Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung wegen Erkrankung
Leitsatz (NV)
Bei einem Steuerberater ist die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wegen plötzlicher Erkrankung nur dann im Sinne von § 56 Abs. 1 FGO unverschuldet, wenn die Erkrankung nicht vorauszusehen und ihre Wirkung auch nicht durch vorsorgliche Maßnahmen, wie die Sicherung einer Vertretung, zu beseitigen war.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Gesellschafter sich nach den Ausführungen des Finanzgerichts (FG) zu einer Bauherrengemeinschaft nach dem ,,Kölner Modell" zur Errichtung einer Wohnanlage mit Eigentumswohnungen zusammengeschlossen haben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ gegen die Mitglieder der Klägerin als Feststellungsbeteiligte zuerst vorläufige einheitliche und gesonderte Feststellungsbescheide hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Veranlagungszeiträume 1975 bis 1977, die er nach einer Betriebsprüfung durch endgültige Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte änderte und an die Klägerin als Empfangsbevollmächtigte richtete.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das FG die von der Klägerin erhobene Klage als unbegründet ab. Das Urteil, das gegen die Klägerin erging, wurde am 14. Mai 1985 zugestellt.
Gegen die Vorentscheidung richtet sich die am 14. Juni 1985 beim FG eingegangene Revision der Klägerin. Die Revisionsbegründungsschrift ist dem Bundesfinanzhof (BFH) am 29. Juli 1985 zugegangen. Die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie trägt vor, in der Zeit vom 15. Juni bis 3. Juli 1985 mit ihrer Familie den Jahresurlaub an der holländischen Küste verbracht zu haben. Bei der Rückkehr aus dem Urlaub habe sie sich in einer Hochdruckkrise befunden, in der sie auf ärztliche Anordnung jegliche (aufregende) Tätigkeit habe unterlassen müssen. Sie habe daher erst am Wochenende vom 20. auf den 21. Juli 1985 eine normale belastende Tätigkeit wieder aufnehmen können. Sie legte mit dem am 5. September 1985 beim BFH eingegangenen Schriftsatz ein ärztliches Attest vom 23. August 1985 vor, aus dem hervorgeht, daß sie sich am 5. Juli 1985 wegen einer hochgradigen Hypertonie in Behandlung begeben habe. Es ist dort weiter ausgeführt: Die Patientin sei bereits zweimal im Verlauf der letzten drei Jahre wegen derselben Krankheit in Behandlung der Ärztin gewesen. Wegen des gefährlichen Zustandes habe sie der Patientin für die Zeit vom 5. Juli bis 19. Juli 1985 die Einhaltung strikter Ruhe verordnet, insbesondere Unterlassung belastender Berufstätigkeit. Seit dem 19. Juli 1985 sei die Anwältin wieder eingeschränkt arbeitsfähig, müsse jedoch täglich angemessene Ruhepausen einlegen.
Durch den Vorsitzenden des Senats auf das BFH-Urteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 203/81 (BFHE 140, 22, BStBl II 1984, 318) hingewiesen, änderte die Klägerin ihren ursprünglichen Antrag und beantragte, das Urteil des FG Köln vom . . . IX 442/81 F und die Einspruchsentscheidung des FA vom . . . für unzulässig zu erklären.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, weil die Begründung der Revision beim BFH verspätet eingegangen sei und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorlägen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), denn die Revisionsbegründungsfrist ist nicht gewahrt worden, und der Klägerin kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Im Streitfall endete die Revisionsbegründungsfrist am 15. Juli 1985 (§ 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die am 29. Juli 1985 bei Gericht eingegangene Revisionsbegründung ist verspätet.
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dem Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin kann nicht entsprochen werden, denn ihre Prozeßbevollmächtigte, deren Verschulden ihr zuzurechnen ist (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO), hat die Frist nicht unverschuldet versäumt.
Die Prozeßbevollmächtigte hat nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare zur Fristwahrung unternommen.
Krankheit ist nur dann ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Krankheit so schwer und unvermutet eintritt, daß der Betroffene dadurch gehindert ist, seine steuerlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen oder durch Dritte besorgen zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Februar 1960 III 246/58 U, BFHE 70, 451, BStBl III 1960, 168).
Ihrem eigenen Vortrag ist zu entnehmen, daß ihr Krankheitszustand nicht derart war, daß sie, wenn sie die Revision nicht begründen konnte, dann wenigstens einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hätte stellen können.
Wäre die Prozeßbevollmächtigte auch nicht in der Lage gewesen, einen kurzen Verlängerungsantrag einzureichen, wofür keine Anhaltspunkte bestehen, läge ihr Verschulden darin, daß sie es unterlassen hat, in geeigneter Form Vorsorge dafür zu treffen, daß die Revisionsbegründungsfrist nicht versäumt wurde. Die Prozeßbevollmächtigte ist von Berufs wegen mit der Bearbeitung der ihr anvertrauten Sachen befaßt; bei ihr ist eine plötzliche Erkrankung nur dann eine Entschuldigung, wenn die Erkrankung nicht vorauszusehen und ihre Wirkung auch nicht durch vorsorgliche Maßnahmen, wie die Sicherung einer Vertretung, zu beseitigen waren (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1968 VI R 76/67, BFHE 92, 320, BStBl II 1968, 585). Die früheren, gleichliegenden Erkrankungen der Prozeßbevollmächtigten geboten, Vorkehrungen gegenüber einem Wiederholungsfall zu treffen.
Fundstellen
Haufe-Index 414549 |
BFH/NV 1986, 620 |