Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist einem Steuerpflichtigen vom Erblasser ein Nießbrauch an bestimmten Gegenständen des Nachlasses vermacht worden und einigen der Steuerpflichtige und der Erbe sich nach dem Tode des Erblassers darauf, daß der Steuerpflichtige gegen eine Abfindung auf den Nießbrauch verzichtet, so unterliegt die Abfindung nicht der Einkommensteuer.
Normenkette
EStG § 2 Abs. 3, § 24 Ziff. 1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige war die langjährige Wirtschafterin des im Januar 1959 verstorbenen Erblassers, der ihr testamentarisch den lebenslänglichen Nießbrauch an dem Nachlaß vermachte. Zu dem Nachlaß gehörten ein seit langem verpachteter landwirtschaftlicher Hof, weiteres landwirtschaftliches Grundvermögen, Wertpapiere sowie Bank- und Sparguthaben. Vom Tod des Erblassers an bezog die Steuerpflichtige die Einnahmen aus der Verpachtung des Hofs und des Grundbesitzes sowie die Erträge aus den Wertpapieren und den Bank- und Sparguthaben und trug die entsprechenden Lasten und Unkosten. Die überschüsse wurden von ihr als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und als Einkünfte aus Kapitalvermögen versteuert. Bereits im Jahre 1960 verkaufte der Erbe den Hof und das übrige landwirtschaftliche Grundvermögen. Im Februar 1961 schlossen er und die Steuerpflichtige einen notariellen Vertrag, in dem die Steuerpflichtige gegen eine Abfindung von 425.000 DM und übertragung der Wertpapiere auf ihren Nießbrauch verzichtete. Die 425.000 DM wurden noch in demselben Monat an die Steuerpflichtige gezahlt.
Das Finanzamt sah in der Abfindung und der Wertpapierübertragung eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG und zog die Steuerpflichtige damit zur Einkommensteuer heran, wobei es ihr einen ermäßigten Steuersatz von 25,2 v. H. zubilligte.
Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hielt die der Steuerpflichtigen gewährte Entschädigung für nicht einkommensteuerbar. Es führte aus, es handele sich um eine Abfindung für das Stammrecht, nicht aber um eine Entschädigung für weggefallene oder wegfallende Einkünfte. Nach bürgerlichem Recht erwerbe der Nießbraucher mit der Bestellung des Nießbrauchs ein Stammrecht, kraft dessen er die einzelnen Nutzungen der mit dem Nießbrauch belasteten Gegenstände unmittelbar ziehen könne, ohne daß sie im einzelnen übertragen zu werden brauchten (Soergel-Siebert, Kommentar, zum BGB, 9. Aufl., Anm. 9 zu § 1030, S. 393); in gleicher Weise ziehe der Nießbraucher auch steuerlich die Nutzungen kraft eigenen Rechts aus den ihm zur Nutzung überlassenen Einkommensquellen unmittelbar (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 79/55 U vom 15. November 1957 und VI 64/57 U vom 2. Oktober 1959, BStBl 1958 III S. 103 und 1960 III S. 36, Slg. Bd. 56 S. 262 und Slg. Bd. 70 S. 96). Ohne Rücksicht darauf, ob der Nießbraucher das Nießbrauchsrecht entgeltlich oder unentgeltlich erworben habe, sei der Nießbrauch steuerlich bewertungsfähig, und zwar beim Eigentümer der belasteten Wirtschaftsgüter als Last und beim Berechtigten als Gegenstand des Vermögens. Demzufolge habe auch im Streitfall das Erbschaftsteuerfinanzamt den Wert des Nachlasses beim Erben um den Wert des Nießbrauchs der Steuerpflichtigen gekürzt und die Steuerpflichtige mit dem Wert des Nießbrauchs zur Erbschaftsteuer herangezogen. Ferner habe das Finanzamt der Steuerpflichtigen diese mit dem ererbten Nießbrauchsrecht zur Vermögensteuer herangezogen. Die Steuerpflichtige habe demnach den ihr vermachten Nießbrauch, kraft dessen sie an Stelle des Erben die Nutzungen aus dem verpachteten Hof und Grundvermögen, aus den hinterlassenen Wertpapieren sowie aus den Bank- und Sparguthaben als eigene Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bzw. aus Kapitalvermögen zog, als privaten Vermögenszufluß erworben. Wenn sie schon nach etwa zwei Jahren nach dem Erbfall gezwungen gewesen sei, diesen Vermögenswert dem Erben zurückzugeben, so sei das wirtschaftlich ein Vorgang, der sich ebenso wie der Erbfall und der Vermächtnisanfall im Vermögensbereich der Beteiligten abgespielt habe. Die Steuerpflichtige habe also mit dem ihr vermachten Nießbrauchsrecht bürgerlich-rechtlich und wirtschaftlich einen Gegenstand ihres Privatvermögens veräußert. Dieser Vorgang könnte allenfalls unter § 23 EStG fallen. Im Streitfall scheide die Annahme eines Spekulationsgeschäftes aber schon deshalb aus, weil die Steuerpflichtige den Nießbrauch unentgeltlich erworben habe; außerdem würde die Spekulationsfrist überschritten sein, weil zwischen dem Erbfall und dem entgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch mehr als zwei Jahre lägen. Aber selbst wenn man - in Anlehnung an die einkommensteuerliche Behandlung von wiederkehrenden Bezügen und insbesondere Leibrenten im Sinne des § 22 EStG - annehme, daß die Steuerpflichtige die Nutzungen aus dem Nießbrauch als laufende Bezüge aus einem Stammrecht im Sinne des § 22 EStG gezogen habe, führe das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Denn wie der Bundesfinanzhof in seinem Urteil VI 176/57 U vom 23. April 1958 (BStBl 1958 III S. 277, Slg. Bd. 67 S. 10) entschieden habe, unterliege die Ablösungssumme, die ein Rentenschuldner dem Rentengläubiger für die Aufgabe einer auf Grund letztwilliger Verfügung geschuldeten laufenden Versorgungsrente gewähre, beim Rentengläubiger nicht der Einkommensteuer, wenn das Ablösungskapital, sofern es von vornherein an Stelle des vermachten Rentenanspruchs geleistet worden wäre, nicht unter eine der Einkunftsarten des EStG gefallen wäre. Das gelte hier entsprechend.
Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Nach seiner Ansicht ist die Steuerpflichtige mit dem Entgelt, das ihr für den Verzicht auf ihr Nießbrauchsrecht gewährt worden ist, steuerpflichtig, weil es an die Stelle der weggefallenen Einkünfte getreten sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Der Senat läßt es dahingestellt, ob man mit dem Finanzgericht in dem entgeltlichen Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht auf jeden Fall nur einen Vermögensvorgang sehen kann, so daß der Erlös, wenn nicht etwa ausnahmsweise ein Spekulationsgeschäft vorliegt, grundsätzlich unter keine der Einkunftsarten des EStG fällt. Denn jedenfalls ist dem Finanzgericht in der Auffassung zuzustimmen, daß kein einkommensteuerbarer Vorgang darin liegt, wenn, wie im Streitfall, ein Nießbrauch an Nachlaßgegenständen kraft letztwilliger Verfügung erworben worden ist und der Nießbraucher und Erbe sich innerhalb nicht allzulanger Frist nach dem Erbfall auf einen entgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch einigen.
Zutreffend nimmt das Finanzgericht an, daß der Nießbraucher die ihm auf Grund des Nießbrauchs zufließenden Einkünfte, soweit nicht § 12 Ziff. 2 EStG eingreift, so zu versteuern hat, als wenn sie dem Eigentümer der dem Nießbrauch unterliegenden Gegenstände zugeflossen wären. Das beruht auf der Tatsache, daß der Nießbraucher hinsichtlich der Nutzung an die Stelle des Eigentümers tritt und die Nutzungen in der gleichen Weise zieht wie ein Eigentümer. Auch wenn er den Nießbrauch unentgeltlich erworben hat, sind dem Nießbraucher die Nutzungen zuzurechnen, weil er sie kraft seines Nießbrauchs erwirbt. Eine Ausnahme gilt hier nur, wenn der Nießbrauch an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person bestellt wird, weil nach der Rechtsprechung des Senats in solchen Fällen die Einkünfte gemäß § 12 Ziff. 2 EStG dem Nießbrauchsbesteller zuzurechnen sind (vgl. z. B. Urteil VI 27/56 U vom 8. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 207, Slg. Bd. 64 S. 550). Verzichtet der Nießbraucher gegenüber dem Eigentümer gegen eine Abfindung auf den ihm unentgeltlich eingeräumten Nießbrauch, so ist für die Frage, ob die Abfindung unter eine Einkunftsart fällt, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, wesentlich, ob von vornherein keine Einkommensteuer entstanden wäre, wenn der Nießbraucher statt des Nießbrauchs vom Eigentümer oder Erblasser sofort einen Kapitalbetrag erhalten hätte. Wären aber der Steuerpflichtigen sofort ein Kapitalbetrag in Höhe der Abfindung und die Wertpapiere vom Erblasser vermacht worden, so wäre das kein einkommensteuerbarer Vorgang gewesen, weil er unter keine der sieben Einkunftsarten des EStG gefallen wäre. Der Vorsteher des Finanzamts will in der der Steuerpflichtigen auf Grund ihres Verzichts zugeflossenen Abfindung eine Entschädigung für die weggefallenen Einkünfte sehen. Es wäre aber ein mit dem Sinn und Zweck des § 24 EStG nicht zu vereinbarendes Ergebnis, die Steuerpflichtige wegen eines Betrages zur Einkommensteuer heranzuziehen, der, wenn er ihr statt des Nießbrauchs sofort vermacht worden wäre, keine Einkommensteuer ausgelöst hätte. Es handelt sich also hier, wie das Finanzgericht ohne Rechtsverstoß angenommen hat, bei dem Nießbraucher und bei dem Eigentümer (Erben) um einen einkommensteuerlich unbeachtlichen Vorgang im Vermögensbereich.
Fundstellen
Haufe-Index 411341 |
BStBl III 1964, 576 |
BFHE 1965, 282 |
BFHE 80, 282 |