Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung des Vorwegabzugs; kein unbegrenzter Abzug von Vorsorgeaufwendungen/Zurückverweisung an das FG bei mehreren Streitpunkten
Leitsatz (NV)
1. Hat eine GmbH mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern eine Altersversorgung zugesagt, kann diesen unter bestimmten Voraussetzungen der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ungekürzt zustehen; der den Grundhöchstbetrag für Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 Nr. 1 EStG ergänzende Vorwegabzug soll nämlich solche Steuerpflichtige begünstigen, die ihre Beiträge zur Altersversorgung in voller Höhe selbst aufbringen.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, DStR 2008, 604 die bis zum 31. Dezember 2009 befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet.
3. Sind mehrere Punkte im Streit, kann es sachgerecht sein, die Sache bereits dann zurückzuverweisen, wenn sicher ist, dass eine Zurückverweisung in jedem Fall notwendig ist.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2; FGO § 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der 1950 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für die Streitjahre 1998 und 1999 nach der Grundtabelle zur Einkommensteuer veranlagt. Hierbei war ein Kind zu berücksichtigen. Er war zu 50 % an einer GmbH beteiligt. Als Gesellschafter-Geschäftsführer erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Jahr 1998 betrug der Bruttoarbeitslohn 91 995 DM und im Jahr 1999 50 998 DM. In beiden Streitjahren bestand keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht. Nach seinen Angaben in den Einkommensteuererklärungen hatte der Kläger jedoch als GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eine Anwartschaft auf Altersversorgung. In den Streitjahren zahlte der Kläger Vorsorgeaufwendungen in folgender Höhe:
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1998 |
1999 |
Freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung |
10 591 DM |
11 035 DM |
Unfallversicherung |
302 DM |
302 DM |
Lebensversicherung |
3 176 DM |
3 242 DM |
Haftpflichtversicherung |
824 DM 14 893 DM |
689 DM 15 268 DM |
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Festsetzung der Einkommensteuer diese Vorsorgeaufwendungen nur beschränkt in jedem der Streitjahre nach folgender Berechnung jeweils mit 3 915 DM:
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1998 |
1999 |
Summe der Aufwendungen |
14 893 DM |
15 268 DM |
Vorwegabzug |
6 000 DM |
6 000 DM |
Minderung nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (= 16 % des Bruttolohns) |
./. 14 719 DM |
./. 8 159 DM |
verbleibender Vorwegabzug |
0 DM |
0 DM |
verbleibende Aufwendungen |
14 893 DM |
15 268 DM |
höchstens abziehbar |
./. 2 610 DM |
./. 2 610 DM |
verbleiben |
12 283 DM |
12 658 DM |
davon höchstens abziehbar |
1 305 DM |
1 305 DM |
abzugsfähig im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG |
3 915 DM |
3 915 DM |
Mit Bescheid vom 28. März 2000 setzte das FA die Einkommensteuer für 1998 nach der Grundtabelle endgültig fest. Da aufgrund einer beim FA eingegangenen Mitteilung bei dem Kläger Beteiligungseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht mehr in negativer Höhe, sondern mit 0 DM zu berücksichtigen waren, änderte es diesen Einkommensteuerbescheid am 31. Oktober 2001 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Diese Einkommensteuerfestsetzung erging im Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein.
Für das Jahr 1999 setzte das FA die Einkommensteuer mit dem Bescheid vom 29. August 2001 fest. Auch hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Nachdem dem FA aufgrund einer weiteren Mitteilung bekannt geworden war, dass Beteiligungseinkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb mit höheren Beträgen zu berücksichtigen waren, änderte es am 31. Oktober 2001 auch diesen Einkommensteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Dieser Bescheid erging ebenfalls vorläufig im Hinblick auf die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen nach § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen. Beide Einsprüche bleiben erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2002).
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer von vornherein um die geleisteten Vorsorgeaufwendungen zu mindern sei. Sie seien ähnlich wie das Existenzminimum bei der Besteuerung dem staatlichen Zugriff entzogen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Vorsorgeaufwendungen seien lediglich in dem in § 10 Abs. 3 EStG bezeichneten Umfang als Sonderausgaben abziehbar. Im Hinblick auf den Erwerb von Anwartschaftsrechten ohne vollständig eigene Beitragsleistung komme ein Vorwegabzug von 6 000 DM vorliegend nicht in Betracht. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Oktober 2002 XI R 25/01 (BFHE 200, 554, BStBl II 2004, 546) führe zu keiner anderen Beurteilung.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts:
- Das objektive Nettoprinzip verbiete die Erfassung der Vorsorgeaufwendungen; die Vorsorgeaufwendungen unterlägen nicht dem staatlichen Zugriff und dürften nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden.
- Die Voraussetzungen für die Kürzung des Vorwegabzugs seien nicht erfüllt. Er, der Kläger, habe sein Anwartschaftsrecht auf Altersversorgung ausschließlich durch einen seiner Beteiligungsquote entsprechenden Verzicht erworben.
- Im Vergleich zu der Besteuerung der Abgeordnetenbezüge seien die Bezüge aus nichtselbständiger Arbeit zu hoch erfasst; 1/3 der Bezüge müsse als pauschaler Werbungskostenabzug abgesetzt werden.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der Vorentscheidungen die Vorsorgeaufwendungen in vollem Umfang abzuziehen, hilfsweise, einen Vorwegabzug in Höhe von 6 000 DM zu berücksichtigen und 1/3 der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit als (pauschale) Werbungskosten abzuziehen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Während des Rechtsmittelverfahrens hat das FA unter dem 19. Mai 2004 und 16. November 2005 weitere Änderungsbescheide erlassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
1. Unbegründet ist die Revision insoweit, als der Kläger den unbegrenzten Abzug seiner Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung) beantragt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf die Vorlage des erkennenden Senats mit Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BFH/NV 2008, Beilage 3, 228) entschieden, dass § 10 Abs. 3 EStG eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleistet (unter D.IV.2.c der Gründe). Unter E.II. der Gründe hat das BVerfG aber die bis zum 31. Dezember 2009 befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet, so dass im Streitjahr kein weiterer Abzug von Vorsorgeaufwendungen in Betracht kommt. - Ob aus Billigkeitsgründen ein Abzug möglich ist, muss ggf. in einem gesonderten Verfahren entschieden werden.
2. Erfolg hat der Kläger insofern, als er geltend macht, dass der Vorwegabzug zu berücksichtigen sein könnte; allerdings kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Hat eine GmbH mehreren Gesellschafter-Geschäftsführern eine Altersversorgung zugesagt, kann diesen der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG gleichwohl ungekürzt zustehen. Der den Grundhöchstbetrag für Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 Nr. 1 EStG ergänzende Vorwegabzug soll nämlich solche Steuerpflichtige begünstigen, die ihre Beiträge zur Altersversorgung in voller Höhe selbst aufbringen (BFH-Urteil vom 23. Februar 2005 XI R 29/03, BFHE 209, 256, BStBl II 2005, 634; zu diesem Bereich vgl. auch die Senatsurteile vom 26. September 2006 X R 3/05, BFHE 215, 165, BStBl II 2007, 452; vom 8. November 2006 X R 11/05, BFH/NV 2007, 673; vom 17. Januar 2007 X R 10/06, BFH/NV 2007, 1289). Im Streitfall ist allerdings fraglich, ob der Kläger seinen Anteil in voller Höhe selbst finanziert hat; denn er hat in seinem Schriftsatz vom 16. September 2005 auf Seite 2 vorgetragen, dass auch die Ehefrauen der Gesellschafter an der GmbH beteiligt gewesen seien, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass die Altersversorgung auch durch den Verzicht der Ehefrauen auf entsprechende gesellschaftsrechtliche Ansprüche erworben worden ist. Das FG wird die Gewährung des Vorwegabzugs unter Berücksichtigung der neuen BFH-Rechtsprechung zu klären haben. Selbst eine Minderheitsbeteiligung würde dabei der notwendigen vollständigen Eigenleistung entgegenstehen (BFH-Beschluss vom 23. Juli 2008 X B 51/08, BFH/NV 2008, 1675).
3. In diesem Verfahren wird das FG auch zu entscheiden haben, ob eine Kürzung der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Hinblick auf die BFH-Urteile vom 11. September 2008 VI R 13/06 (zur Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2008, 1933) sowie VI R 81/04 und VI R 63/04 (jeweils nicht veröffentlicht) in Betracht kommt (vgl. auch Schmidt/Heinicke, EStG, 27. Aufl., § 3 "Abgeordneten-Aufwandsentschädigungen"; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 22 Rz 162). Das FA hat die Bescheide insoweit nach § 165 AO nur vorläufig erlassen (gemäß dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 3. August 2007, BStBl I 2007, 535).
Der Senat hat erwogen, die Bearbeitung der Sache zurückzustellen und das Verfahren ggf. erneut auszusetzen, bis die Frage des pauschalen Werbungskostenabzugs verfassungsrechtlich endgültig geklärt ist. Da aber im Hinblick auf die Frage der Berechtigung zum Vorwegabzug die Sache ohnehin an das FG zurückverwiesen werden muss, hält es der Senat für sachgerecht, sie schon in diesem Verfahrensstadium an das FG zurückzuverweisen.
4. Nicht gefolgt werden kann dem Kläger insoweit, als er sich auf das Urteil des Niedersächsischen FG vom 12. Dezember 2007 7 K 249/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1082), Revision anhängig unter III R 39/08, beruft. Im Streitfall hat das FG keine Teileinspruchsentscheidung erlassen. Ob die Vorläufigkeitsvermerke i.S. des § 165 Abs. 1 AO unzulässig sind, wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben; der Senat verweist insoweit auf sein Urteil vom 12. Juli 2007 X R 22/05 (BFHE 218, 26, BStBl II 2008, 2).
Fundstellen
Haufe-Index 2144356 |
BFH/NV 2009, 935 |
HFR 2009, 663 |