Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Veräußert ein Steuerpflichtiger Gesellschaftsanteile gezielt im Hinblick auf einer bevorstehende gesetzliche Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG und tritt die Gesetzesänderung wie erwartet ein, so kann er sich – beim Scheitern einer rechtzeitigen Anteilsübertragung – nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Normenkette
§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 17, § 52 Abs. 1 S. 1 EStG
Sachverhalt
Herr K. veräußerte Anteile am 18.12.1998 in der unter Nrn. 1 und 3 gekennzeichneten Weise. Er war zunächst zu unter 25 % an der GmbH beteiligt und nach der Anteilsübertragung zu unter 10 %. Weil alle Rechte erst ab dem 01.01.1999 übergehen sollten, erfassten FA und FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.12.2005, 1 K 1940/04, Haufe-Index 1480178, EFG 2006, 493) einen erst 1999 realisierten und dann steuerbaren Veräußerungsgewinn.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung und wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Wer den Sachverhalt steuerlich gestalten möchte, muss zusehen, dass er dies mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen tut. Dies beachteten die Parteien eines Aktienkaufs im Fall des BFH-Urteils vom 22.07.2008, IX R 74/06, BFH/PR 2008, 507, BFH/NV 2008, 1908 nicht hinreichend, weil sie den Kaufpreis nur vorläufig aufgrund eines erst im folgenden Jahr zu erstellenden Wertgutachtens festlegten und die Besitzübertragung von der vollständigen Zahlung des Kaufpreises abhängig machten. Ein ähnliches Problem stellte sich dem BFH im vorliegenden Fall, in dem die Parteien im Vertrag vom 18.12.1998 (also kurz vor der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG) zwar regelten, der Geschäftsanteil solle mit sofortiger unmittelbarer dinglicher Wirkung übergehen, dann doch aber bestimmten, dass alle mit dem übertragenden Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten, insbesondere das Gewinnbezugsrecht, erst mit Wirkung vom 01.01.1999 auf die Erwerberin übergehen sollte.
1. Eine Beteiligung ist für Veräußerungsvorgänge nach § 17 Abs. 1 EStG ab dem VZ 1999 wesentlich, wenn sie eine Quote von 10 % übersteigt. Für Veräußerungsvorgänge davor war ein Steuerpflichtiger erst ab 25 % an einer Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt. Es kommt auf die im Zeitpunkt der Veräußerung geltende Gesetzeslage an. Maßgebend für eine Veräußerung ist die Übertragung des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums i.S.v. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO.
2. Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht über, wenn (1) der Käufer aufgrund eines Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann
(2) die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie
(3) das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
Dabei ist das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall entscheidend.
3. Hier hatte das FG die Regelungen im Vertrag, wonach "alle mit dem übertragenen Geschäftsanteil verbundenen Rechte und Pflichten … mit Wirkung zum 01.01.1999" übergehen sollten, für den BFH bindend, weil möglich, dahin gewürdigt, dass das wirtschaftliche Eigentum erst im Jahr 1999 übergegangen ist. Damit galt aber schon die 10 %-Grenze, und die Veräußerung war steuerbar.
4. Nun musste der BFH noch prüfen, ob er in diesem Fall die Rückwirkung akzeptieren konnte; denn der Verkäufer, Herr K, berief sich auf Vertrauensschutz. Allerdings hat K seine Anteile gerade im Hinblick auf die sich abzeichnende Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze veräußert und bei dieser Disposition nicht auf den Fortbestand der ursprünglichen Wesentlichkeitsgrenze vertraut. Vielmehr ist genau die Rechtslage eingetreten, die K seiner Disposition zugrunde gelegt hat. Dass seine bewusst auf die Gesetzesänderung abgestimmte Gestaltung aus rechtstechnischen Gründen gescheitert war, ändert daran nichts.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.10.2008 – IX R 73/06