unmittelbar über diesem Vermerk ist der weitere Hinweis angebracht: ,,Bitte Briefumschlag aufbewahren! Wichtig für Rechtsbehelfsfrist!" In der Rechtsbehelfsbelehrung selbst heißt es unter anderem:
,,Die Frist für die Einlegung der Rechtsbehelfe beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekanntgegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, daß der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist . . .".
Die Klägerin erhob am 31. März 1978 Einspruch und führte zur Einlegungsfrist aus, daß diese noch nicht zu laufen begonnen habe, da der Bescheid kein Datum trage. Das FA verwarf den Einspruch wegen Fristversäumung als unzulässig. Mit der Klage berief sich die Klägerin weiterhin darauf, daß die Einspruchsfrist am 31. März 1978 noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und übertrug die Entscheidung in der Sache dem FA. Es war - in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 216 veröffentlichten Urteil - zu dem Ergebnis gekommen, daß die Rechtsbehelfsfrist wegen des Fehlens einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden sei.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA, die Vorentscheidung verletze die §§ 122, 157 und 356 der Abgabenordnung (AO 1977) und weiche außerdem vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Oktober 1974 I R 37/73 (BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155) ab.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Entgegen der Auffassung des FG hat das FA den Einspruch der Klägerin zu Recht als unzulässig, weil verspätet, verworfen.
a) Der angefochtene Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid war am 11. Mai 1977 mittels einfachen Briefes zur Post gegeben worden. Die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO 1977) war mithin am 31. März 1978, dem Tag des Eingangs des Einspruchs beim FA, längst abgelaufen (§ 122 Abs. 2 und § 108 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
b) Die Auffassung des FG, die Rechtsbehelfsfrist sei im Streitfall wegen Fehlens einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden, ist rechtsfehlerhaft.
aa) Nach § 356 Abs. 1 AO 1977 beginnt die Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs gegen schriftliche Verwaltungsakte nur, wenn der Beteiligte insbesondere über die ,,einzuhaltende Frist" schriftlich belehrt worden ist. Andernfalls kann der Rechtsbehelf noch binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts angebracht werden (vgl. § 356 Abs. 2 AO 1977). Die Belehrung über die einzuhaltende Frist bedingt auch eine verständliche Erläuterung zum Fristbeginn. Das setzt nach allgemeiner Ansicht, der sich der erkennende Senat anschließt, jedoch nicht voraus, daß in der Rechtsbehelfsbelehrung den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen wäre. Vielmehr genügt - wie im Streitfall geschehen - eine abstrakte Belehrung anhand des Gesetzestextes über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist. Die konkrete Berechnung ihres Laufs bleibt dagegen der eigenen Verantwortlichkeit des Betroffenen überlassen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27. Juli 1971 2 BvR 118/71, BVerfGE 31, 388, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 2217; Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 12. Januar 1970 VI C 47.69, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 58 VwGO Nr. 19; vom 21. Januar 1972 IV C 40/70, NJW 1972, 1435, und vom 28. November 1975 VII B 51/75, NJW 1976, 865; BFH-Entscheidungen vom 7. Februar 1977 IV B 62/76, BFHE 121, 171, BStBl II 1977, 291; vom 21. August 1980 IV R 73/80, BFHE 131, 443, BStBl II 1981, 70, und das grundlegende Urteil in BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155).
Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der erkennende Senat zur Begründung seines Rechtsstandpunkts insbesondere auf die Erwägungen des I. Senats des BFH im Urteil in BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155. Die dort aufgestellten Grundsätze haben auch für die Rechtslage nach der AO 1977 Gültigkeit. Der Gesetzgeber hat beim Erlaß der AO 1977 die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebenden Vorschriften (§ 356 Abs. 1 und § 122 Abs. 2) ihrem Inhalt nach im wesentlichen unverändert aus dem alten Recht übernommen (vgl. § 237 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO - und § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -). Hätte es dem gesetzgeberischen Willen entsprochen, entgegen der schon damals einhelligen Auffassung (zumindest in der höchstrichterlichen Rechtsprechung) die Finanzverwaltung zu verpflichten, den Steuerbescheiden eine konkrete Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen, so hätte es nahegelegen, dies bei Abfassung der neuen abgabenrechtlichen Regelungen zum Ausdruck zu bringen.
Der Senat folgt dem FG auch nicht darin, daß der Steuerpflichtige im Bescheid selbst einen Anhaltspunkt für die Fristberechnung finden müsse. Zum einen ist die Rechtsbehelfsbelehrung - anders als bei Urteilen (vgl. dazu BFH-Zwischenurteil vom 7. Juli 1976 I R 242/75, BFHE 120, 7, BStBl II 1976, 787) - nicht notwendiger Bestandteil des Steuerbescheids. Sie ist diesem vielmehr nur beizufügen (§ 157 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Zum anderen muß der Steuerbescheid selbst kein Datum enthalten, wie sich aus § 119 Abs. 3 und § 157 Abs. 1 AO 1977 ergibt. Ist eines angegeben, so ist damit nicht in jedem Fall sichergestellt, daß es mit dem Datum der Aufgabe zur Post übereinstimmt. Deshalb kommt nach der Rechtsprechung in Zweifelsfällen auch stets dem Poststempel das entscheidende Gewicht zu (vgl. BFH-Urteile vom 9. Oktober 1962 I 313/61 U, BFHE 76, 70, BStBl III 1963, 25, und vom 8. April 1964 VI 80/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Verwaltungszustellungsgesetz, § 17, Rechtsspruch 22).
Ein möglicher Verlust des den Steuerbescheid enthaltenden Briefumschlags führt nicht dazu, daß der Steuerpflichtige damit auch schon endgültig vom Wissen um das genaue Datum der Aufgabe des Bescheids zur Post ausgeschlossen wäre. Er kann insbesondere sich das Datum vielmehr vom FA aus den Steuerakten oder den eigens geführten Absendelisten mitteilen lassen. Etwaigen aufgrund von Übermittlungsfehlern eingetretenen Fristversäumnissen könnte durch das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) begegnet werden. In gleicher Weise könnten je nach den Umständen des Einzelfalles auch Fristversäumnisse ,,geheilt" werden, die darauf beruhen, daß ein Steuerpflichtiger sich nach dem Verlust des maßgebenden Briefumschlags erst verspätet an das FA gewandt hat, um von diesem die Daten für die Berechnung des Fristenlaufes einzuholen.
bb) Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ergibt sich, daß das FA die Klägerin über die von ihr einzuhaltende Einspruchsfrist zutreffend und hinreichend belehrt hat.
2. Da das FG von einer anderen Auffassung ausgegangen ist und die Vorentscheidung auch darauf beruht, war diese aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Im Streitfall kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) nicht in Betracht. Die Klägerin hat sich von Anfang an nur darauf berufen, daß die Monatsfrist des § 355 Abs. 1 AO 1977 erst gar nicht in Lauf gesetzt worden sei. Gründe, die ihre Rechtsbehelfseinlegung ca. 9 1/2 Monate nach Ablauf dieser Frist erklärt oder gar i. S. von § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 entschuldigt hätten, hat sie nicht geltend gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 414656 |
BFH/NV 1987, 12 |