Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von rückständigen Urlaubsverpflichtungen
Leitsatz (amtlich)
Rückständige Urlaubsverpflichtungen sind nach Maßgabe des Urlaubsentgelts zu bemessen. Einzubeziehen sind das Bruttoarbeitsentgelt, die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, das Urlaubsgeld sowie weitere lohnabhängige Nebenkosten. Im Falle einer Durchschnittsberechnung ist der maßgebliche Lohnaufwand durch die Zahl der regulären Arbeitstage zu dividieren und mit der Zahl der offenen Urlaubstage zu vervielfachen.
Orientierungssatz
Für rückständige Urlaubsverpflichtungen ist in der Handelsbilanz und in der Steuerbilanz eine Rückstellung zu bilden. In die Bemessung der Rückstellung sind jährlich vereinbarte Sondervergütungen --wie Weihnachtsgeld, Tantiemezahlungen, Zuführung zu Pensionsrückstellungen und Jubiläumsrückstellungen-- oder Zahlungen, die --wie z.B. vermögenswirksame Leistungen-- nicht Bestandteil von Lohn und Gehalt sind, nicht einzubeziehen. Ebenfalls nicht in die Berechnung einzubeziehen sind Verwaltungskosten.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1; HGB § 249 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Großhandel. Sie bildete in ihrer Bilanz eine Rückstellung für 914 rückständige Urlaubstage ihrer 137 Arbeitnehmer.
Nach einer Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Rückstellung auf --aufgerundet-- 124 000 DM herab. Das FA übernahm als Bemessungsgrundlage im wesentlichen die von der Klägerin aufgeführten Einzelkosten (Löhne und Gehälter, Sozialabgaben, Beiträge an die Berufsgenossenschaft, Tantiemerückstellungen, Gratifikationen, Vermögenszulagen) in Höhe von 4 601 805 DM; diese Kosten führten bei 250 Gesamtarbeitstagen zu Tageskosten von 135 DM pro Arbeitnehmer.
Das Finanzgericht (FG) wies die auf eine Urlaubsrückstellung in Höhe von 155 380 DM (914 Urlaubstage x 170 DM pro Arbeitstag) gerichtete Klage ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie führt u.a. aus:
Es werde allgemein anerkannt, daß für den rückständigen Urlaubsanspruch der Belegschaft die Bilanzierung einer Rückstellung handelsrechtlich erforderlich und steuerlich zulässig sei. Es handle sich um eine ungewisse Verbindlichkeit.
Die Rückstellung sei in Höhe des Betrages zu bilden, mit dem die Klägerin voraussichtlich in Anspruch genommen werde oder den sie zur Abwicklung des Risikos benötige. Die Rückstellungsbildung müsse den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen.
Rückständig sei die vertragliche Nebenpflicht, Freizeit zu gewähren. Hierbei handele es sich um eine Sachwertschuld. Der Leistungsrückstand sei mit den voraussichtlichen Kosten der Leistungserstellung zu bewerten. Maßgebend seien die Aufwendungen der Klägerin für einen effektiven Arbeitstag ihrer Arbeitnehmer. Da die Verpflichtung zu Vollkosten zu bewerten sei, müßten auch Gemeinkosten berücksichtigt werden. Auszugehen sei vom Gesamtbetrag der Löhne und Gehälter als den Einzelkosten; hierin seien auch die Lohnfortzahlung während der Urlaubszeit und Tantiemerückstellungen sowie Gratifikationen einzubeziehen. Als Gemeinkosten seien die Kosten der Personalverwaltung in Höhe von 248 700 DM zu berücksichtigen. Insgesamt ergebe sich ein Betrag von 4 850 505 DM. Unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Fehlzeiten stehe jeder Arbeitnehmer nur an 209 Tagen zur Verfügung. Im Durchschnitt ergäben sich danach Aufwendungen von 170 DM je Arbeitstag. Da 914 Arbeitstage rückständig seien, errechne sich eine Rückstellung von 155 380 DM.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewinnfeststellungsbescheid 1985 sowie den Bescheid zur Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens zum 1.Januar 1986 jeweils vom 7.Juli 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 9.März 1988 in der Weise zu ändern, daß die Urlaubsrückstellung um 31 380 DM erhöht und mit 155 380 DM angesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die rückständige Urlaubsverpflichtung kann entgegen der Auffassung des FG nicht als Verbindlichkeit ausgewiesen werden. Die Höhe der künftigen Ausgaben ist ungewiß. Sie hängt davon ab, ob die Arbeitnehmer den ihnen für das abgelaufene Wirtschaftsjahr zustehenden Urlaub voll in Anspruch nehmen oder ob wegen Beendigung des Dienstverhältnisses eine Urlaubsabgeltung entsprechend § 7 Abs.4, § 11 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) zu zahlen ist; überdies lassen sich die mit der Urlaubsgewährung verbundenen Ausgaben nicht exakt beziffern.
Dagegen sind die Voraussetzungen für die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung i.S. von § 249 Abs.1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) erfüllt, da über die Höhe der Verbindlichkeit Unsicherheit besteht, die künftigen Ausgaben wirtschaftlich im abgelaufenen Wirtschaftsjahr verursacht wurden und die Inanspruchnahme nach den am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnissen wahrscheinlich ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28.Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550 m.w.N.). Die Rückstellung mußte in der Handelsbilanz passiviert werden (Urteil in BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550); sie ist gemäß § 5 Abs.1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch für das Steuerrecht zu berücksichtigen.
Im BFH-Urteil vom 26.Juni 1980 IV R 35/74 (BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506, 508) ist allerdings erwähnt, daß rückständige Urlaubsverpflichtungen als Schuld zu bilanzieren seien. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine beiläufige Bemerkung; auf die Unterscheidung zwischen Verbindlichkeit und Rückstellung kam es im Streitfall nicht an. Daß für die Urlaubsverpflichtung eine Rückstellung zu bilden sei, ist allgemeine Auffassung (in diesem Sinne BFH-Urteil vom 8.Februar 1989 II R 42/86, BFHE 155, 571, BStBl II 1989, 316; Abschn.31c Abs.4 Satz 7 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990; Döllerer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1987, 67, 70; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 5 Anm.57 Stichwort "Urlaub" m.w.N.). Aus dem gleichen Grunde werden Rückstellungen für Gratifikationen, Jubiläumszuwendungen und künftige Pensionszahlungen gebildet. Eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften kann insoweit nicht gebildet werden; sie würde ein Leistungsmißverhältnis aus dem Dienstvertrag im ganzen oder in der Zukunft voraussetzen (vgl. BFH in BFHE 130, 533, BStBl II 1980, 506).
Für den Umfang der Passivierung ergibt sich jedoch kein Unterschied; denn eine Verbindlichkeitsrückstellung ist nach den gleichen Grundsätzen wie eine Verbindlichkeit zu bewerten (vgl. BFH-Urteil vom 12.Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479 m.w.N.). Auszugehen ist daher vom Erfüllungsbetrag (§ 6 Abs.1 Nr.3 EStG), der sich nach den erwarteten Ausgaben aufgrund der Preisverhältnisse am Bilanzstichtag richtet (BFH-Urteile vom 19.Februar 1975 I R 28/73, BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480; vom 7.Oktober 1982 IV R 39/80, BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104; vom 5.Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, 60, BStBl II 1987, 845). Hierfür ist maßgebend, daß sich die Verpflichtung des Arbeitgebers auf eine Geld-, nicht aber eine Sachschuld richtet. Der Auffassung der Klägerin, es handle sich um eine mit den Vollkosten zu bewertende Sachleistungsverbindlichkeit, kann nicht gefolgt werden.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht nicht --wie verkürzt formuliert wird-- in der Freizeitgewährung im Folgejahr, sondern in der Zahlung für im abgelaufenen Wirtschaftsjahr nicht genommenen Urlaub, den der Arbeitnehmer voraussichtlich im Folgejahr einbringen wird.
2. Die Höhe der Rückstellung bemißt sich nach dem den betroffenen Arbeitnehmern zustehenden Urlaubsentgelt einschließlich der Lohnnebenkosten. Soweit nicht durch Tarif- oder Einzelvertrag besondere Vereinbarungen getroffen sind (dazu vgl. Dersch/Neumann, Bundesurlaubsgesetz, 7.Aufl. 1990, § 11 Bem.83 f.), errechnet sich das Urlaubsentgelt nach § 11 BUrlG; an die Stelle des Urlaubsbeginns tritt der Bilanzstichtag.
Im einzelnen sind einzubeziehen das Bruttoarbeitsentgelt, die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, das Urlaubsgeld sowie weitere lohnabhängige Nebenkosten, wie z.B. Beiträge an die Berufsgenossenschaft.
Nicht einzubeziehen sind dagegen jährlich vereinbarte Sondervergütungen --wie Weihnachtsgeld, Tantiemezahlungen, Zuführungen zu Pensions- und Jubiläumsrückstellungen-- oder Zahlungen, die --wie z.B. vermögenswirksame Leistungen-- nicht Bestandteil von Lohn und Gehalt sind (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.Januar 1991 8 AZR 644/89, Betriebs-Berater 1991, 1412; Dersch/Neumann, a.a.O., § 11 Bem.30 ff.).
Ebenfalls nicht in die Berechnung einzubeziehen sind die von der Klägerin als Gemeinkosten bezeichneten allgemeinen Verwaltungskosten. Diese sind nicht Teil der gegenüber den Arbeitnehmern zu erfüllenden Verpflichtung, sondern betriebsinterner Aufwand (so auch Abschn.38 Abs.1 EStR 1990; Christiansen, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht --JbFSt-- 1989/90, 134, 139). In gleicher Weise werden auch bei Rückstellungen für Pensions- und Jubiläumsverpflichtungen keine Verwaltungskosten angesetzt.
Die künftigen Ausgaben können nicht nach den effektiven Zahlungen des Arbeitgebers für eine anstelle des Urlaubsberechtigten beschäftigte Ersatzarbeitskraft bemessen werden. Abgesehen davon, daß die Verpflichtung des Arbeitgebers in der Zahlung der Urlaubsvergütung für den Urlaubsberechtigten besteht, wären die mit der Beschäftigung einer Ersatzkraft verbundenen Ausgaben keine Aufwendungen für die betriebliche Leistung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr.
Schließlich sind Änderungen des Entgelts, die erst im Folgejahr wirksam werden, außer Betracht zu lassen (BFH-Urteil in BFHE 155, 571, BStBl II 1989, 316; Blümich/Schreiber, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 14.Aufl., Stand Juli 1989, § 5 Rdnr.920 "Urlaub").
Die künftigen Ausgaben können individuell für jeden Urlaubsberechtigten nach Maßgabe des geschuldeten Urlaubsentgelts oder im Wege einer Durchschnittsberechnung für die Belegschaft ermittelt werden, wie sie auch von der Klägerin angestellt ist.
In diesem Fall sind die Kosten durch die Zahl der regulären Arbeitstage zu dividieren und mit der Zahl der offenen Urlaubstage zu multiplizieren (zur Kontroverse um diese Frage vgl. die Diskussionsbeiträge von Christiansen, Dreissig und Kleine, JbFSt 1989/90, 141 ff., und von Lempenau, Christiansen und Esser, Steuerberater-Jahrbuch 1989/90, 182 f.; vgl. ferner Christiansen, Die steuerliche Betriebsprüfung 1989, 221, 223).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Berechnung nicht die Zahl der tatsächlichen Arbeitstage zugrunde zu legen. Die Höhe der Rückstellung bemißt sich nach dem Wert der den Arbeitnehmern gegenüber zu erbringenden Leistungen zum Bilanzstichtag, der der Höhe des Urlaubsentgelts entsprechen muß. Das Urlaubsentgelt ist Teil des Gesamtarbeitsverdienstes; es ist der während der Dauer des Urlaubs fortzuzahlende Arbeitslohn. Das Urlaubsentgelt wird nicht zusätzlich zum Gesamtarbeitsverdienst gewährt. Darauf aber liefe die Berechnung der Klägerin hinaus.
3. Im Streitfall hätten die Tantiemezahlungen, die Gratifikationen sowie die Vermögenszulagen bei der Berechnung der Rückstellung nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Senat ist jedoch gemäß § 96 Abs.1 Satz 2, § 121 FGO nicht befugt, die Entscheidung zum Nachteil der Klägerin abzuändern.
4. Die Rückstellung in Höhe von 124 000 DM ist auch der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 1.Januar 1986 zugrunde zu legen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 571, BStBl II 1989, 316).
Fundstellen
Haufe-Index 64384 |
BFH/NV 1992, 75 |
BStBl II 1992, 910 |
BFHE 168, 329 |
BFHE 1993, 329 |
BB 1992, 1819 |
BB 1992, 1819-1820 (LT) |
DB 1992, 1960-1961 (LT) |
DStR 1992, 1353 (KT) |
DStZ 1992, 632 (KT) |
HFR 1992, 687 (LT) |
StE 1992, 534 (K) |