Leitsatz (amtlich)
Für die Frage, ob bei den geringwertigen Anlagegütern im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 und des § 6 Abs. 2 EStG 1967 die Grenze von 800 DM überschritten ist, ist stets von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich eines darin enthaltenen Vorsteuerbetrages, also von dem reinen Warenpreis ohne Vorsteuer auszugehen.
Normenkette
BHG 1968 § 19 Abs. 2 S. 3; EStG 1967 § 6 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin hat im Jahre 1968 für ihr Versicherungsbüro einen Schreibtisch zum Preise von 728,33 DM zuzüglich der Mehrwertsteuer von 72,83 DM angeschafft. Den Antrag, ihr hierfür eine Investitionszulage zu gewähren, lehnte das FA mit der Begründung ab, die Anschaffungskosten überstiegen ohne die Mehrwertsteuer nicht den nach § 19 Abs. 2 BHG 1968 maßgebenden Betrag von 800 DM. Der daraufhin erhobenen Klage gab das FG mit folgender Begründung statt:
Der BFH habe wiederholt entschieden, der im § 21 BHG 1962 und im § 19 BHG 1964 enthaltene Begriff "Anschaffungs- oder Herstellungskosten" sei wie die entsprechenden Begriffe des EStG auszulegen (Entscheidungen IV 289/65 vom 21. Juli 1966, BFH 87, 180, BStBl III 1967, 59; IV R 149/66 vom 9. März 1967, BFH 87, 589, BStBl III 1967, 238; VI R 6/67 vom 24. Mai 1968, BFH 92, 400, BStBl II 1968, 574). Durch die gleichlautenden Hinweise im § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 und im § 6 Abs. 2 EStG auf § 9b Abs. 1 EStG werde diese Verzahnung von einkommensteuerlichen Begriffen mit § 19 BHG besonders deutlich herausgestellt.
Vor der Einfügung des § 9b in das EStG sei die durch das UStG in der alten Fassung bewirkte Belastung eines Wirtschaftsgutes in die Anschaffungskosten dieses Wirtschaftsgutes eingegangen und ein Bestandteil der zu aktivierenden Anschaffungskosten des Wirtschaftsgutes geworden. Diese Rechtslage habe der § 9b Abs. 1 EStG insoweit geändert, als der Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG vom 29. Mai 1967 (BGBl I 1967, 545), soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden könne, nicht zu den Anschaffungskosten des Wirtschaftsgutes gehöre. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß in einer Rechnung ausgewiesene Vorsteuern im Sinne des § 15 UStG, die der Abnehmer des Wirtschaftsgutes von seiner eigenen Umsatzsteuerschuld nicht abziehen könne, bei ihm zu den Anschaffungskosten zu rechnen seien.
Das FA übersehe offenbar den Hinweis im § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 auf § 9b Abs. 1 EStG, der eine unterschiedliche Behandlung von Vorsteuerbeträgen vorschreibe, je nachdem, ob sie von der Umsatzsteuer abgezogen werden könnten oder nicht. Im Ergebnis wolle das FA damit für die 800-DM-Grenze im § 6 Abs. 2 EStG und im § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 die Vorsteuer auch dann unberücksichtigt lassen, wenn sie nicht abgezogen werden könne. Daß der Gesetzgeber ein solches Ergebnis gewollt habe, könne aus dem Wortlaut der Fassung des Gesetzes nicht herausgelesen werden.
Mit der vom FG ausdrücklich zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 mit folgender Begründung: Es sei mit dem klaren und unmißverständlichen Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar, daß das FG den Rechnungsbetrag von 801,16 DM nicht um den Mehrwertsteuerbetrag von 72,83 DM gemindert habe. Das Gesetz versage die Investitionszulage für bewegliche Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 96 Abs. 1 EStG), 800 DM nicht überstiegen. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, daß die unstreitig 801,16 DM betragenden Anschaffungskosten um 72,83 DM zu mindern seien. Das entspreche der im Schrifttum insbesondere von Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 Anm. 31i dd) vertretenen Auffassung. Die Klägerin macht geltend: § 9b EStG sei auf ihren Betrieb nicht anwendbar, weil er sich nur mit Unternehmern befasse, für die der Begriff der "Vorsteuer" in Betracht komme. Ihre Tätigkeit im Rahmen des Versicherungsbüros sei gemäß § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei. Ein Vorsteuerabzug scheide daher bei ihr von vornherein aus. Der Gesetzgeber habe durch § 9b EStG Härten auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechts verhüten und deshalb durch diese Vorschrift sicherlich auch keine Härten auf dem Gebiete der Berlinhilfe schaffen wollen. Die Kommentierung von Herrmann-Heuer zu § 9b EStG und die Behandlung des Problems in den NWB Fach 3 (Berlin) S. 636 seien falsch. An der letztgenannten Stelle werde jedoch auf die legale Möglichkeit hingewiesen, den Verkäufer zu veranlassen, die Mehrwertsteuer nicht gesondert auszuweisen, sondern in den Kaufpreis einzubeziehen. In diesem Falle bleibe ohne Zweifel für eine Anwendung des § 9b EStG kein Raum. Deshalb sei nicht einzusehen, weshalb der offene Ausweis der Mehrwertsteuer auf der Rechnung zu einem anderen Ergebnis führen solle.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 wird eine Investitionszulage nicht gewährt für Wirtschaftsgüter, "deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9b Abs. 1 EStG) 800 Deutsche Mark nicht übersteigen". Diese Vorschrift entspricht dem § 6 Abs. 2 EStG 1967, der gestattet, die Anschaffungs- oder Herstellungskosten beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im Jahre der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben abzusetzen, "wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag (§ 9b Abs. 1), für das einzelne Wirtschaftsgut 800 Deutsche Mark nicht übersteigen". Aus beiden Vorschriften ergibt sich, daß der Gesetzgeber die geringwertigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im EStG und im BHG einheitlich abgrenzen und für sie lediglich die Möglichkeit der sofortigen vollen Absetzung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten als Betriebsausgaben eröffnen will.
Die Vorschriften des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 und des § 6 Abs. 2 EStG 1967 bringen durch den jeweils mit dem Wort "Vorsteuerbetrag" verbundenen Hinweis auf § 9b Abs. 1 EStG lediglich zum Ausdruck, daß der dort behandelte "Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG vom 29. Mai 1967 (BGBl I S. 545)" gemeint ist. Der Hinweis auf § 9b Abs. 1 EStG rechtfertigt nicht etwa darüber hinaus die Annahme, daß die Verminderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten entsprechend der dort getroffenen Regelung von der Frage abhänge, ob und inwieweit der Vorsteuerbetrag bei der Umsatzsteuer tatsächlich abgezogen werden kann. Denn der § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG und der § 6 Abs. 2 EStG schreiben selbst die Verminderung um den Vorsteuerbetrag bedingungslos vor. Der Senat kommt somit im Einklang mit Abschn. 86 Abs. 5 EStR 1969 zu der Auffassung, daß für die Frage, ob bei den geringwertigen Anlagegütern im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 und des § 6 Abs. 2 EStG 1967 die Grenze von 800 DM überschritten ist, stets von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich eines darin enthaltenen Vorsteuerbetrages, also von dem reinen Warenpreis ohne Vorsteuer auszugehen ist.
Es kommt somit nicht auf die Tatsache an, daß die Umsätze der Klägerin als Versicherungsvertreterin oder Versicherungsmaklerin nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei sind. Für die Frage, ob der Gesetzgeber im BHG 1968 und im EStG 1967 gleiche Maßstäbe angelegt hat, ist der § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG entgegen der Auffassung der Klägerin nicht mit § 9b EStG, sondern mit § 6 Abs. 2 EStG zu vergleichen. Dabei zeigt sich eindeutig das Bestreben des Gesetzgebers, die geringwertigen Wirtschaftsgüter für beide Gesetze in gleicher Weise abzugrenzen. Die Klägerin irrt auch mit der Meinung, in Fällen der vorliegenden Art sei es möglich, die Wertgrenze des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG dadurch zu überschreiten, daß man den Lieferer veranlaßt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer nicht gesondert auszuweisen, sondern in den Kaufpreis einzubeziehen. Denn eine solche Maßnahme ändert nichts an der Tatsache, daß der Vorsteuerbetrag in den Anschaffungskosten enthalten ist und diese daher nach § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 um ihn zu vermindern sind.
Da das FG-Urteil auf einer unzutreffenden Auslegung des § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 beruhte, war es aufzuheben. In der entscheidungsreifen Sache mußte der Senat zu dem Ergebnis kommen, daß die Anschaffungskosten des Schreibtisches von insgesamt 801,16 DM einen Vorsteuerbetrag von 72,83 DM enthalten und nach ihrer durch § 19 Abs. 2 Satz 3 BHG 1968 vorgeschriebenen Verminderung um diesen Betrag die Grenze von 800 DM nicht überschreiten. Da für einen solchen Fall das Gesetz die Gewährung einer Investitionszulage versagt, war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 69404 |
BStBl II 1971, 318 |
BFHE 1971, 464 |