Urteil des BFH: Mit Urteil v. 8.9.2021 (BFH v. 8.9.2021 – X R 5/21, BStBl. II 2022, 398 = AO-StB 2022, 146 [Weigel]) hat der BFH sich erstmals mit der Änderungsvorschrift des § 175b AO befasst. Er stellte klar, dass die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO zulässig ist, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung – entgegen der gesetzlichen Anordnung – die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers nicht übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs-Sachbearbeiter – materiell-rechtlich zu Unrecht – entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.
Essentieller Inhalt eines Datensatzes: Wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten (mitteilungspflichtige Stelle) an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind, muss der Datensatz – vorbehaltlich abweichender Bestimmungen in den Steuergesetzen – gem. § 93c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO u.a. den Familiennamen, den Vornamen, den Tag der Geburt, die Anschrift und die Identifikationsnummer des Steuerpflichtigen enthalten.
Im Streitfall hatte das FA vom Vater für eine Krankenversicherung des Kindes geleistete Krankenversicherungsbeiträge fälschlicherweise bei der Veranlagung der Mutter berücksichtigt und diesen Steuerbescheid im Nachhinein nach § 175b Abs. 1 AO geändert. Denn das Versicherungsunternehmen hatte anstelle der Identifikationsnummer des Vaters den nach der gesetzlichen Regelung nicht übermittlungspflichtigen Namen des Vaters übermittelt. In diesem Punkt wich der übermittelte Datensatz von der gesetzlichen Vorgabe ab. Zu der Frage, weshalb dieser Datensatz – der weder die Identifikationsnummer noch die Steuernummer, den Namen oder sonstige personenbezogene Merkmale der Mutter enthielt – zur Steuernummer der Mutter gelangt war, gab es im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte.
Der BFH bestätigte die Rechtmäßigkeit der Bescheidänderung, denn die von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelten Daten i.S.d. § 93c AO wurden bei der Steuerfestsetzung nicht bzw. nicht zutreffend berücksichtigt.
Daten i.S.d. § 93c AO: Der Streitfall zeichnete sich durch die Besonderheit aus, dass die Übermittlung der für die Fehlerhaftigkeit des gegen die Mutter ergangenen Einkommensteuerbescheids 2017 entscheidenden Daten – die Höhe der geleisteten Beiträge und die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers – nicht in § 93c AO angeordnet wird, sondern ausschließlich in § 10 Abs. 2a S. 4 Nr. 2 EStG a.F. Gleichwohl vertritt der BFH die Auffassung, dass es sich auch bei diesen Daten – wie von § 175b Abs. 1 AO vorausgesetzt – um "Daten im Sinne des § 93c AO" handelt. Der in § 175b Abs. 1 AO verwendete Begriff der "Daten" ist nicht auf den "Datensatz" beschränkt, dessen (Mindest-)Inhalt in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definiert wird. Vielmehr erfasst der Regelungsbereich des § 93c AO nach dem Wortlaut des Eingangssatzes seines Abs. 1 alle steuerlichen Daten eines Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind. Hierzu gehören auch diejenigen Daten, deren Übermittlung an die Finanzbehörde erst in einem Einzelsteuergesetz ("auf Grund gesetzlicher Vorschriften") angeordnet wird.
Im Streitfall wurden die nach § 93c Abs. 1 AO i.V.m. § 10 Abs. 2a S. 4 Nr. 2 EStG a.F. übermittelten Daten zur Höhe der für das Kind geleisteten Krankenversicherungsbeiträge – wie von § 175b Abs. 1 AO vorausgesetzt – bei der gegen die Mutter ergangenen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt. Denn materiell-rechtlich waren diese Beiträge nicht bei ihr, sondern beim Vater als Sonderausgaben abzuziehen. Entsprechend ergab sich bei der Mutter eine Änderungsbefugnis nach § 175b Abs. 1 AO.