Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Entgeltausgleich bei Leistungsminderung
Leitsatz (redaktionell)
Arbeit in Nachtschicht ist nicht eine andere „Tätigkeit” als Tagschicht im Sinne von § 17 A Nr. 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 23. Juni 2008.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 23. Juni 2008 § 17 Buchst. A. Nr. 1; ArbZG § 6 Abs. 4 S. 1; BetrVG § 95 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 25. März 2015 – 8 Sa 851/14 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über tariflichen Entgeltausgleich bei Leistungsminderung.
Der 1961 geborene Kläger ist seit 1985 bei der Beklagten beschäftigt und war vor dem Streitzeitraum zuletzt im Dreischichtwechsel eingesetzt.
Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien nimmt ua. auf den jeweils gültigen Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie Bezug.
Im September 2013 legte der Kläger der Beklagten eine ärztliche Bescheinigung über seine Untauglichkeit zur Arbeit in Nachtschicht vor. Seitdem beschäftigt die Beklagte ihn nur noch in Tagschicht.
Der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 23. Juni 2008 (im Folgenden MTV) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung regelt ua.:
„§ 6 |
Zuschläge für Mehrarbeit, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit |
… |
|
3. |
Nachtarbeit |
(I) |
Der Nachtarbeitszuschlag beträgt 25 v.H. des Stundenverdienstes. |
(II) |
Ist Nachtarbeit zugleich Mehrarbeit, beträgt der Zuschlag 60 v.H. des Stundenverdienstes. Beim Zusammentreffen von Nachtarbeit und Mehrarbeit beträgt der Anteil an Nachtarbeit 40 v.H. Anteil an Mehrarbeit 20 v.H. des Stundenverdienstes. |
…
Anmerkung zu § 6 Ziff. 3 Abs. (II)
Mit der Aufteilung tragen die Tarifvertragsparteien dem Umstand Rechnung, dass die Tätigkeit zur Nachtzeit erschwerend und mit erhöhtem Aufwand verbunden ist.
…
§ 17 |
Entgeltausgleich bei Leistungsminderung |
A. |
1. |
Arbeitnehmer,
- die … das 50. Lebensjahr vollendet und dem Betrieb oder Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre angehört haben,
- und die aufgrund gesundheitsbedingter Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Tätigkeit auszuüben oder in dieser die bisherige Leistung zu erbringen
- und bei denen hierdurch eine Verdienstminderung eingetreten ist oder eintreten würde,
haben auf schriftlichen Antrag Anspruch auf einen Entgeltausgleich. |
2. |
Voraussetzung ist ferner die Vorlage eines ärztlichen Attestes, … |
3. |
Die Antragstellung schließt die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Versetzung an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz … ein. … |
4. |
Anstelle des Entgeltausgleichs kann – unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen – eine Versetzung auf einen anderen zumutbaren, die bisherige Entgelthöhe sichernden Arbeitsplatz erfolgen, der der geminderten Leistungsfähigkeit Rechnung trägt. |
…” |
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2014 beantragte der Kläger einen tariflichen Entgeltausgleich wegen Leistungsminderung, dessen Höhe pro Monat 483,84 Euro brutto betragen würde. Nach Ablehnung durch die Beklagte hat der Kläger Zahlungsklage für die Zeit von September 2013 bis Februar 2014 erhoben.
Der Kläger meint, er sei aufgrund gesundheitlicher Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Diese werde durch die Nachtarbeit bestimmt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.903,04 Euro brutto zuzüglich Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Ein Anspruch bestehe nicht, weil die bisherige Tätigkeit unabhängig vom Zeitpunkt der Leistungserbringung sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Entgeltausgleich nach § 17 MTV besteht nicht.
I. Die Klage ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch gestützt auf § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV in beiden Alternativen zu Recht verneint.
1. Der MTV findet auf das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
2. Ein Anspruch auf tariflichen Entgeltausgleich – die Wirksamkeit der tariflichen Norm unterstellt – folgt nicht aus § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV in der 1. Alternative der „bisherigen Tätigkeit”. Dies ergibt die Auslegung der Regelung.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 8. Oktober 2008 – 5 AZR 707/07 – Rn. 17; 14. Juli 2015 – 3 AZR 903/13 – Rn. 17).
b) Zwar hat der Kläger das 50. Lebensjahr bereits vollendet und weist im Unternehmen der Beklagten eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren auf. Doch ist die weitere Voraussetzung, wonach der Arbeitnehmer aufgrund gesundheitlicher Minderung der Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sein darf, seine bisherige Tätigkeit auszuüben, nicht erfüllt.
Das gesundheitlich begründete Unvermögen zur Leistung von Nachtschicht führt nicht dazu, dass der Kläger seine „bisherige Tätigkeit” im tariflichen Sinn nicht mehr ausüben könnte. Der MTV gewährt keinen Entgeltausgleich für den Fall, dass der Arbeitnehmer in der beruflichen Tätigkeit verbleiben kann und lediglich die Leistungsfähigkeit zur Nachtschicht wegfällt.
aa) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 17 MTV.
Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist die „Tätigkeit” das sich Beschäftigen mit etwas, das Tätigsein (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl.) bzw. die Arbeit, der Beruf, die Gesamtheit der beruflichen Verrichtungen (Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch) bzw. die Gesamtheit derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun hat (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl.). Dieses allgemeine Sprachverständnis basiert auf inhaltlichen Komponenten („was”, „wie”, „wozu”), die aus der konkreten Arbeitsaufgabe herzuleiten sind. „Tätigkeit” meint die jeweils auszuübende Tätigkeit. Zeitliche Komponenten lassen sich dem Begriff nicht entnehmen (ebenso LAG Saarland 14. November 2012 – 1 Sa 13/12 – Rn. 100 zu einer vergleichbaren tariflichen Verdienstsicherungsregelung).
Entgegen der Revision steht dieser Auslegung nicht die möglicherweise umfassendere Verwendung des Begriffs „Tätigkeit” in anderen Tarifverträgen entgegen. Der Regelungsgegenstand der Tarifverträge wird von den jeweiligen Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer durch die Verfassung verbürgten Tarifautonomie selbst bestimmt. Dasselbe gilt für die von der Revision zur Auslegung herangezogene Norm des § 6 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a ArbZG. Die Regelung von Nachtarbeit durch den Gesetzgeber lässt keine Rückschlüsse auf den von den Tarifvertragsparteien gewollten Gehalt einer Vergütungsregelung zu.
Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei einem Wechsel von Tag- in Nachtschicht keine Versetzung iSd. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorliegt. Danach wird das Bild der Tätigkeit nicht dadurch geprägt, dass diese zu einer bestimmten Tageszeit erbracht wird (vgl. BAG 23. November 1993 – 1 ABR 38/93 – zu B 2 a der Gründe, BAGE 75, 97). Ein Wechsel der Schicht ändert zwar die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Die Änderung der Arbeitszeit allein ist aber nicht so bestimmend, dass deshalb das Gesamtbild der Tätigkeit ein anderes wird (vgl. BAG 23. November 1993 – 1 ABR 38/93 – zu B 1 b der Gründe, BAGE 75, 97).
bb) Ein Wille der Tarifvertragsparteien, Arbeit in Nachtschicht als „Tätigkeit” iSd. Tarifnorm zu verstehen, lässt sich dem Tarifvertrag nicht entnehmen.
Die Tarifvertragsparteien haben die Leistung von Nachtarbeit zwar als zu regelnden Gegenstand erkannt. So finden sich in § 5 MTV Regelungen zur Einführung ua. von Nachtarbeit und in § 6 MTV ua. zu Nachtarbeitszuschlägen. Doch lassen sich § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, vom verwendeten Tätigkeitsbegriff sollte auch die Nachtarbeit umfasst sein. Im Gegenteil zeigt die Anmerkung zu § 6 Ziff. 3 Abs. (II) MTV, dass die Tarifvertragsparteien durch eine entsprechend zuschlagspflichtige „Tätigkeit zur Nachtzeit” zwischen der eigentlichen Arbeitsaufgabe und dem Zeitraum, zu dem diese zu erfüllen ist, differenzieren.
cc) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht für das Auslegungsergebnis.
Nach § 17 Buchst. A. Nr. 4 MTV kann anstelle des Entgeltausgleichs eine Versetzung auf einen anderen, zumutbaren und die geminderte Leistungsfähigkeit berücksichtigenden Arbeitsplatz erfolgen, um die bisherige Entgelthöhe zu sichern. Diese Regelung ist verknüpft mit dem finanziellen Ausgleich bei Leistungsminderung in § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV, denn beide zielen darauf ab, eine Verdienstsicherung zu gewährleisten. Geschieht dies durch Einsatz auf einem „anderen Arbeitsplatz”, zeigt sich im Zusammenhang mit der „bisherigen Tätigkeit”, dass dem Tarifvertrag ein Verständnis zugrunde liegt, das der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. November 1993 (– 1 ABR 38/93 – BAGE 75, 97) nahekommt. Danach ist ein bloßer Wechsel zu einer anderen Schicht keine Versetzung. Dem entspricht der Inhalt von § 17 Buchst. A. Nr. 3 MTV, wenn der Antrag die Bereitschaft des Arbeitnehmers ua. zur Versetzung an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz einschließt.
Hier unterscheidet sich die tarifliche Regelung von der, die der Entscheidung des Senats vom 18. März 2009 (– 5 AZR 303/08 –) zugrunde lag und ebenfalls eine tarifliche Regelung zur Verdienstsicherung betraf. Dort bestimmte der Tarifvertrag durch eine Fußnote den Begriff des Arbeitsplatzwechsels bzw. der Versetzung als den die Verdienstsicherung auslösenden Umstand selbst in einer über das übliche Begriffsverständnis hinausgehenden Weise (vgl. BAG 18. März 2009 – 5 AZR 303/08 – Rn. 16).
dd) Schließlich führt die Einbeziehung äußerer Umstände, unter denen Arbeit zu leisten ist, nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis.
Äußere Umstände wie Staub, Lärm oder Hitze können zur „bisherigen Tätigkeit” im Sinne der tariflichen Regelung zu rechnen sein, wenn diese mit der Erfüllung der konkreten Arbeitsaufgabe zwingend verbunden sind. Doch ist die vom Kläger zu leistende Arbeit nicht zwingend mit ihrer zeitlichen Lage verbunden. Der Kläger erfüllt nach wie vor die gleichen Arbeitsaufgaben, nur nicht mehr in Nachtschicht.
Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Wechsel von Arbeit im Akkord- zu solcher in Zeitlohn nicht herangezogen werden. Danach beinhaltet der Wechsel von Akkord- zu Zeitlohn nicht nur eine Änderung der Entlohnungsart. Vielmehr werde die Art der Arbeit selbst geändert, weil der Arbeitnehmer im Akkordlohn die Höhe seiner Vergütung durch Geschwindigkeit und Intensität der Arbeitsleistung selbst bestimmen könne und deshalb im Gegensatz zum Zeitlöhner einem besonderen psychischen und physischen Druck ausgesetzt sei. Die Anstrengung gehöre zur Art der Arbeitsleistung (vgl. BAG 6. Februar 1985 – 4 AZR 155/83 –; so im Ergebnis auch BAG 30. November 1983 – 4 AZR 374/81 –). Bei Arbeit im Akkord ist die zu erfüllende Arbeitsaufgabe selbst dadurch gekennzeichnet, dass bei entsprechender Geschwindigkeit bzw. Quantität ein höherer Verdienst möglich ist. Der Verdienst des Arbeitnehmers bestimmt sich durch einen mit der Arbeitsaufgabe zwingend verbundenen Umstand, was die Parallele zu Arbeiten bei Staub, Lärm etc. zeigt. Dagegen fehlt im Streitfall für Arbeit während der Nacht diese zwingende Verbindung. Die erhöhte Belastung, die mit Nachtarbeit verbunden ist, ist der konkreten Arbeitsaufgabe nicht immanent.
3. Ein Anspruch auf tariflichen Entgeltausgleich folgt auch nicht aus § 17 Buchst. A. Nr. 1 MTV in der 2. Alternative der „bisherigen Leistung”. Zutreffend verneint das Landesarbeitsgericht einen Entgeltausgleichsanspruch auf dieser Grundlage mit den gleichen Erwägungen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Biebl, Volk, E. Bürger, A. Christen
Fundstellen