Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlen der Entscheidungsgründe als Revisionsgrund
Leitsatz (NV)
1. Eine Entscheidung ist nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihr nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Dabei muß zwar nicht auf jedes unbedeutende Vorbringen im einzelnen eingegangen werden, jedoch müssen die Gründe in bündiger Kürze und unter strenger Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung alles Nötige den Beteiligten offenbaren.
2. Bei der Erörterung von Rechtsfragen darf sich das Gericht auf die Beantwortung der für den Rechtsstreit wesentlichen Rechtsfragen beschränken. Werden von den Beteiligten rechtliche Fragen aufgeworfen, von deren Beurteilung die Entscheidung abhängt, so muß das Gericht darlegen, warum die Fragen so oder so zu beantworten sind. Es fehlt daher an Entscheidungsgründen, wenn sich das Gericht mit einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend dargelegten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht auseinandersetzt.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch notariellen beurkundeten Überlassungsvertrag hatte Frau L ein Grundstück auf ihre Kinder, Frau O, Frau B und Herrn L, den Kläger und Revisionskläger (Kläger), zu Miteigentum zu je 1/3 übertragen. Die Erwerbe wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) nach § 3 Nr. 6 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 von der Grunderwerbsteuer freigestellt.
Am ... wurde -- nach dem Tod von Frau L -- über das genannte Grundstück u. a. folgendes notariell beurkundet:
"Frau O, Frau B und Herr L setzen sich bezüglich des Vertragsobjektes dahingehend auseinander, daß dieses mit allen Rechten und Bestandteilen an den Kläger und Frau R zum Miteigentum übergeht, so daß künftig Herr L Miteigentümer zu 2/3 und Frau R Miteigentümerin zu 1/3 des Grundbesitzes sind.
Gegenüber Frau R handelt es sich somit um den Verkauf eines ideellen 1/3 Miteigentumsanteils.
Der Kaufpreis beträgt ... DM."
Durch Bescheid vom 2. Januar 1995 setzte das FA gegen den Kläger für diesen Erwerbsvorgang Grunderwerbsteuer aus einem anteiligen Kaufpreis von ... DM fest. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch trug der Kläger u. a. vor, daß die Heranziehung zur Grunderwerbsteuer beim Erwerb eines Grundstücks des Bruders von seiner Schwester verfassungswidrig sei, weil dies mit den Art. 3 und 6 des Grundgesetzes (GG), mit dem Rechtsstaatsprinzip des GG und dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung unvereinbar sei.
Der Einspruch wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu führte das FA folgendes aus:
"Der Kauf- und Auseinandersetzungsvertrag vom ... unterliegt der Grunderwerbsteuer als Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines (Teil-)Grundstücks begründet hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Mit diesem Vertrag hat der Einspruchsführer einen 1/3 Miteigentumsanteil am Grundstück erworben. Bemessungsgrundlage ist gemäß § 8 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die Gegenleistung, welche 50 % des Kaufpreises, gleich ... DM beträgt.
Die Voraussetzungen, daß der Erwerb des Einspruchsführers nach § 3 Abs. 3 GrEStG steuerfrei bleibt, sind nicht erfüllt, da das Grundstück zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung nicht zu einem Nachlaß gehörte, sondern bereits durch Schenkung unter Lebenden auf den Einspruchsführer und seine Geschwister übergegangen war. Eine Teilung des Nachlasses erfolgte durch die Auseinandersetzung somit nicht.
Eine Steuerbefreiung i. S. des § 3 Abs. 6 GrEStG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Einspruchsführer nicht in gerader Linie mit seinen Geschwistern verwandt ist.
Maßgeblich für die Besteuerung des Grundstückserwerbs des Einspruchsführers ist das GrEStG 1983. Dieses ist in einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen, ordnungsgemäß ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Die vollziehende Gewalt (das FA) und die Rechtsprechung sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Eine Überprüfung und Entscheidung darüber, ob Steuergesetze ganz oder teilweise mit der Verfassung vereinbar oder nicht vereinbar sind, steht dem FA nicht zu."
Die hiergegen erhobene Klage begründete der Kläger im wesentlichen wiederum mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Besteuerung. Das GrEStG sei beim Grunderwerb zwischen Geschwistern familienfreundlich i. S. des Art. 6 Abs. 1 GG auszulegen bzw. anzuwenden. Der Erwerbsvorgang falle im übrigen mangels eines Rechtsträgerwechsels nicht unter § 1 GrEStG, denn im Streitfall habe nur der Personenstand einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft gewechselt, ohne daß alle Mitgliedschaftsrechte an der Gesellschaft übertragen worden seien.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es folgendes ausgeführt:
"Das Finanzamt ist in der Streitsache zu Recht davon ausgegangen, daß der Erwerbsvorgang des Klägers weder nach § 3 Nr. 3 noch nach § 3 Nr. 6 Grunderwerbsteuergesetz von der Besteuerung ausgenommen werden kann. Der Senat schließt sich insoweit der in der Einspruchsentscheidung gegebenen Begründung an, die keinen Rechtsfehler erkennen läßt und auf die er gemäß § 105 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug nimmt.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers sowie sein Vorbringen, es habe im Streitfall überhaupt kein Rechtsträgerwechsel vorgelegen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
Der Senat sah auch keine Gründe als gegeben an, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten."
Hiergegen hat der Kläger Revision eingelegt. Sie sei nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig und gemäß § 119 Nr. 6 FGO begründet, weil das Urteil des FG nicht mit Gründen im Sinn dieser Vorschriften versehen sei. Insbesondere rügt der Kläger, daß der 2. Teil der Begründung im Abs. 3 ("die verfassungsrechtlichen Bedenken _") formelhaft und inhaltslos sei.
Er beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision des Klägers ist gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO statthaft.
a) Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO enthält das Urteil des FG die Entscheidungsgründe. Dies bedeutet, daß aus dem Urteil erkennbar sein muß, von welchen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen das FG ausgegangen ist, denn nur auf diese Weise werden sowohl den Beteiligten als auch dem Revisionsgericht gegenüber der Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde gelegt ist, und die Rechtsauffassung der Vorinstanz authentisch und nachprüfbar bekanntgegeben (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH --vom 22. April 1966 III 46/62, BFHE 86, 219, 224; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 17. Juli 1963 V C 214/62, Die Öffentliche Verwaltung -- DÖV -- 1964, 563). Danach ist eine Entscheidung i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihr nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 21. Dezember 1962 I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 337; Urteil des Bundessozialgerichts -- BSG -- vom 7. Dezember 1965 10 RV 405/65, Monatsschrift für Deutsches Recht -- MDR -- 1966, 365). Dabei muß zwar nicht auf jedes unbedeutende Vorbringen im einzelnen eingegangen werden, jedoch müssen die Gründe in bündiger Kürze und unter strenger Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung alles Nötige den Beteiligten offenbaren (BSG in MDR 1966, 365; s. auch BVerwG in DÖV 1964, 563). Bei der Erörterung von Rechtsfragen darf sich das Gericht auf die Beantwortung der für den Rechtsstreit wesentlichen Rechtsfragen beschränken; Rechtsfragen, die für die Entscheidung nicht wesentlich sind oder die außerhalb der Sache liegen, brauchen nicht erörtert zu werden (vgl. BGH in BGHZ 39, 333, 339). Werden aber von den Beteiligten rechtliche Fragen aufgeworfen, von deren Beurteilung die Entscheidung abhängt, so muß das Gericht darlegen, daß und aus welchen Gründen es auf die Entscheidung über die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt und warum die Fragen so oder so zu beurteilen sind. Es fehlt daher an Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, wenn sich das Gericht mit einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend dargelegten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht auseinandersetzt (BSG in MDR 1966, 365).
b) Die genannten Voraussetzungen hat der Kläger schlüssig dargelegt. Insbesondere führt er zutreffend aus, daß die Formulierung, der Senat vermöge die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers nicht nachzuvollziehen, eine formelhafte, inhaltslose Wendung sei, die nicht als Grundlage für eine Überprüfung der Entscheidung in einer für die Entscheidung wesentlichen Rechtsfrage geeignet ist.
2. Die Revision ist auch begründet (§ 119 Nr. 6 FGO); sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Die Überprüfung der Vorentscheidung ergibt, daß das Urteil i. S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen ist; hierfür gelten dieselben Grundsätze wie für § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO (s. o. zu 1 a).
Zwar hat das FG in zulässiger Weise durch Bezugnahme auf die Gründe der Einspruchsentscheidung Gründe dafür angegeben, warum die vom Kläger begehrte Steuerbefreiung nach dem Wortlaut des GrEStG 1983 nicht besteht (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO). Es hat jedoch insbesondere nicht dargelegt, weshalb auch die vom Kläger unter den Gesichtspunkten der Art. 3 und 6 GG für erforderlich gehaltene verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschriften nach Auffassung des Gerichts zu keinem anderen Ergebnis führt. Die Feststellung des FG, "die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers . . . vermag der Senat nicht nachzuvollziehen" widerspricht der richterlichen Begründungspflicht. Sie bedeutet allenfalls, daß das Gericht das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen hat und -- möglicherweise -- daß sich das Gericht mit dem Vorbringen befaßt hat. Eine Begründung i. S. einer -- wie der Kläger sich ausdrückt -- argumentativen Auseinandersetzung stellt sie nicht dar. Der Inhalt eines Urteils muß aber nicht nur erkennen lassen, daß sich das Gericht mit dem Begehren der Beteiligten befaßt hat (rechtliches Gehör), vielmehr muß das Gericht in dem Urteil in verständlicher und bündiger Form darlegen, warum es diesem Begehren entsprochen hat oder nicht entsprechen konnte (BSG in MDR 1966, 365).
Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen liegen auch weder außerhalb der Sache, so daß sie keiner Erörterung bedurft hätten, noch konnte das Gericht im Hinblick auf die Verweisung auf die Gründe der Einspruchsentscheidung davon absehen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen; denn der Kläger hatte eine vom Wortlaut des Gesetzes abweichende verfassungskonforme Auslegung angeregt, deren Berechtigung oder Nichtberechtigung durch den Verweis auf den Wortlaut des Gesetzes gerade nicht beantwortet wird.
Fundstellen
Haufe-Index 421770 |
BFH/NV 1997, 296 |