Leitsatz

Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 der Abgabenordnung ist auch zulässig, wenn die unzutreffende Berücksichtigung der von einem Dritten übermittelten Daten auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückzuführen ist.

 

Normenkette

§ 175b AO

 

Sachverhalt

Für das Streitjahr 2018 wurden dem FA durch den Arbeitgeber des Klägers zwei elektronische Lohnsteuerbescheinigungen übermittelt. Die erste Bescheinigung wies einen Bruttoarbeitslohn i. H. v. 34.303,16 EUR (Zeile 3) sowie eine steuerpflichtige Entschädigung i. H. v. 9.000,00 EUR (Zeile 19) aus. Laut der LSt-Bescheinigung war die Entschädigung noch nicht ermäßigt besteuert worden und "in 3. enthalten". Ausweislich der zweiten Bescheinigung belief sich der weitere Bruttoarbeitslohn des Klägers auf 2.273,01 EUR.

In ihrer ESt-Erklärung erklärten die Kläger einen Bruttoarbeitslohn i. H. v. 25.303 EUR (Kennziffer 110) und i. H. v. 2.273 EUR (Kennziffer 111) sowie "Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre ‐ gegebenenfalls laut Nummer 19 der Lohnsteuerbescheinigung ‐ vom Arbeitgeber nicht ermäßigt besteuert" i. H. v. 9.000 EUR (Kennziffer 165).

Im ESt-Bescheid 2018 vom 25.9.2019 berücksichtigte das FA (erklärungsgemäß) einen Bruttoarbeitslohn des Klägers i. H. v. 27.576 EUR (rechnerisch: 34.303,16 EUR + 2.273,01 EUR ./. 9.000 EUR).

Nach einem verwaltungsinternen Hinweis auf die Behandlung der ermäßigt besteuerten Entschädigungen i. S. d. § 34 EStG erließ das FA am 20.5.2021 einen geänderten ESt-Bescheid 2018, in welchem es einen Bruttoarbeitslohn des Klägers i. H. v. 36.576 EUR berücksichtigte. Die Entschädigung wurde (unter Berücksichtigung der Entschädigung zuzurechnender Werbungskosten i. H. v. 251 EUR) i. H. v. 8.749 EUR nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG entschied, das FA sei zur Änderung des ursprünglichen ESt-Bescheids nach § 175b AO befugt gewesen (FG Münster, Urteil vom 14.8.2023, 8 K 294/23 E, EFG 2023, 1592, Haufe-Index 15945696).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision der Kläger aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Es handelt sich um eine der ersten Entscheidungen zur relativ neuen Korrekturvorschrift des § 175b AO (vgl. BFH, Urteil vom 8.9.2021, X R 5/21, BFH/NV 2022, 440, BStBl II 2022, 398; ein weiteres Revisionsverfahren ist unter X R 25/22 anhängig; Vorinstanz: Urteil des Niedersächsischen FG vom 13.10.2022, 2 K 123/22, EFG 2023, 1589, Haufe-Index 15782654).

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 175b AO durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 (BGBI I 2016, 1679, BStBl I 2016, 694) die Aufhebung oder Änderung materiell fehlerhafter Steuerbescheide ermöglichen wollen. Gemäß Art. 97 § 27 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur AO i. d. F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens ist § 175b AO erstmals anzuwenden, wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind.

2. Nach § 175b AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i. S. d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

Nicht berücksichtigt sind übermittelte Daten, wenn sie nicht ausgewertet oder verarbeitet wurden und damit nicht Eingang in die Steuerfestsetzung gefunden haben. Nicht zutreffend berücksichtigt sind die übermittelten Daten, wenn die Auswertung oder Verarbeitung fehlerhaft erfolgte. Ein danach relevanter Fehler liegt jedoch nur vor, soweit die Verwendung der übermittelten Daten zu einer materiell unrichtigen Steuerfestsetzung geführt hat.

3. Die Fehlerursache ist unerheblich. Es kommt weder auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, einen Schreib- oder Rechenfehler des Steuerpflichtigen noch auf ein mechanisches Versehen der Finanzbehörde nach § 129 AO oder einen Fehler der Finanzbehörde bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung an.

4. Der BFH hat eine teleologische Reduktion der Norm ausdrücklich abgelehnt (vgl. hierzu auch Anmerkung zu X R 5/21 von Kulosa, HFR 2022, 510, 512). Denn eine wortgetreue Auslegung der Vorschrift entspricht gerade den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zielen, die sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig ergeben. Danach bestand das Ziel vornehmlich darin, der Finanzverwaltung in steuerlichen Massenverfahren eine Änderungsbefugnis einzuräumen, obwohl der von Dritten übermittelte Datensatz keinen (verbindlichen) Grundlagenbescheid darstellt und die bereits geltenden Änderungsnormen nicht einschlägig sind (BT-Drucks 18/7457, 88 f.). Auf die Ursache der fehlerhaften Berücksichtigung der übermittelten Daten soll es nach der Gesetzesbegründung nicht ankommen.

5. Letztlich führt die Norm d...

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