Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung auf Stundung von Lohnsteuerabzugsbeträgen
Leitsatz (NV)
1. Der Senat läßt offen, ob und ggfalls unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber die Stundung von Lohnsteuerabzugsbeträgen verlangen kann und ob ein derartiger Stundungsantrag mit der Entrichtung der Abzugsbeträge in der Hauptsache erledigt ist.
2. Zur Darlegung eines Anordnungsgrundes (einstweilige Anordnung) betreffend die zinslose Stundung von Lohnsteuerabzugsbeträgen wegen eines dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer abgetretenen Einkommensteuererstattungsanspruchs.
Normenkette
FGO § 114; AO 1977 § 222
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, meldete am 12. Januar 1988 mit der Lohnsteueranmeldung für Dezember 1987 auf ihren alleinigen Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter entfallende Lohn- und Kirchensteuer in Höhe von ca. 74 000 DM an. Gleichzeitig beantragte sie, diesen Betrag bis zur Durchführung der Einkommensteuerveranlagung 1987 dieses Gesellschafters zinslos zu stunden und fügte eine Anzeige bei, derzufolge ihr ein dem Gesellschafter angeblich zustehender Erstattungsanspruch abgetreten worden sei.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt A - FA -) lehnte den Antrag am 15. Januar 1988 mit der Begründung ab, dem für die Einkommensteuerveranlagung des Gesellschafters jetzt zuständigen FA B liege die Einkommensteuererklärung des Gesellschafters noch nicht vor.
Einen weiteren Stundungsantrag vom 20. Januar 1988, dem die Einkommensteuererklärung 1987 des Gesellschafters beigefügt war, lehnte das FA am 25. Januar 1988 mit der Begründung ab, die zuständigkeitshalber an das FA B weitergeleitete Einkommensteuererklärung sei noch nicht bearbeitet. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) am 21. März 1988 hinsichtlich der Kirchensteuer als unzulässig und im übrigen als unbegründet zurück. Die hiergegen erhobene Klage ist vor dem Finanzgericht (FG) unter dem Az. . . . anhängig.
Die Antragstellerin hat am 6. April 1988 beim FG beantragt,
1. ihr im Wege der einstweiligen Anordnung ohne Sicherheitsleistung vorläufig Rechtsschutz zu gewähren durch vorläufige Stundung, hilfsweise Vollstreckungsaufschub der Lohnsteuerhaftungsbeträge für den Lohnsteueranmeldezeitraum Dezember 1987,
2. hilfsweise die einstweilige Anordnung gegen Sicherheitsleistung gemäß § 241 der Abgabenordnung (AO 1977) zu treffen,
3. den Antragsgegner über die OFD anzuweisen, vorläufig Stundung zu gewähren und Vollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen.
Sie trug vor, wegen der Stundungen in den Vorjahren seien für die streitigen Anmeldungssteuern keine Mittel vorgehalten worden. Vollstreckungsmaßnahmen würden ihrer Bonität bei Banken und Geschäftspartnern einen irreparablen Schaden zufügen. Die begehrte Stundung sei wegen der Ermessensreduzierung auf Null die einzige rechtmäßige Maßnahme, die wegen der besonderen Dringlichkeit durch einstweilige Anordnung durchgesetzt werden müsse.
Das FG wies den Antrag auf einstweilige Anordnung als zumindest unbegründet zurück.
Mit der Beschwerde vom 24. Mai 1988 beantragt die Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufigen Rechtsschutz durch Stundung der angegebenen Beträge - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - zu gewähren.
Das FA B hat am 2. Juni 1988 die Einkommensteuererklärung 1987 des Geschäftsführers bearbeitet. Der Bescheid vom 30. Juni 1988 führte zu einer Erstattung in Höhe von ca. 16 000 DM. Diese hat das FA wegen vorgehender Abtretungen nur in Höhe von ca. 7 500 DM mit der Anmeldungsschuld Dezember 1987 verrechnet. Den Restbetrag hat die Antragstellerin entrichtet. Einem zwischenzeitlichen erneuten Stundungsantrag hat das FA teilweise - in Höhe von ca. 7 500 DM mit Wirkung vom 2. Juni 1988 - entsprochen und den vorliegenden Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, eine Erledigung sei nicht eingetreten, da nicht alle im Streit befindlichen Sachfragen durch ein nachträglich erledigendes Ereignis gegenstandslos geworden seien.
In der Sache trägt sie vor, es habe ein Anspruch auf die beantragte Stundung bestanden.
Aus den vorgelegten Steuererklärungen 1986 und 1987 und sonstigen Unterlagen des Geschäftsführers für die Jahre 1983 bis 1987 sei ersichtlich, daß sich ein Erstattungsbetrag in Höhe der zu stundenden angemeldeten Lohnsteuer ergebe. Der Hinweis des FA, daß gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 vom 30. Juni 1988 kein Einspruch eingelegt worden sei, sei irreführend, da der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sei. Tatsächlich habe der Geschäftsführer nach Ergehen dieses Bescheids unter Vorlage weiterer Nachweise die Berücksichtigung von Verlusten aus den Vorjahren beantragt. Diese seien nur deshalb außer Ansatz geblieben, weil die Einkommensteuererklärungen der Vorjahre durch den damals noch als Wohnsitz-FA des Geschäftsführers zuständigen Beschwerdegegner mangelhaft bearbeitet worden seien.
Der zum 31. Dezember 1987 entstandene Erstattungsanspruch wäre in beantragter Höhe mit Ergehen des Einkommensteuerbescheids 1987 alsbald fällig geworden. Aus Gründen einer gerechten Besteuerung hätte die Bearbeitung sofort beschleunigt durchgeführt werden müssen, da die Situation des Arbeitnehmers prinzipiell duch Nachteile gekennzeichnet sei. Dadurch solle nicht das bestehende Lohnsteuerabzugssystem aufgeweicht werden. Es sei aber zu berücksichtigen, daß die Finanzbehörde hinreichend durch die Möglichkeit einer Haftungsinanspruchnahme des Arbeitgebers und dessen Geschäftsführers gesichert sei. Zudem sei zwischenzeitlich eine Bankbürgschaft als Sicherheit eingereicht worden. Eine Stundung sei um so angebrachter gewesen, als sie in den Vorjahren bei vergleichbarer Situation jeweils gewährt worden sei. Es sei ihr nicht bekannt gewesen, daß diese Praxis nicht beibehalten würde. Jedenfalls habe das FA für diese Behauptung nicht Beweis angetreten.
Es sei auch die Abtretung formell und materiell ordnungsgemäß erfolgt. Aber selbst ohne diese sei eine Vollstreckung wegen der streitigen Lohnsteueranmeldung nicht in Betracht gekommen. Die Abführungsschuld sei inhaltlich eine Haftungsschuld, die eine entsprechende Steuerschuld des Arbeitnehmers voraussetze (Akzessorietät der Haftung). Wie dargelegt, habe letztere nicht bestanden, weshalb jedenfalls nach Ablauf des Kalenderjahres keine über die endgültige Einkommensteuerschuld hinausgehende Lohnsteuer habe angefordert werden dürfen. Aus dem Umstand, daß sie, die Antragstellerin, die Stundung in ihrer Eigenschaft als Haftungsschuldnerin beantragt habe, folge weiterhin, daß die Stundung nicht für Fremdgelder begehrt worden sei. Denn ein Haftungsschuldner habe aus eigenem Vermögen zu leisten.
Die einstweilige Anordnung erscheine nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Diese beständen darin, daß mit einer Vollstreckung ein Bonitätsverlust eintreten würde, da flüssige Mittel mit Rücksicht auf die bisherige Stundungspraxis nicht vorgehalten worden seien. Der Verkauf von Wertpapieren sei ausgeschieden, da die Papiere zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteueranmeldungsschuld weit unter den Anschaffungskosten hätten veräußert werden müssen. Unverständlich sei der Einwand, sofern der abgetretene Einkommensteuererstattungsanspruch bestanden hätte, hätte er bei einer Kreditbeschaffung eingesetzt werden können. Die zur Prüfung und Feststellung des Erstattungsanspruchs erforderlichen Unterlagen lägen nämlich nur den Finanzbehörden vor. Die Abtretungsanzeige sei bei einer Kreditbeschaffung nicht verwendbar.
Im übrigen sei als anderer Grund i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bereits die Rechtswidrigkeit der Stundungsablehnung anzusehen, da das FA auf der ,,Haftungsebene" die Zahlung von Lohnsteuer in Kenntnis der Tatsache verlange, daß der Betrag sofort wieder zu erstatten sei, wobei eine Verzögerung der Erstattung allein vom FA zu vertreten sei.
Das FA ist der Ansicht, daß weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund bestehe. Insbesondere hätten der Antragstellerin keine wesentlichen Nachteile gedroht, da ihre eigenen Interessen nicht berührt worden seien. Sie habe nur Steuern ihres Arbeitnehmers, die sie von dessen Lohn einbehalten habe, abführen müssen. Wenn sie über keine flüssigen Mittel verfügt habe, dann nur deshalb, weil sie ihrem Geschäftsführer das Entgelt für die Abtretung eines Einkommensteuererstattungsanspruchs bereits ausgezahlt habe, bevor das FA als Schuldner die Berechtigung des Anspruchs bestätigt habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Es kann dahinstehen, ob mit der Entrichtung der geschuldeten Steuer der Rechtsstreit über eine beantragte Stundung dieser Steuer in der Hauptsache erledigt ist (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. September 1966 I 204/65, BFHE 86, 810, BStBl III 1966, 694 gegenüber FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Oktober 1978 V 166/78, Entscheidung der Finanzgerichte - EFG - 1979, 134). Sofern dies der Fall wäre, müßte die Beschwerde schon deswegen als unbegründet zurückgewiesen werden, weil das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin für die Weiterverfolgung ihres Anspruchs entfallen wäre und sie nicht die dann gebotenen prozessualen Konsequenzen (Erklärung der Erledigung der Hauptsache) gezogen hätte (BFH-Beschluß vom 30. März 1989 VII B 26/89, BFH/NV 1989, 794).
2. Jedenfalls ist die Beschwerde deshalb unbegründet, weil von der Antragstellerin ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden ist.
Die Antragstellerin begehrt eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt"; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Solche Anordnungsgründe sind im allgemeinen nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.
Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, sowie eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind - für sich allein gesehen - keine Anordnungsgründe (BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Der Steuerschuldner muß deshalb die Vollstreckung aus Steuerbescheiden grundsätzlich dulden. Er kann allenfalls mit dem Geltendmachen von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung oder einer Zwangsvollstreckung hinausgehen (BFH-Beschlüsse vom 25. November 1986 VII B 123/86, BFH/NV 1987, 522, und vom 7. November 1989 VII B 123/89, nicht veröffentlicht - NV -).
Gründe, die bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs von Bedeutung sind, vermögen den Anordnungsgrund selbst dann nicht zu ersetzen, wenn mit ihnen der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sein sollte. Denn der Anordnungsgrund wird nicht bestimmt oder mitbestimmt durch das Maß der Erfolgsaussichten des Anordnungsanspruchs (BFH-Beschlüsse vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, 640, und vom 6. Juni 1989 VII B 25/89, BFH/NV 1990, 77).
3. Die Antragstellerin hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, daß ihr durch die Ablehnung einer zinslosen Stundung die oben genannten schwerwiegenden Nachteile entstehen könnten. Insbesondere hat sie nicht behauptet, daß ihr ein Kredit in der benötigten Höhe nicht eingeräumt werden würde. Des weiteren hat die Antragstellerin auch nicht dargelegt, daß die Verwertung eigenen Vermögens, beispielsweise der von ihr angesprochenen Wertpapiere, zu einer Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz führen würde. Hinzu kommt, daß nach Entrichtung der streitigen Beträge eine Vollstreckung nicht mehr drohte, das Interesse an der einstweiligen Anordnung sich also darauf beschränkte, den mit einer Stundung gegenüber dem bloßen Vollstreckungsaufschub verbundenen Vorteil zu erreichen. Da sich die maßgebende Situation insofern geändert hat, hätte die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes weiterer Darlegungen bedurft (BFH-Beschluß vom 9. Januar 1989 VII B 176/88, BFH/NV 1989, 592), etwa dahingehend, daß die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin bei Ablehnung des besagten Vorteils bedroht und eine einstweilige Anordnung deshalb unabweisbar sei. Solche Darlegungen sind nicht erfolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 417224 |
BFH/NV 1991, 77 |