Die Erlasse enthalten keine über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden Anwendungshinweise zu den neu eingeführten Erbbaurechtskoeffizienten. Für die Anwendung ist entscheidend, ob die Ableitung der Erbbaurechtskoeffizienten weitgehend in demselben Modell erfolgt wie die Bewertung nach dem BewG (§ 193 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 177 Abs. 2 u. 3 BewG).
Koeffizientenverfahren: Erbbaurecht
Erbbaurechtskoeffizienten sind u.E. ungeeignet, wenn der Wert des fiktiven Volleigentums (im BewG = Wert des unbelasteten Grundstücks) i.R.d. Ableitung in einem anderen Verfahren ermittelt wird als die Bewertung nach dem BewG erfolgt.
Beispiel
Es ist ein freistehendes Einfamilienhaus zu bewerten. Der Gutachterausschuss hat einen Erbbaurechtskoeffizienten für freistehende Einfamilienhäuser abgeleitet. Den Wert des fiktiven Volleigentums ermittelte er dabei im Sachwertverfahren (§§ 35 bis 39 ImmoWertV). Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 182 Abs. 2 Nr. 3 BewG hat die Grundbesitzbewertung des unbelasteten Grundstücks grds. im Vergleichswertverfahren zu erfolgen. Die Anwendung des § 182 BewG ist gesetzlich explizit vorgegeben. Die Ableitung erfolgte demnach in einem anderen Verfahren als die grds. Bewertung. Der Erbbaurechtskoeffizient ist u.E. nur anzuwenden, wenn kein Vergleichswert vorliegt und das nachrangige Sachwertverfahren (§ 182 Abs. 4 Nr. 1 BewG) anzuwenden ist.
Für Grundbesitzwertfeststellungen von Erbbaurechten, in denen die Restnutzungsdauer des Gebäudes die Restlaufzeit des Erbbaurechts übersteigt und keine (vollständige) Entschädigung für den verbleibenden Gebäudewert(anteil) vereinbart wurde, zeichnet sich ab, dass die Anwendung von Erbbaurechtskoeffizienten regelmäßig zu Überbewertungen führen wird. Aufgrund fehlenden Datenmaterials können Erbbaurechtskoeffizienten von den Gutachterausschüssen (vermutlich) nicht mit Anpassungsfaktoren – z.B. für bei Ablauf des Erbbaurechts nicht (vollständig) zu entschädigende Gebäudewertanteile – versehen werden (s. hierzu Seitz, GuG 2022, 67 [68 f.]; Marquardt/Miethe, ErbStB 2023, 38 [45]).
Im Rahmen der Verkehrswertermittlung werden Entschädigungsvereinbarungen daher regelmäßig als besondere objektspezifische Grundstücksmerkmale (boG) – außerhalb des Verfahrens – zu berücksichtigen sein (s. Anhang G. II und G. IV ImmoWertAE v. 3.5.2023). BoG werden i.R.d. Grundbesitzbewertung jedoch nicht berücksichtigt (§ 177 Abs. 4 BewG). Für das bewertungsrechtlich nachrangig anzuwendenden finanzmathematische Verfahren (§ 193 Abs. 2 ff. BewG) ist hingegen eine Berücksichtigung innerhalb des Verfahrens explizit vorgegeben (Verkehrswertermittlung: § 50 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV; Grundbesitzbewertung: § 193 Abs. 3 Satz 2 BewG). Wertmindernde Entschädigungssachverhalte werden regelmäßig nur innerhalb des nachrangigen finanzmathematischen Verfahrens berücksichtigt werden können. Es liegt eine strukturelle Ungleichbehandlung von Entschädigungssachverhalten zwischen Koeffizientenverfahren (§ 193 Abs. 1 BewG) und finanzmathematischen Verfahren (§ 193 Abs. 2 ff. BewG) vor.
Beraterhinweis Insbesondere für die besagte Fallkonstellation sollte geprüft werden, ob die Vorlage eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts (§ 198 BewG) sinnvoll ist.