Rz. 110
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Ein Kind mit Behinderungen wird über das 18. Lebensjahr hinaus ohne Lebensaltersgrenze berücksichtigt (§ 32 Abs 4 Satz 1 Nr 3 EStG). Voraussetzung ist, dass
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das Kind körperlich, geistig oder seelisch schwerbehindert ist (> Rz 110/1–110/2), |
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diese Behinderung vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist (> Rz 111) und |
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das Kind deshalb außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (> Rz 112 ff). |
Vorrangig ist jedoch auch bei einem Kind mit Behinderungen zu prüfen, ob das Kind als arbeitslos gemeldet ist (vgl § 32 Abs 4 Satz 1 Nr 1 EStG) oder sich in Berufsausbildung usw befindet (vgl § 32 Abs 4 Satz 1 Nr 2 Buchst a bis d EStG). Ergänzend vgl A 19.1 Abs 6 DA-KG (> Rz 9); BFH/NV 2016, 190. Schwerbehinderte Kinder befinden sich in Berufsausbildung, wenn sie durch gezielte Maßnahmen auf eine – wenn auch einfache – Erwerbstätigkeit vorbereitet werden. Berufsausbildung kann deshalb auch der Besuch einer Behindertenschule, Heimsonderschule oder das Arbeitstraining in Anlern- oder > Beschützende Werkstätten sein (A 15.4 DA-KG [> Rz 9]; H 32.5 EStH; EFG 1982, 30; 301). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, werden > Unterhaltsleistungen ggf nach § 33a Abs 1 EStG berücksichtigt. Zu anderen Steuerermäßigungen > Menschen mit Behinderungen.
Rz. 110/1
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In Betracht kommen ua Kinder, deren Schwerbehinderung iSv § 2 Abs 2 SGB IX festgestellt ist oder die § 2 Abs 3 SGB IX einem schwerbehinderten Kind gleichstellt (> R 32.9 Satz 1 EStR). Auch eine Suchtkrankheit wie Drogenabhängigkeit oder Alkoholismus kann für eine Behinderung ursächlich sein, wenn sie ein Stadium erreicht hat, das zu einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit führt (BFH 198, 567 = BStBl 2002 II, 738; BFH/NV 2006, 540).
Rz. 110/2
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Auf den Grad der Behinderung kommt es grundsätzlich nicht an. Die körperlichen Funktionen, die geistigen Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit müssen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und deshalb die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigen (§ 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX; BFH 267, 337 = BSTBl 2020 II, 558). Für den Nachweis gegenüber dem FA oder der Familienkasse kommen in Betracht ein Ausweis nach § 152 Abs 1 SGB IX (vgl § 65 EStDV), ein Bescheid über die Einstufung als pflegebedürftige Person mit schwersten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Pflegegrad 4 oder 5 nach dem SGB XI, XII oder diesen entsprechenden Vorschriften, ein Bescheid über eine Rente wegen Behinderung oder ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit. Der BFH lässt auch ein ärztliches Gutachten über den Umfang der Behinderung und die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit genügen (BFH 198, 567 = BStBl 2002 II, 738; BFH/NV 2016, 190); zu Einzelheiten vgl A 19.2 DA-KG (> Rz 9) sowie BMF vom 22.11.2010, BStBl 2010 I, 1346.
Rz. 111
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Die Behinderung muss bereits vor dem 25. Lebensjahr eingetreten sein (bis VZ 2006: vor dem 27. Lebensjahr; > Rz 23). Ist die Behinderung vor 2007 eingetreten, reicht es aus, dass das Kind bei Eintritt der Behinderung noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatte (§ 52 Abs 32 Satz 1 EStG). Ein Kind, das bereits vor dem 25. Lebensjahr (bzw vor dem 27. Lebensjahr) behindert war, kann auch dann berücksichtigt werden, wenn der Schwerbehindertenausweis erst später ausgestellt wird (EFG 2014, 659) oder die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten ist (BFH 234, 143 = BStBl 2012 II, 141). Treten aber nach dem 25. Geburtstag weitere Behinderungen hinzu, bleiben diese bei der Beurteilung, ob das Kind sich selbst unterhalten kann, unberücksichtigt (EFG 2012, 2291).
Rz. 112
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Die Behinderung muss ursächlich für die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern sein, also dafür, dass das Kind nicht selbst durch Erwerbstätigkeit in der Lage ist, seinen gesamten notwendigen Lebensbedarf (> Rz 114) zu bestreiten (BFH 223, 365 = BStBl 2010 II, 1057 mwN; vgl auch § 32 Abs 4 Satz 2 und 3 EStG [> Rz 116 ff]). Bestehen daran Zweifel, muss das FG aufklären, inwieweit die Behinderung mitursächlich ist (BFH 237, 68 = BStBl 2012 II, 892). Die Behinderung ist aber auch dann nicht ursächlich, wenn das Kind eine Vollzeitbeschäftigung in einem nicht behinderungsspezifischen Beruf ausübt, die aber so gering vergütet wird, dass auch ein Nichtbehinderter davon seinen existenziellen Grundbedarf nicht decken kann (hierzu und zu weiteren Fallvarianten vgl BFH 237, 68 aaO). Zur Ursächlichkeit vgl A 19.3 DA-KG (> Rz 9).
Rz. 112/1
Stand: EL 136 – ET: 11/2023
Wegen Behinderung kann das Kind berücksichtigt werden, wenn die Behinderung in erheblichem Umfang dafür mitursächlich ist, dass es – zB bei ungünstiger Arbeitsmarktlage – keine Arbeit findet und deshalb außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (BFH 223, 365 aaO). Die Behinderung muss nämlich nicht der einzige Grund dafür sein; eine erheb...