Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausschüttung einer GmbH auf eine im Privatvermögen gehaltene Beteiligung ist oder bleibt bei dem Gesellschafter auch dann eine Einnahme aus Kapitalvermögen, wenn der Gewinnverteilungsbeschluß rückgängig gemacht werden kann oder aufgehoben wird.
2. Für den Zufluß der Ausschüttung nach Nr. 1 bei dem Gesellschafter ist es unerheblich, ob gleichzeitig mit der Ausschüttung oder später ein Rückforderungsanspruch der Gesellschaft entsteht.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger - Eheleute - (Kläger) sind Gesellschafter einer GmbH, an der außer ihnen ihre drei Kinder beteiligt waren.
Am 28. Mai 1964 stellte die Gesellschafterversammlung den Gewinn der GmbH für 1963 auf 32 181,28 DM fest und beschloß zugleich, aus dem Reingewinn einschließlich des Gewinnvortrags von 505 684,93 DM gemäß § 19 Abs. 3 KStG 101 940 DM anteilig auszuschütten. Der auf die Kläger entiallende Anteil betrug 94 202,76 DM und wurde am 7. Juli 1964 auf dem bei der GmbH für den Kläger geführten Privatkonto gutgeschrieben. Nachdem bei einer Betriebsprüfung bei der GmbH für 1963 ein steuerlicher Verlust von 222 930 DM ermittelt worden war, stellte die Gesellschafterversammlung am 26. Oktober 1965 den Gewinn der GmbH für 1963 auf 43 479,57 DM fest und beschloß, die aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 28. Mai 1964 ausgeschütteten Beträge den Gesellschaftern als Darlehen zu überlassen und keinen Gewinn auszuschütten.
In ihrer Einkommensteuererklärung für 1964 führten die Kläger aus, daß ihnen aufgrund des Beschlusses vom 28. Mai 1964 ein Gewinn zugesprochen und nach Abzug der Kapitalertragsteuer ausbezahlt worden sei. Da nach Verabschiedung des endgültigen Abschlusses für 1963 der frühere Gewinnausschüttungsbeschluß ersatzlos aufgehoben worden sei, müsse der ausgeschüttete Betrag als Darlehen angesehen werden und könne deshalb nicht unter den Einkünften angesetzt werden. Demgegenüber kam der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zu der Auffassung, der ausgeschüttete Betrag sei den Klägern zugeflossen und den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Dementsprechend erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für 1964.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG führte in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 521 (EFG 1974, 521) veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus:
Für die Frage, ob und wann der den Klägern aufgrund des Gewinnverteilungsbeschlusses vom 28. Mai 1964 gutgeschriebene Betrag als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen sei, könne dahingestellt bleiben, ob dieser Beschluß nichtig oder anfechtbar gewesen sei. Es komme allein darauf an, ob die Gewinnanteile den Klägern in 1964 i. S. von § 11 EStG zugeflossen seien. Das sei der Fall. Mit der Gutschrift des Betrags auf dem bei der Gesellschaft geführten Privatkonto sei den Klägern eine jederzeit realisierbare Geldforderung erwachsen, über die sie auch verfügt hätten. Der so eingetretene Zufluß sei nicht mit Wirkung für 1964 dadurch weggefallen, daß am 26. Oktober 1965 beschlossen worden sei, für 1963 keinen Gewinn auszuschütten und die zugeflossenen Gewinnanteile als Darlehen zu behandeln. Selbst wenn der Beschluß von 1964 handelsrechtlich einwandfrei aufgehoben worden sein sollte, könne ein Rückgängigmachen der Gewinnverteilung nur dann steuerrechtlich anerkannt werden, wenn die zuerst vorgenommene Maßnahme sich nicht bereits steuerlich ausgewirkt habe. Dies treffe hier jedoch nicht zu, weil der Gewinnanteil den Klägern in 1964 zugeflossen sei. Der Aufhebungsbeschluß könne allenfalls die Bedeutung eines Rückflusses durch Umwandlung in ein Darlehen mit steuerlichen Folgen in 1965 haben.
Mit der Revision wird unrichtige Anwendung der §§ 133 BGB, 5 Abs. 3 bis 5 StAnpG, 11 und 20 EStG gerügt und dazu vorgebracht:
Das FG habe es unterlassen, den Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 28. Mai 1964 festzustellen und auszulegen. Geschehe dies, so ergebe sich, daß nur der nach § 19 KStG begünstigte steuerliche Gewinn habe ausgeschüttet werden sollen. Werde dann - wie im vorliegenden Fall - durch die Betriebsprüfung festgestellt, daß kein steuerlicher Gewinn vorhanden sei, sei der Beschluß dahin zu werten, daß nichts ausgeschüttet werde. Die dennoch vorgenommene Auszahlung sei ein Zufluß ohne Rechtsgrund und kein Dividendenzufluß. Das FG habe es außerdem unterlassen, den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt einer stillschweigend vereinbarten Steuerklausel zu untersuchen. Bei einer solchen Klausel komme Maßnahmen wie der Anfechtung oder der Vereinbarung, ein Anfechtungsverfahren zu vermeiden, eine Rückwirkung in dem Sinne zu, daß die bisherige Besteuerungsgrundlage entfalle. Das habe auch im Streitfall zu gelten. Der Beschluß vom 26. Oktober 1965 sei nur deklaratorisch, nachdem der Beschluß vom 28. Mai 1964 unmittelbar nach Bekanntwerden des Betriebsprüfungsergebnisses seine rechtliche Wirkung verloren habe.
Mit der Revision wird beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer 1964 ohne Berücksichtigung der Gewinnausschüttung festzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zu Recht haben das FA und das FG den in Rede stehenden Betrag als Einkünfte aus Kapitalvermögen und als im Streitjahr steuerlich zu erfassen angesehen.
1. Dem FG ist darin beizutreten, daß die Kläger den Betrag von der GmbH im Rahmen ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen erhalten haben.
Zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören Gewinnanteile (Dividende) und andere Kapitalerträge, die der Gesellschafter einer GmbH erhalten hat oder deren Ausschüttung von der Gesellschaft beschlossen wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 15. Juli 1975 VIII R 61/71, BFHE 116, 490, BStBl II 1975, 815, mit weiteren Nachweisen) ist als Kapitalertrag jede Zuwendung der Kapitalgesellschaft an den Gesellschafter anzusehen, durch die das Vermögen der Gesellschaft ohne Kapitalherabsetzung gemindert wird, wobei es gleichgültig ist, ob die Zuwendung dem Reingewinn der Gesellschaft entspricht oder das Vorhandensein von Reserven oder andere Umstände die Ausschüttung ermöglichen. Für die Einordnung einer Einnahme unter die Einkunftsart Kapitalvermögen ist es unerheblich, ob aufgrund eines ordnungsgemäß gefaßten Gewinnverteilungsbeschlusses geleistet wurde oder ob der Gewinnverwendungsbeschluß seinem Inhalt nach so ergehen durfte oder sollte. Wurde aufgrund eines fehlerhaften Gesellschafterbeschlusses ausgeschüttet, dann können sich daraus zwar Rückgewähransprüche der GmbH gegenüber den Empfängern ergeben, sei es kraft Gesetzes wie aus den §§ 31 und 32 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), sei es aufgrund von Satzungsklauseln (vgl. dazu z. B. Tillmann in Eder, Berg, Tillmann, Gaul, Handbuch der GmbH, 6. Aufl., III Tz. 433 ff.). Der Umstand, daß etwas ohne Rechtsgrund geleistet wurde und deshalb zurückzugewähren ist, ändert aber nichts an der Zuordnung einer Einnahme zu der Einkunftsart Kapitalvermögen. Ohne Einfluß auf die Zurechnung zu dieser Einkunftsart bei dem Empfänger der Ausschüttung ist es auch, ob der Gewinnverteilungsbeschluß rückgängig gemacht werden kann oder aufgehoben wird. Dies ist ertragsteuerrechtlich nur für die Kapitalgesellschaft von Bedeutung, insbesondere für die Frage, ob eine begünstigte Ausschüttung i. S. von § 19 Abs. 3 KStG gegeben ist. Davon, ob die Gesellschaft eine berücksichtigungsfähige Ausschüttung vorgenommen hat mit der Folge, daß sie den begünstigten Steuersatz nach § 19 Abs. 3 KStG in Anspruch nehmen kann, ist die hier allein maßgebende Frage zu unterscheiden, ob oder wann dem Gesellschafter ein Kapitalertrag zugeflossen ist, der der Einkommensteuer unterliegt.
Diesen Grundsätzen über die Einordnung einer Einnahme in eine Einkunftsart entspricht es, wenn das FG den hier umstrittenen Betrag als Kapitalertrag der Kläger angesehen hat. Dieser Betrag wurde aus dem Vermögen der GmbH geleistet, ohne daß eine Kapitalherabsetzung vorlag. Ob der Gewinnverwendungsbeschluß vom 28. Mai 1964 fehlerhaft war oder rückgängig gemacht wurde, brauchte das FG in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen.
2. Frei von Rechtsirrtum ist auch die Annahme des FG, daß der Kapitalertrag den Klägern im Streitjahr zugeflossen und deshalb in diesem Veranlagungszeitraum steuerlich zu erfassen ist.
Die Frage des Zufließens von Kapitalerträgen ist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. Urteil vom 30. Januar 1975 IV R 190/71, BFHE 115, 559, BStBl II 1975, 776, mit weiteren Nachweisen) gelten i. S. von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG Einnahmen als zugeflossen, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat. Ein Zufluß von Einnahmen ist danach auch in den Fällen anzunehmen, in denen noch nicht zweifelsfrei feststeht, ob die Einnahmen dem Empfänger endgültig verbleiben. Stellt sich später heraus, daß der Empfänger den ihm zunächst zugegangenen Wert nicht endgültig behalten darf, sondern in einem späteren Veranlagungszeitraum zurückgewähren oder weiterleiten muß, so ist dieser Vorgang in dem späteren Veranlagungszeitraum nach der den Vorschriften des § 5 StAnpG vorangehenden Systematik des § 11 EStG zu berücksichtigen.
Der Senat hat keinen Anlaß, von diesen Grundsätzen, wie sie insbesondere hinsichtlich des Zuflusses und der späteren Rückgewährung in dem BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S (BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184) ausgesprochen wurden, für den Fall abzugehen, daß gleichzeitig mit der Ausschüttung eines Kapitalertrags durch eine GmbH oder später ein Rückforderungsanspruch der Gesellschaft entsteht und dieser im Veranlagungszeitraum der Ausschüttung nicht mehr befriedigt wird. Wenn die Kläger dazu unter Berufung auf Meinungen in der Literatur (vgl. z. B. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 4 EStG, Anm. 34 g und r; Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 41 AO 1977, Tz. 23) die Auffassung vertreten, in einem solchen Fall fehle es wirtschaftlich an einer Einnahme mit der Folge, daß weder ein Zufluß noch spätere negative Einnahmen oder Werbungskosten anzunehmen seien, dann ist dem nicht so allgemein zu folgen. Der Begriff der Einnahmen i. S. von § 11 EStG erfordert nicht, daß dem Empfänger ein Wert endgültig verbleibt; von Einnahmen ist auch dann zu reden, wenn der Empfänger über einen Wert vorübergehend wirtschaftlich verfügen kann. Hinsichtlich des Merkmals der wirtschaftlichen Verfügungsmöglichkeit ist bei der hier zu untersuchenden Frage zu berücksichtigen, daß der bei oder nach einer Ausschüttung durch eine GmbH mögliche Rückforderungsanspruch unterschiedliche Wirkungen haben kann. Die nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung möglichen Ansprüche, die in erster Linie dem Gläubigerschutz dienen, greifen im Fall des § 32 GmbHG gegen den gutgläubigen Empfänger nicht durch. Die Ansprüche aufgrund von Satzungsklauseln können, je nach dem Inhalt dieser Klauseln, bereits mit der Ausschüttung oder erst später entstehen (vgl. dazu im einzelnen Tillmann, a. a. O.). Allen Ansprüchen ist gemeinsam, daß sie erst einmal gegen den Empfänger geltend gemacht werden müssen - was in aller Regel nicht mehr im Jahr der Ausschüttung geschieht -, um zu einer Rückgewährung zu gelangen. Ob oder wann die GmbH einen Rückforderungsanspruch zu aktivieren hat, ist für die Frage nach der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Empfängers zumindest dann bedeutungslos, wenn dieser seine Beteiligung im Privatvermögen hält, weil es dann keine korrespondierenden Gewinnermittlungen gibt. Wird für den Zufluß auf die wirtschaftliche Verfügungsmöglichkeit abgestellt, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß diese nach Gutschrift einer beschlossenen Ausschüttung auf dem Privatkonto des Gesellschafters zumindest bis zu dem Zeitpunkt zu bejahen ist, in dem der Empfänger wegen einer Rückzahlung in Anspruch genommen wird; in der Zwischenzeit kann selbst ein bösgläubiger Empfänger den ihm gutgebrachten Wert für sich verbrauchen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden, wenn sie einen Zufluß im Streitjahr angenommen hat. Die insoweit nicht angegriffenen Feststellungen, daß die beschlossene Ausschüttung den Klägern auf ihrem bei der GmbH geführten Privatkonto gutgeschrieben und dies im Streitjahr auch nicht rückgängig gemacht wurde, rechtfertigen mangels entgegenstehender Umstände wie z. B. Zahlungsunfähigkeit der GmbH oder Verfügungsbeschränkungen der Kläger die Annahme, daß die Kläger während des Streitjahres über den Kapitalertrag auch wirtschaftlich verfügen konnten.
Fundstellen
Haufe-Index 72335 |
BStBl II 1977, 545 |
BFHE 1978, 60 |
NJW 1977, 2288 |