Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauen in Gewährung einer verlängerten Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
- Verschulden eines Rechtsmittelführers liegt nicht darin, dass er es unterlässt, sich vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nach dem Schicksal eines vor Ablauf der Frist gestellten Fristverlängerungsantrages zu erkundigen, sofern der Rechtsmittelführer nach der bei dem Gericht bestehenden Praxis davon ausgehen darf, dass seinem Antrag stattgegeben werde oder dem Antrag bei richtiger Handhabung stattgegeben werden musste. Ein Rechtsmittelführer, der eine Fristverlängerung um einen bestimmten Mindestzeitraum beantragt und eine darüber hinaus gehende Fristverlängerung ins Belieben des Rechtsmittelgerichts gestellt hat, darf hingegen nicht blind darauf vertrauen, das Gericht werde die Frist länger als von ihm begehrt verlängern.
- Eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist kann nur auf einen vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellten Antrag gewährt werden; die Umdeutung eines Wiedereinsetzungsantrags in einen Antrag auf Fristverlängerung kommt deshalb nicht in Betracht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat wegen angeblicher Verletzung des Steuergeheimnisses durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) Feststellungs- und Unterlassungsklage erhoben. Die Klage ist von dem Finanzgericht (FG) abgewiesen, die Revision gegen dieses Urteil jedoch zugelassen worden. Der Kläger hat gegen das Urteil rechtzeitig Revision eingelegt und beantragt, die am 13. Januar 2000 ablaufende Revisionsbegründungsfrist wegen "unfallbedingter Dienstverhinderung" um mindestens einen Monat zu verlängern. Diese Fristverlängerung sowie eine weitere, vom Kläger unter Bezugnahme auf "die mitgeteilten Gründe" beantragte Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um 14 Tage ist dem Kläger von dem Vorsitzenden des beschließenden Senats gewährt worden. Am Tage des danach maßgeblichen Fristablaufs hat der Kläger mitgeteilt, "die mitgeteilten Gründe" bestünden weiterhin, und erneut darum gebeten, die Revisionsbegründungsfrist "um mindestens zwei Wochen" zu verlängern. Der Vorsitzende des beschließenden Senats hat auch diese Verlängerung bis zum 14. März 2000 gewährt. Die Revisionsbegründung ist jedoch bis zu diesem Tage nicht beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.
Mit am 20. März 2000 eingegangenem Schreiben hat sich der Kläger nach der Entscheidung über seinen (letzten) Fristverlängerungsantrag erkundigt und gebeten mitzuteilen, bis zu welchem Termin die Revisionsbegründungsfrist verlängert worden sei. Nachdem ihm daraufhin von der Geschäftsstelle des beschließenden Senats mitgeteilt worden war, die Frist sei antragsgemäß bis 14. März 2000 verlängert worden, hat der Kläger unter Vorlage seiner Revisionsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Revisionsbegründungsfrist beantragt und dazu vorgetragen, vor jener Mitteilung habe er eine Nachricht von der Verlängerung der Frist bis zum 14. März 2000 nicht erhalten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und daher nach § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Der Kläger hat die Frist des § 120 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz FGO versäumt. Die deshalb an sich mögliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ihm nach § 56 Abs. 1 FGO nicht zu gewähren.
Denn die eigene Sachdarstellung des Klägers als zutreffend unterstellt, hat dieser sich, ohne auf seinen (dritten) Fristverlängerungsantrag vom BFH Nachricht über eine weitere Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist erhalten zu haben, bis zum 20. März 2000 ―also rd. drei Wochen über das ihm als nach zweiter Verlängerung der Frist mitgeteilte maßgebliche Ende der Revisionsbegründungsfrist hinaus― um die Begründung seiner Revision nicht gekümmert. Dieses Verhalten des Klägers ist grob nachlässig und nicht nach § 56 Abs. 1 FGO zu entschuldigen. Denn der Kläger konnte nicht erwarten, dass die Revisionsbegründungsfrist bis über den 20. März 2000 hinaus verlängert worden war, ohne dass ihm davon Mitteilung gemacht worden wäre und ohne dass er eine so weitgehende Fristverlängerung überhaupt ausdrücklich beantragt hätte oder die von ihm ohnehin nur vage bezeichneten Gründe für das Bedürfnis nach einer Fristverlängerung eine solche Entscheidung des Vorsitzenden des beschließenden Senats verlangt oder auch nur nahe gelegt hätten.
Nach den Entscheidungen des BFH vom 10. Dezember 1974 VIII R 128/70 (BFHE 114, 330, BStBl II 1975, 338) und vom 30. August 1994 VII R 1/94 (BFH/NV 1995, 515) ist zwar Verschulden eines Rechtsmittelführers nicht darin zu erblicken, dass er es unterlässt, sich vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nach dem Schicksal eines von ihm rechtzeitig (d.h. vor Ablauf der Frist) gestellten Fristverlängerungsantrages beim BFH zu erkundigen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Rechtsmittelführer nach der bei dem Gericht bestehenden Praxis davon ausgehen darf, dass seinem Fristverlängerungsantrag stattgegeben werde (Senatsurteil in BFH/NV 1995, 515, m.w.N.), oder dem Fristverlängerungsantrag bei richtiger Handhabung des § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO stattgegeben werden musste, insbesondere etwa weil es sich um einen ersten, mit wichtigen Gründen versehenen Fristverlängerungsantrag handelte (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1989 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372). Es liegt hingegen auf der Hand, dass ein Rechtsmittelführer, der eine Fristverlängerung um einen bestimmten Mindestzeitraum ―hier: zwei Wochen― beantragt und eine darüber hinausgehende Fristverlängerung ins Belieben des Rechtsmittelgerichts gestellt hat (wohingehend hier die Verwendung des Wortes "mindestens" allenfalls zu verstehen ist), nicht blind darauf vertrauen darf, das Gericht werde die Frist länger als von ihm ausdrücklich ("mindestens") begehrt verlängern, obwohl er für die Berechtigung einer solchen Erwartung keinerlei konkrete Anhaltspunkte hat. In einem solchen Fall muss sich der Rechtsmittelführer vielmehr bei dem Rechtsmittelgericht danach erkundigen, bis zu welchem Zeitpunkt die Frist nach Verlängerung läuft und ob sie trotz des Fehlens eines ausdrücklichen Antrags in dem von ihm erhofften Umfange verlängert worden ist (vgl. auch Beschluss des Senats vom 13. August 1998 VII R 111/97, BFH/NV 1999, 326). Das gilt erst recht in dem hier vorliegenden Fall, dass die Frist bereits mehrfach verlängert worden ist.
Bei alledem steht im Übrigen für sich, dass der Kläger zwar behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht hat, dass er von der Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (nur) bis zum 14. März 2000 keine Kenntnis erhalten habe und folglich an der Einhaltung dieser Frist schuldlos gehindert gewesen sei. Der Kläger hat insbesondere nicht nachvollziehbar dargestellt und glaubhaft gemacht, weshalb er das Ausbleiben einer Mitteilung des BFH auf seinen Fristverlängerungsantrag zunächst nicht zum Anlass für Nachforschungen genommen hat, dann aber, nachdem die von ihm selbst in seinem Antrag ausdrücklich benannte Frist verstrichen war, auf den Vorgang wieder aufmerksam geworden sein will.
Da eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO nur auf einen vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellten Antrag gewährt werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 14. August 1997 III R 35/96, BFH/NV 1998, 332), kommt die Umdeutung des vom Kläger gestellten Wiedereinsetzungsantrags in einen weiteren Antrag auf Fristverlängerung von vornherein nicht in Betracht, so dass unerörtert bleiben kann, ob durch die bloße pauschale Bezugnahme auf die "mitgeteilten Gründe" einer "unfallbedingten Dienstverhinderung" Gründe für eine Fristverlängerung ausreichend bezeichnet wären.
Fundstellen