Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler bei einem Urteil über einen KSt- und einen vEK-Bescheid
Leitsatz (NV)
1. Es liegt ein ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensfehler (Fehler gegen die Grundordnung des Verfahrens) vor, wenn das FG durch Urteil über einen Steuerbescheid entscheidet, der schon vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung geändert wurde, auch wenn der Kläger keinen Antrag nach § 68 FGO stellte.
2. Es liegt ein Fehler gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, wenn ein FG die sich aus § 47 Abs. 2 Satz 2 KStG i. V. mit § 182 Abs. 1 AO 1977 ergebende Bindung des vEK-Bescheides an die fingierte Feststellung des Einkommens in dem entsprechenden Körperschaftsteuerbescheid nicht beachtet.
3. Will das FG eine Teilwertabschreibung auf eine Beteiligung steuerlich anerkennen, so muß es in tatsächlicher Hinsicht den Teilwert der Beteiligung zum Beginn und zum Ende des maßgebenden Wirtschaftsjahres feststellen.
Normenkette
FGO §§ 68, 74; AO 1977 § 182 Abs. 1; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2, § 27 Abs. 3 S. 2, § 47 Abs. 2 S. 2; VGFGEntlG Art. 3 § 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine am 15. 9. 1979 von W und dessen Ehefrau gegründete GmbH, die ihren Gewinn für ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr (1. 2. bis 31. 1.) ermittelte. In den Bilanzen der Klägerin zum 31. 1. 1980, 1981 und 1982 wurde jeweils der Geschäftswert eines Einzelunternehmens mit . . . DM aktiviert, das W von G am 13. 9. 1979 erworben hatte. In der Bilanz zum 31. 1. 1982 wurde auf diesen Geschäftswert eine Teilwertabschreibung in Höhe von . . . DM gebildet.
In den Gewinn- und Verlustrechnungen 1979/80, 1980/81 und 1981/82 wurden jeweils ,,Mietaufwendungen" als Betriebsausgaben angesetzt, die sich als Zahlungen der Klägerin an G darstellten.
Unter dem 1. Dezember 1982 teilte die Klägerin dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) mit, daß der in den Gewinn- und Verlustrechnungen 1979/80, 1980/81 und 1981/82 angesetzte Mietaufwand Entgeltzahlungen der Klägerin für den Erwerb des früheren Einzelunternehmens des G darstellten. Die Entgeltzahlungen (insgesamt: . . . DM) seien dem bisher ausgewiesenen Buchwert des Geschäftswertes hinzuzurechnen. Es ergebe sich dann ein Buchwert von . . . DM. Davon sei eine Teilwertabschreibung in Höhe von . . . DM zum 31. Januar 1982 bzw. wegen Aufhellung auch schon zum 31. Januar 1980 vorzunehmen.
In den Körperschaftsteuerbescheiden 1981 und 1982 jeweils vom 5. November 1984 erkannte das FA die Teilwertabschreibung nicht an. Das Einkommen 1981 wurde mit . . . DM und das Einkommen 1982 mit . . . DM fingiert festgestellt. Die genannten Einkommen wurden den Gliederungen des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) zum 31. Januar 1981 und zum 31. Januar 1982 zugrunde gelegt. Entsprechende Feststellungsbescheide ergingen ebenfalls am 5. November 1984. Gegen die Bescheide legte die Klägerin Einsprüche ein. Das FA erließ am 30. August 1985 Einspruchsentscheidungen nur wegen Körperschaftsteuer 1981 und 1982.
Die Klägerin erhob Klage sowohl wegen Körperschaftsteuer 1981 und 1982 als auch wegen der Feststellung des vEK zum 31. Januar 1981 und zum 31. Januar 1982. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es tenorierte die Vorentscheidung wie folgt:
,,Die Körperschaftsteuerbescheide 1981 und 1982 jeweils vom 5. November 1984 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 11. September 1985 sowie die Bescheide zur Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals gemäß § 47 KStG zum 31. Dezember 1981 und zum 31. Dezember 1982 werden mit der Maßgabe abgeändert, daß eine Teilwertabschreibung des Geschäftswertes zum 31. Januar 1983 auf einen Betrag von . . . DM zugrunde zu legen ist."
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG hat übersehen, daß das FA am 25. März 1988 jeweils einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1981 und einen geänderten Bescheid zur Feststellung des vEK zum 31. Januar 1981 erließ. Beide Bescheide traten an die Stelle der entsprechenden Bescheide vom 5. November 1984 (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1982 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Zwar hätten sie in das Klageverfahren übergeleitet werden können (§ 68 FGO). Die Klägerin hat jedoch entsprechende Überleitungserklärungen nicht abgegeben. Solange die Erklärungen nicht abgegeben sind, ist die gegen die ursprünglichen Bescheide gerichtete Klage unzulässig (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 137, 155, BStBl II 1979, 378). Das FG hätte deshalb die Klägerin zur Abgabe von Erklärungen gemäß § 68 FGO auffordern müssen. Solange diese nicht eingegangen waren, durfte es bezogen auf die Körperschaftsteuer 1981 und die Feststellung des vEK zum 31. Januar 1981 keine Sachentscheidungen treffen. Die dennoch getroffene Entscheidung beruht insoweit auf der unzutreffenden Beurteilung einer Sachentscheidungsvoraussetzung durch das FG. Der Senat muß als Revisionsgericht diesen Fehler auch ohne Rüge von Amts wegen berücksichtigen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rdnr. 34 m. w. N.). Er führt - bezogen auf den Körperschaftsteuerbescheid 1981 und den vEK-Bescheid zum 31. Januar 1981 - zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
2. Das FG hat ferner die sich aus § 47 Abs. 2 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1977) i. V. m. § 182 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergebende Bindung des vEK-Bescheides an die fingierte Feststellung des Einkommens in dem entsprechenden Körperschaftsteuerbescheid nicht beachtet (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1990 I R 15/88, BFHE 162, 222, BStBl II 1991, 150 unter II. B. 1). Da - unbeschadet der Ausführungen zu 1. - in dem Klageverfahren gegen die vEK-Bescheide nur die Höhe des Zugangs zu den mit Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträgen des vEK streitig war und über diese Frage in den jeweiligen Körperschaftsteuerbescheiden als Grundlagenbescheide zu entscheiden ist, hätte das FG das Klageverfahren insoweit teilweise aussetzen müssen (§ 74 FGO), bis über die fingierte Feststellung der Einkommen 1981 und 1982 bestandskräftig entschieden ist (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1979 VIII R 57/76, BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678; vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580; vom 2. September 1987 I R 162/84, BFHE 151, 104, BStBl II 1988, 142). Auch dieser Fehler ist ein solcher, der die Grundordnung des Verfahrens betrifft und von dem erkennenden Senat als Revisionsgericht ohne Rüge von Amts wegen zu beachten ist. Er führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, soweit der Bescheid über die Feststellung des vEK zum 31. Januar 1982 betroffen ist.
3. Das FG ist in der Vorentscheidung von einem Teilwert des Geschäftswertes zum 31. Januar 1983 von 0 DM ausgegangen. Auf diese Feststellung kommt es jedoch für die Entscheidung über die Klage wegen Körperschaftsteuer 1982 nicht an. Die Entscheidung über diesen Teil der Klage hängt von der Höhe des Einkommens 1982 der Klägerin ab. Sollte der Teilwert des Geschäftswertes schon zum 31. Januar 1981 oder erst zum 31. Januar 1983 auf 0 DM gesunken sein, so könnte die vom FG anerkannte Teilwertabschreibung auf den Geschäftswert nicht das Einkommen 1982 berühren. Die Klage wegen Körperschaftsteuer 1982 wäre dann schon aus diesem Grunde unbegründet. Das FG hätte deshalb in tatsächlicher Hinsicht feststellen müssen (§ 118 Abs. 2 FGO), welcher Teilwert dem Geschäftswert zu den Bilanzstichtagen 31. Januar 1981 und 31. Januar 1982 beizulegen war. Die Feststellung, daß der Teilwert des Geschäftswertes zum 31. Januar 1983 0 DM betrug, ist entscheidungsunerheblich, weil sie nichts über den Teilwert zu den vorangegangenen Bilanzstichtagen aussagt. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen ist deshalb die Vorentscheidung auch insoweit aufzuheben, als sie die Körperschaftsteuer 1982 betrifft. Auch insoweit ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.
4. Vorsorglich weist der Senat für den zweiten Rechtszug auf folgendes hin:
a) Die mit der Klage angefochtenen Feststellungsbescheide betreffen die Feststellung des vEK zum 31. Januar 1981 und zum 31. Januar 1982. Das FG kann allenfalls diese Bescheide gemäß § 100 FGO ändern. Laut Urteilstenor wurden jedoch Bescheide über die Feststellung des vEK zum 31. Dezember 1981 und zum 31. Dezember 1982 geändert.
b) Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Gesellschafter W am 13. September 1979 von G dessen Einzelunternehmen erwarb. Es hat jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, daß die Klägerin anschließend das Einzelunternehmen von W erwarb und welche Vereinbarungen dabei getroffen wurden. Insoweit ist zu beachten, daß W wegen seiner Beteiligung in Höhe von 90 v. H. an der Klägerin als deren beherrschender Gesellschafter anzusehen ist. Der mögliche Erwerb des früheren Einzelunternehmens des G durch die Klägerin kann deshalb nur dann als entgeltliches Anschaffungsgeschäft behandelt werden, wenn zwischen der Klägerin und W eine von vornherein klare und tatsächlich auch durchgeführte Entgeltsvereinbarung getroffen wurde. Die Vereinbarung muß außerdem nach Abschluß des notariellen Gründungsvertrages der Klägerin abgeschlossen worden sein (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91). Sollte die Klägerin dagegen Zahlungen auf Verbindlichkeiten ihres beherrschenden Gesellschafters W geleistet haben, für deren Übernahme es an jeder klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarungen fehlt, so muß sowohl die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 als auch die einer anderen Ausschüttung i. S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 in Betracht gezogen werden. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 würde in ihrer Rechtsfolge die Teilwertabschreibung auf den Geschäftswert aufheben.
c) Selbst wenn das FG zu dem Ergebnis kommen sollte, daß zwischen der Klägerin und W bezüglich des Erwerbs des Einzelunternehmens eine klare und von vornherein abgeschlossene Vereinbarung getroffen wurde, so wird es unter Angemessenheitsgesichtspunkten prüfen müssen, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter von W dessen Verpflichtung zur Zahlung der angeblichen Mietaufwendungen an G übernommen hätte.
d) Das FG wird ggf. erneut prüfen müssen, ob im Streitfall der (hier unterstellte) Erwerb des Einzelunternehmens durch die Klägerin schon im Herbst 1979 eine Fehlmaßnahme war oder ob die Gewinn- und Verlustentwicklung der Klägerin auf das Geschäftsgebaren in der Zeit nach dem Erwerb des Einzelunternehmens zurückzuführen ist (vgl. BFH-Urteile vom 17. September 1987 III R 201-202/84, BFHE 152, 221, BStBl II 1988, 488, und vom 27. Juli 1988 I R 104/84, BFHE 155, 56, BStBl II 1989, 274). Dabei kann nicht allein von der Ertragslage auf den Teilwert des Geschäftswertes geschlossen werden. Es müssen weitere Fakten hinzutreten, die auch für die Zukunft die in der Vergangenheit liegende Anschaffung des Einzelunternehmens als unwirtschaftlich erscheinen lassen.
e) Will das FG nach Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit verfahren, dann muß es über die Klage in einem Umfang entscheiden, daß dem FA nur noch die Berechnung der Steuer überlassen bleibt (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1990 II R 63/87, BFHE 159, 555, BStBl II 1990, 504). Dieser Anforderung genügt es nicht, wenn das FG dem FA die Entscheidung überläßt, wie eine steuerlich anzuerkennende Teilwertabschreibung auf einen Geschäftswert auf zwei in Betracht kommende Veranlagungszeiträume aufzuteilen ist.
Fundstellen