Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung der Einkünfte von Bediensteten des Europäischen Patentamts
Leitsatz (NV)
Im Inland wohnhafte Bedienstete des Europäischen Patentamts sind nur mit ihren Dienstbezügen, nicht aber mit ihren darüber hinaus erzielten Einkünften unter Progressionsvorbehalt von der deutschen Einkommensteuer befreit.
Normenkette
VorRImmProt Art. 16 Abs. 1; KonsÜbk Wien Art. 31
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein niederländischer Staatsbürger mit Wohnsitz im Inland, ist beim Europäischen Patentamt in München beschäftigt. Neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielte er in den Streitjahren (1991 bis 1995) Zinseinkünfte, die im wesentlichen aus Sparguthaben in den Niederlanden stammten.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) veranlagte den Kläger für die Streitjahre zur Einkommensteuer. Dabei bezog er die Zinsen in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein, während er die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit lediglich bei der Berechnung des anzusetzenden Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) berücksichtigte.
Die auf dieser Basis ergangenen Bescheide focht der Kläger mit der Klage an. Zur Begründung machte er im wesentlichen geltend, daß nach dem Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation vom 5. Oktober 1973 (BGBl II 1976, 649 ―Immunitätenprotokoll―) weder die Besteuerung der Zinseinkünfte noch die Berücksichtigung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Rahmen des Progressionsvorbehalts zulässig sei. Außerdem berief er sich auf eine telefonische Auskunft des FA, in dem ihm mitgeteilt worden sei, daß die Zinsen in Deutschland nicht besteuert würden. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Die in Rede stehende Problematik betreffe eine Vielzahl von Bediensteten des Europäischen Patentamts und werde von den einzelnen Finanzbehörden unterschiedlich gehandhabt. Sie sei nicht dadurch geklärt, daß der Bundesfinanzhof (BFH) es in mehreren Entscheidungen für zulässig erachtet habe, steuerfreie Einkünfte aus einer Tätigkeit beim Europäischen Patentamt im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Denn Gegenstand jener Entscheidungen sei allein die Anwendung des Progressionsvorbehalts; mit der vorgreiflichen Frage, ob Nebeneinkünfte der betreffenden Personen überhaupt der deutschen Einkommensteuer unterworfen werden dürften, habe sich der BFH nicht befaßt. Zudem sei im Streitfall das 1993 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Europäischen Patentorganisation und der Republik Österreich über den Sitz der Dienststelle Wien des Europäischen Patentamts (Sitzabkommen) zu berücksichtigen, das der BFH noch nicht habe in seine Erwägungen einbeziehen können.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben. Sie ist zum Teil unzulässig und im übrigen unbegründet und muß deshalb insgesamt als unbegründet zurückgewiesen werden:
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine solche ist gegeben, wenn die für die Beurteilung des Falles maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 7, m.w.N.). Sie fehlt hingegen, wenn sich die betreffende Rechtsfrage entweder eindeutig aus dem Gesetz beantworten läßt oder wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist und keine Gesichtspunkte vorliegen, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen (BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 1998 VIII B 33/98, BFH/NV 1999, 352; vom 10. Dezember 1998 VIII B 56/98, BFH/NV 1999, 804; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 9, m.w.N.).
2. Die im Streitfall vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob Zinseinkünfte eines im Inland wohnhaften Bediensteten des Europäischen Patentamts der deutschen Einkommensteuer unterworfen werden dürfen, ist durch die Rechtsprechung des Senats in bejahendem Sinne geklärt. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß Art. 16 Abs. 1 Satz 3 des Immunitätenprotokolls es gestattet, bei der Festsetzung der Einkommensteuer die nach Abs. 1 Satz 1 steuerfreien Einkünfte in die Berechnung des Steuersatzes einzubeziehen (Urteile vom 27. September 1990 I R 181/87, BFHE 162, 284, BStBl II 1991, 84; vom 27. September 1991 I R 104/89, BFH/NV 1991, 729; Beschluß vom 26. August 1994 I B 35/94, BFH/NV 1995, 381). Einige dieser Entscheidungen bezogen sich speziell auf die im Streitfall vorliegende Konstellation, in der ein Angehöriger des Europäischen Patentamts neben seinen Dienstbezügen weitere Einkünfte erzielt hatte und diese weiteren Einkünfte unter Anwendung des Progressionsvorbehalts in Deutschland besteuert worden waren (z.B. Urteil in BFH/NV 1991, 729). Indem der Senat diese Vorgehensweise für gerechtfertigt erklärt hat, hat er zugleich die logisch vorrangige Frage bejaht, ob die weiteren ―also nicht von der Europäischen Patentorganisation stammenden― Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen werden durften. Diese Frage ist deshalb nicht mehr klärungsbedürftig (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluß vom 13. Dezember 1995 I B 83/95, BFH/NV 1996, 548).
3. Gesichtspunkte, die eine erneute Überprüfung dieser Frage in einem Revisionsverfahren erfordern könnten, hat der Kläger nicht aufgezeigt. Das gilt namentlich in bezug auf seinen Hinweis, daß im Jahr 1993 das Sitzabkommen mit der Republik Österreich in Kraft getreten sei und daß Art. 14 dieses Abkommens eine Neubewertung der Regelung im Immunitätenprotokoll erfordere. Denn dieses Abkommen bezieht sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf das Verhältnis der Europäischen Patentorganisation zur Republik Österreich und nur auf diejenigen Personen, die in der österreichischen Dienststelle der Organisation tätig sind (Art. 1 Buchst. e). Demgemäß bestimmt speziell der vom Kläger herangezogene Art. 14 des Abkommens lediglich, daß die Bediensteten der (österreichischen) Dienststelle in Österreich bestimmte Privilegien genießen. Der Ansicht des Klägers, daß von dieser Regelung zugleich der Status der in Deutschland tätigen Bediensteten gegenüber den deutschen Steuerbehörden berührt werden könne, vermag der Senat nicht zu folgen:
a) Eine solche Erstreckung der im Sitzabkommen getroffenen Regelung läßt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV) stützen. Diese Vorschrift besagt lediglich, daß bei der Auslegung eines internationalen Vertrags dessen Ziel und Zweck (Abs. 1) sowie die Modalitäten seines Abschlusses (Abs. 2) und seiner späteren Durchführung (Abs. 3) zu berücksichtigen sind. Davon, daß zwei verschiedene Verträge mit unterschiedlichem Wortlaut stets oder auch nur im Zweifel übereinstimmend auszulegen sind, ist dort nicht die Rede. Genau darum aber geht es im Streitfall: Der für den Kläger geltende Art. 16 Abs. 1 des Immunitätenprotokolls erklärt nur die "von der Organisation gezahlten Gehälter und Bezüge" für steuerfrei (Satz 1) und gestattet im übrigen ausdrücklich die Einbeziehung dieser Bezüge in den Progressionsvorbehalt (Satz 2), während Art. 14 Abs. 1 des Sitzabkommens neben den Tätigkeitsvergütungen (Buchst. c) sämtliche Einkommen aus Quellen außerhalb der Republik Österreich "von jeder Art von Besteuerung" freistellt (Buchst. d) und einen Progressionsvorbehalt insoweit nicht anspricht. Beide Regelungen weichen also in dem hier maßgeblichen Punkt deutlich voneinander ab, was nach den allgemein ―und auch im Völkerrecht― geltenden Auslegungsregeln eher gegen denn für eine übereinstimmende Reichweite der steuerlichen Begünstigung spricht. Jedenfalls aber läßt sich vor diesem Hintergrund aus Art. 31 WÜRV nichts zugunsten des Klägers herleiten.
b) Dasselbe gilt für den Vortrag des Klägers, daß sowohl die im Sitzabkommen getroffene Regelung als auch diejenige im Immunitätenprotokoll die Funktionsfähigkeit der Europäischen Patentorganisation und die Unabhängigkeit ihrer Bediensteten gewährleisten sollten und daß sich hieraus ein übereinstimmender Schutzumfang beider Bestimmungen ergebe. Es mag dahingestellt bleiben, ob die vorgesehenen steuerlichen Begünstigungen überhaupt der Unabhängigkeit der beim Europäischen Patentamt beschäftigten Personen dienen (vgl. hierzu Senatsbeschluß in BFH/NV 1996, 548) oder ob sie nicht lediglich auf eine Harmonisierung der Nettobezüge abzielen (Senatsurteil in BFH/NV 1991, 729, 730). Denn unabhängig von der Beantwortung dieser Frage bleibt jedenfalls der Umstand, daß die im Immunitätenprotokoll einerseits und im Sitzabkommen andererseits enthaltenen Bestimmungen wesentlich voneinander abweichen, die Art und Weise eines etwa bestehenden Unabhängigkeitsschutzes also unterschiedlich ausgestaltet ist. Ein Meistbegünstigungsgrundsatz des Inhalts, daß der weitergehende Schutz des speziell die österreichische Dienststelle betreffenden Abkommens ohne weiteres auch den in Deutschland tätigen Bediensteten zukommen müßte, läßt sich weder den Abkommen selbst noch den allgemeinen Regeln zur Auslegung internationaler Verträge entnehmen.
4. Soweit der Kläger sich auf eine Zusage des FA beruft, nach der seine Zinseinkünfte in Deutschland nicht zu besteuern seien, hat er eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage nicht in der gebotenen Form dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die bloße Angabe, daß das FG diese Rechtsfrage "nicht eingehend rechtlich durchleuchtet und korrekt entschieden" habe, reicht hierfür nicht aus. Von weiteren Ausführungen hierzu sowie zu dem übrigen Vortrag des Klägers wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 424927 |
BFH/NV 2000, 692 |