Leitsatz
Muss ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über mehrere Tage hinweg ohne Unterbrechung in der Schweiz tätig werden, so ist bei der Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA Schweiz 1971/1992 nicht jeder dieser Tage als ein Tag zu zählen, an dem der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Bestätigung des Senatsurteils vom 16.05.2001, I R 100/00, BFH/PR 2001, 358, BFH/NV 2001, 1319, Abgrenzung zum Senatsurteil vom 15.09.2004, I R 67/03, BFH/PR 2005, 81, BFH/NV 2005, 267).
Normenkette
Art. 15a Abs. 1 und 2 DBA Schweiz 1971/1992
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Sozialarbeiterin, wohnte im Inland, arbeitete aber bei einem Schweizer Verein.
Der Verein führte auf einem ehemaligen Bauernhof in der Schweiz Therapiemaßnahmen zum Drogenentzug durch. Die einzelnen Maßnahmen dauerten i.d.R. 15 Tage. Dabei wurde jeweils eine Gruppe von Drogenabhängigen von vier Mitarbeitern des Vereins rund um die Uhr betreut. Die Mitarbeiter, zu denen u.a. die Klägerin zählte, wohnten während dieser Zeiten auf dem Therapiegelände und führten täglich Gruppentherapiesitzungen und Einzelgespräche mit den Drogenabhängigen durch. Aus Sicherheitsgründen mussten stets mindestens zwei Therapiemitarbeiter anwesend sein. Während einer 15-tägigen Maßnahme hatte jeder Mitarbeiter Anspruch auf zwei Pausen von 24 bis 48 Stunden.
In den Streitjahren hatte die Klägerin sechs bzw. sieben Mal für jeweils elf Tage und außerdem zwei Mal für sieben, einmal für acht und einmal für vier Tage an Therapiemaßnahmen mitgewirkt, insgesamt also an 66, 77 und 26 Arbeitstagen.
Die Klägerin war nach ihrem Arbeitsvertrag zudem berechtigt und verpflichtet, vom Verein durchgeführte Fortbildungsmaßnahmen zu besuchen. Aufgrund dessen nahm sie in den einzelnen Jahren an 22, 17 und 2 Tagen an entsprechenden Veranstaltungen teil, die jeweils in der Schweiz stattfanden. Der Verein behielt von den der Klägerin geschuldeten Brutto-Arbeitslöhnen jeweils Quellensteuern ein.
Das FA behandelt die Klägerin im Inland als steuerpflichtig; die Schweizer Quellensteuern wurden angerechnet.
Das FG sah das anders; es berücksichtigte die Arbeitslöhne nur beim Steuersatz, beließ sich ansonsten aber steuerfrei (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 28.09.2006, 14 K 202/01, Haufe-Index 1699090, EFG 2007, 1055).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Maßgeblich sei für die "arbeitstägliche Rückkehr" und die "Nichtrückkehrtage" das, was arbeitsrechtlich vereinbart sei. Danach bestimme sich die jeweilige Arbeitseinheit und sonach auch die Frage der Nichtrückkehr aus beruflichem Grund i.S.d. Art. 15a Abs. 2 DBA Schweiz.
Hinweis
1. Das Urteil datiert unter dem 27.08.2008 und damit unter demselben Datum wie das Urteil I R 64/07, über das Sie schon in BFH/PR 2009, 37 informiert wurden. Es betrifft die nämliche Problematik der sog. Grenzgängerbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz und gründet auch auf den nämlichen Überlegungen und Rechtsgrundsätzen. Es kann deswegen im Wesentlichen auch auf jenes Urteil I R 64/07 verwiesen werden.
2. Dort wie hier ging es um die Besteuerung von Arbeitnehmern, die in Deutschland wohnen und in der Schweiz arbeiten. Die Bezüge dieser Arbeitnehmer dürfen nach Art. 15a DBA Schweiz regelmäßig in Deutschland besteuert werden. Sie sind aber in der Schweiz zu versteuern und in Deutschland steuerfrei, wenn der Arbeitnehmer mehr als 60 Malim Jahraus beruflichen Gründen nach Arbeitsende nicht nach Hause zurückkehren kann. Die Steuerbefreiung in Deutschland knüpft also an die Zahl der sog. "Nichtrückkehrtage" an.
3. In diesem Zusammenhang war bisher unklar, wie Fälle zu behandeln sind, in denen sich die Arbeitszeit – wie etwa bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit mehrtägigem Bereitschaftsdienst – über mehrere Tage erstreckt. Auch dazu ist auf die erwähnten Praxis-Hinweise zum Urteil I R 64/07 (BFH/PR 2009, 37, BFH/NV 2008, 2126) zu verweisen.
4. Dazu hat der BFH jetzt unter Hinweis auf eine spezielle Vereinbarung zwischen Deutschland und der Schweiz (im Verhandlungsprotokoll zum DBA Schweiz) entschieden, dass in solchen Fällen die Zählung der "Nichtrückkehrtage" nicht an die einzelnen Arbeitstage, sondern an die gesamte – gegebenenfalls mehrtägige – und arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitseinheit anknüpft.
Wer also zum Beispiel 40 Mal im Jahr für jeweils 3 Tage ununterbrochen in der Schweiz Dienst tut, kann deshalb zwar tatsächlich an insgesamt 80 Tagen nicht in seine Wohnung zurückkehren. Dennoch kann er nicht 80 "Nichtrückkehrtage" aufweisen, da es insoweit darauf ankommt, an wie vielen Tagen nach dem Ende der jeweiligen dreitägigen Dienstzeit eine Heimfahrt nicht möglich war. In einem solchen Fall schließt daher das DBA die deutsche Besteuerung nicht aus. Diese Handhabung entspricht der bisherigen Praxis der deutschen wie auch der Schweizer Steuerbehörden.
5. Im Bereich der erwähnten "Grenzgänger-Besteuerung" gibt es zahlreiche weitere Sachverhalte, deren steuerliche Behandlung noc...