Leitsatz (amtlich)
Werden durch späteren Beschluß die Dividende eines Jahres erhöht und die Dividende eines anderen Jahres herabgesetzt, muß die Gesellschaft Kapitalertragsteuer vom vollen Betrag der Erhöhung der Dividende einbehalten und abführen.
Normenkette
EStG §§ 43-44, 49 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Gesellschafter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH mit Sitz im Inland, waren drei amerikanische Gesellschaften. Diese beschlossen in den Kalenderjahren 1970 und 1971, Dividenden für das Wirtschaftsjahr 1969/70 in Höhe von 4 055 820 DM und für das Wirtschaftsjahr 1970/71 in Höhe von 4 700 000 DM auszuschütten. Die Klägerin behielt Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe ein und führte sie ab.
Nach einer Betriebsprüfung erhöhte der Beklagte und Revisionskläger (FA) das Einkommen der Klägerin für den Veranlagungszeitraum 1970 von 4 055 630 DM um 1 938 080 DM auf 5 993 710 DM. Aus diesem Grund beschlossen die Gesellschafter der Klägerin am 31. Januar 1973, die Handelsbilanzen für die Wirtschaftsjahre 1969/70 und 1970/71 zu ändern. Sie beschlossen ferner für das Wirtschaftsjahr 1969/70 eine Erhöhung der Dividende um 1 937 890 DM und für das Wirtschaftsjahr 1970/71 eine Herabsetzung der Dividende um 1 068 290 DM. Die Klägerin schüttete an die Gesellschafter nur den Unterschiedsbetrag von 869 600 DM aus. Davon behielt sie Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe ein und führte sie ab.
Das FA hielt die Saldierung des Betrages der Erhöhung mit dem Betrag der Herabsetzung der Dividende für unzulässig und forderte von der Klägerin durch Haftungsbescheid Kapitalertragsteuer in Höhe von 33,67 v. H. von 1 068 290 DM = 359 693,20 DM und Ergänzungsabgabe in Höhe von 3 v. H. der Kapitalertragsteuer = 10 790,80 DM. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin erhob Klage. Während des Verfahrens vor dem FG änderte das FA den angefochtenen Haftungsbescheid nach § 94 AO, da die Klägerin erklärt hatte, die Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe würden von den Gesellschaftern übernommen. Das FA setzte die Kapitalertragsteuer nunmehr auf 25 v. H. von 1 068 290 DM = 267 072,50 DM und die Ergänzungsabgabe auf 3 v. H. der Kapitalertragsteuer = 8 012,15 DM fest.
Der Änderungsbescheid wurde auf Antrag der Klägerin nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens.
Das FG hat den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Zur Begründung seiner Entscheidung, die in EFG 1975, 424, veröffentlicht ist, hat das FG ausgeführt, den Gesellschaftern der Klägerin seien im Jahr 1973 nur 869 600 DM als Erträge aus Kapitalvermögen zugeflossen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung der §§ 43 bis 45 EStG und der Vorschriften der KapStDV gerügt wird.
Das FA meint, auch wenn der Anspruch der Gesellschafter der Klägerin auf die Zusatzdividende 1970 und ihre Verpflichtung zur Rückgewähr eines Teils der Dividende 1971 gleichzeitig entstanden und durch Verrechnung sofort wieder erloschen seien, bleibe die Tatsache, daß der Anspruch der Gesellschafter auf die Zusatzdividende 1970 mindestens für eine logische Sekunde entstanden und dann erst durch Verrechnung getilgt worden sei. Die Rückgewähr eines Teiles der Dividende 1971 sei daher handelsrechtlich eine Einlage. Außerdem verstoße es gegen das Wesen der Kapitalertragsteuer als Bruttosteuer, negative Einnahmen mit positiven Einnahmen zu saldieren.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin mußte Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe vom vollen Betrag der Erhöhung der Dividende 1970 einbehalten und abführen (§§ 43, 44, 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG, §§ 1 ff. KapStDV, §§ 1, 2, 3 Nr. 3, § 4, § 6 des Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer).
1. Zu Unrecht hat das FG den Zufluß des Unterschiedsbetrags zwischen der Erhöhung der Dividende 1970 und der Herabsetzung der Dividende 1971 verneint. Die Auffassung des FG wäre nur richtig, wenn der Gesellschafterbeschluß vom 31. Januar 1973 so zu verstehen wäre, daß die Gesellschafter von Anfang an einen Anspruch auf die erhöhte Dividende 1970 nur in Höhe der nach Abzug des Betrags der Herabsetzung der Dividende 1971 verbleibenden 869 600 DM gehabt hätten (§§ 29, 46 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -).
Gegen eine solche Auslegung des Gesellschafterbeschlusses vom 31. Januar 1973 spricht jedoch entscheidend, daß die Gesellschafter der Klägerin, wie den Ausführungen des FG zu entnehmen ist, die Änderung der Dividenden 1970 und 1971 beschlossen, um die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen in beiden Jahren dem auf Grund der Betriebsprüfung veränderten steuerrechtlichen Einkommen anzupassen. Diese Absicht konnte nur verwirklicht werden, wenn die neue Gewinnausschüttung 1970 "vorgenommen" wurde, d. h., wenn die Gewinnanteile den Gesellschaftern zuflossen (Urteil des BFH vom 11. Juli 1973 I R 144/71, BFHE 109, 566, BStBl II 1973, 806). Der Beschluß der Gesellschafter vom 31. Januar 1973 kann daher nur so verstanden werden, daß ein Anspruch der Gesellschafter auf die erhöhte Dividende 1970 und eine Verpflichtung der Gesellschafter zur Zurückgewähr eines Teils der Dividende 1971 begründet und dann Anspruch und Verpflichtung durch Verrechnung getilgt wurden.
Für diese Auslegung des Gesellschafterbeschlusses vom 31. Januar 1973 spricht auch der Wortlaut des Beschlusses. In der Niederschrift heißt es zur Gewinnausschüttung 1971:
"As there has been declared a dividend of DM 4.700.000 by the shareholders meeting, the shareholders are in debt with DM 1.068.290, which have to be charged to account of the resolved dividend for the fiscal year 1970."
Der Ausdruck "are in debt" läßt auf die Begründung einer Pflicht der Gesellschafter zur Zurückzahlung eines Teils der Dividende 1971 schließen, der Ausdruck "to be charged to account of the resolved dividend" läßt auf eine Erfüllung dieser Verpflichtung durch Verrechnung mit dem Anspruch auf die erhöhte Dividende 1970 schließen.
Bei dieser Auslegung des Gesellschafterbeschlusses vom 31. Januar 1973 entstand für die Gesellschafter der Klägerin ein Anspruch auf die erhöhte Dividende 1970 (§§ 29, 46 Nr. 1 GmbHG) und eine Verpflichtung zur Zurückgewähr eines Teils der Dividende 1971. Die erhöhte Dividende 1970 war in vollem Umfang in die wirtschaftliche Verfügungsmacht der Gesellschafter gelangt. Denn die Gesellschafter konnten sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus der Herabsetzung der Dividende 1971 im Wege der Verrechnung verwenden. Damit war ihnen die erhöhte Dividende 1970 zugeflossen (§ 11 EStG; BFH-Urteil vom 30. April 1974 VIII R 123/73, BFHE 112, 355, BStBl II 1974, 541).
2. Daher mußte die Klägerin Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe vom vollen Betrag der Erhöhung der Dividende 1970 einbehalten und abführen.
Dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen die vollen Kapitalerträge ohne Abzüge (§ 44 Abs. 4 EStG). Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und Steuern dürfen nicht abgezogen werden (§ 3 Abs. 2 KapStDV). Unterliegen die Kapitalerträge, wie im Streitfall, der beschränkten Steuerpflicht, unterbleibt der Abzug endgültig, da die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer durch den Steuerabzug als abgegolten gilt (§ 50 Abs. 5 EStG, § 19 Abs. 7 KStG; BFH-Urteil vom 10. April 1975 I R 261/72, BFHE 115, 389, BStBl II 1975, 586).
Das Abzugsverbot erstreckt sich allerdings nicht auf die sogenannten negativen Einnahmen, die dann entstehen, wenn der Gesellschafter empfangene Gewinnanteile zurückzahlen muß. Negative Einnahmen sind keine Werbungskosten, sondern eine Korrektur der positiven Einnahmen, die allerdings erst im Jahr der Rückzahlung vorzunehmen ist (BFH-Urteile vom 13. Dezember 1963 VI 22/61 S, BFHE 78, 477, BStBl III 1964, 184, und vom 1. März 1977 VIII R 106/74, BFHE 122, 60, BStBl II 1977, 545). Bei der Berechnung der "vollen Kapitalerträge", die dem Steuerabzug unterliegen (§ 44 Abs. 4 EStG), wäre daher auch zu berücksichtigen, daß sie der Gesellschafter ganz oder teilweise zurückzahlen muß. Das trifft im Streitfall auf die erhöhte Dividende 1970 nicht zu. Die Gesellschafter der Klägerin hatten vielmehr einen Teil der Dividende 1971 zurückzugewähren. Die "vollen Kapitalerträge" aus den Beschlüssen über die Verwendung des Gewinns 1970 wurden davon nicht berührt.
3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob den Gesellschaftern der Klägerin durch Rückgewähr eines Teiles der Dividende 1971 "negative Einnahmen" entstanden sind und ob sie insoweit Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragen könnte, die von der ursprünglichen Dividende 1971 einbehalten und abgeführt wurde (vgl. das BFH-Urteil vom 19. Januar 1977 I R 188/74, BFHE 123, 124, BStBl II 1977, 847). Denn dieses Recht wäre in einem gesonderten Verfahren zu verfolgen (§ 13 KapStDV).
Fundstellen
BStBl II 1978, 102 |
BFHE 1978, 492 |