Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH; Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist; Anwendung der AO beim Kindergeld ab 1. Januar 1996
Leitsatz (NV)
- Zu den Voraussetzungen einer PKH-Gewährung bei Versäumung der Beschwerdefrist.
- Die Übernahme des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht zum. 1. Januar 1996 hat zur Folge, daß im Verwaltungsverfahren die Abgabenordnung (AO 1977) anstelle des Sozialgesetzbuches (SGB) X anzuwenden ist.
Normenkette
EStG §§ 31, 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1; AO 1977 § 1 Abs. 1, § 37 Abs. 1, §§ 91, 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; FGO § 142; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; ZPO §§ 114, 117
Tatbestand
Das Finanzgericht wies die Klage des Klägers und Antragstellers (Kläger) wegen Kindergeld ab. Zur Begründung führte es an, das Arbeitsamt -Familienkasse- (Beklagter und Beschwerdegegner) habe ab Februar 1998 für den Sohn X zu Recht kein Kindergeld mehr gezahlt, da dieser der Arbeitsvermittlung im Inland ab diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden habe (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Der Sohn habe sein Bewerberangebot nach drei Monaten nicht erneuert. Die Familienkasse habe auch das Recht des Klägers auf vorherige Anhörung (§ 91 der Abgabenordnung --AO 1977--) nicht verletzt; bereits in einem früheren Bescheid habe die Familienkasse darauf hingewiesen, daß die Zahlung des Kindergeldes einzustellen sei, wenn die rechtzeitige Äußerung gegenüber der Arbeitsvermittlung unterbleibe.
Der Kläger hat durch einen nicht postulationsfähigen Vertreter Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, für die er zugleich Prozeßkostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Prozeßbevollmächtigten beantragt.
Zur Begründung führt der Kläger im wesentlichen an, die Familienkasse sei verpflichtet gewesen, ihn über den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG vor Erlaß des Aufhebungsbescheids zu hören (§ 91 AO 1977).
Entscheidungsgründe
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH ist abzulehnen, weil das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, für das PKH beantragt wird, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung --ZPO--).
Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) muß sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen (Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs --BFHEntlG--). Dies gilt --wie auch die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausweist-- ebenfalls für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFHEntlG). Im Streitfall hat der Kläger die Beschwerde durch einen Vertreter einlegen lassen, der nicht zu den aufgeführten Berufsgruppen zu rechnen ist. Fehlt es demnach an dem Erfordernis der ordnungsgemäßen Vertretung (sog. Postulationsfähigkeit), so ist die betreffende Prozeßhandlung --hier die Beschwerde-- unwirksam.
Allerdings kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren sein, wenn der Beteiligte wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, das Rechtsmittel fristgerecht durch einen postulationsfähigen Vertreter einlegen zu lassen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt aber voraus, daß der Beteiligte innerhalb der maßgeblichen Rechtsmittelfrist nicht nur den Antrag auf Bewilligung von PKH stellt, sondern gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung der entsprechenden Belege vorlegt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 23. Februar 1998 XI S 2/98, BFH/NV 1998, 1000).
Diesen Erfordernissen ist der Kläger indessen nicht hinreichend nachgekommen. Er hat zwar die bezeichnete Erklärung auf dem vorgeschriebenen Formblatt (§ 117 Abs. 3 und 4 ZPO) fristgerecht eingereicht. Außer seinem Einkommensteuerbescheid für 1998 hat der Kläger aber keine schriftlichen Unterlagen und Belege zur Glaubhaftmachung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.
Im übrigen erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung aber auch nicht erfolgversprechend. Seit der Systemumstellung des Kindergeldrechts und dessen Übernahme in das Einkommensteuerrecht wird das Kindergeld als Steuervergütung gezahlt (§ 31 Satz 3 EStG). Entgegen der Ansicht des Klägers hat dies verfahrensrechtlich zur Folge, daß im Verwaltungsverfahren ausschließlich die AO 1977 an Stelle des Sozialgesetzbuches X anzuwenden ist (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 AO 1977). Selbst wenn die Familienkasse die Sollvorschrift des § 91 AO 1977 (Recht auf Anhörung) verletzt haben sollte, so führte dieser Verfahrensfehler nicht zur Nichtigkeit des Aufhebungsbescheids. Im übrigen kann eine unterlassene Anhörung bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt und damit der Verfahrensfehler geheilt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO 1977; vgl. BFH-Urteil vom 28. August 1990 VII R 59/89, BFH/NV 1991, 215).
Dem Kläger wird Gelegenheit eingeräumt, die Erfolgsaussichten seiner Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu überprüfen. Bei einer Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde würden keine Gerichtsgebühren entstehen.
Dieser Beschluß ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 302707 |
BFH/NV 2000, 39 |