Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung: Bestimmtheit des Haftungsbescheids; Verschulden; Ermessensentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Zu den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids.
2. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nicht für die Lohnsteuer, die nach dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung über das Vermögen der GmbH an das FA abzuführen war.
3. Sorgt ein GmbH-Geschäftsführer an den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten nicht für die Abführung der Lohnsteuer, so verwirklicht er den Haftungstatbestand des § 109 Abs. 1 AO (§ 69 AO 1977) i. d. R. vorsätzlich. Das Vertrauen darauf, daß ihm später finanzielle Mittel zur Entrichtung der Steuern zur Verfügung stehen werden, vermag ihn nicht zu entlasten.
4. Ein Mitverschulden des FA kann allenfalls im Rahmen der nach § 118 AO (§ 191 Abs. 1 AO 1977) zu treffenden Ermessensentscheidung berücksichtigt werden.
5. Der Haftungsschuldner kann dem FA nicht entgegenhalten, es sei verpflichtet, seine Befriedigung wegen der rückständigen Steuerabzugsbeträge der GmbH aus der Einziehung ihm abgetretener Kundenforderungen zu suchen, wenn der Konkursverwalter das FA auf die Anfechtbarkeit dieser Abtretungen hingewiesen und das FA deshalb diese Forderungen für die Konkursmasse freigegeben hat.
Normenkette
AO § 97 Abs. 2, §§ 103, 109 Abs. 1, § 211; KO §§ 6, 30 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem 1. Januar 1974 alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Die GmbH war die Tochtergesellschaft einer Verwaltungs- und Finanzierungs-GmbH (Muttergesellschaft). Über das Vermögen der GmbH wurde am 9. Oktober 1974 das Konkursverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die GmbH mit angemeldeten, aber nicht abgeführten Lohn- und Kirchensteuern einschließlich Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag ab Juli 1974 in Rückstand. Am 1. Oktober 1974 hatte sie - vertreten durch den Kläger - zur Sicherung der Lohnsteueransprüche eine Anzahl Kundenforderungen an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) abgetreten. Das FA vereinnahmte hiervon einen Teil, führte aber, nachdem der Konkursverwalter auf die Anfechtbarkeit der Abtretungen hingewiesen hatte, die vereinnahmten Beträge an die Konkursmasse zurück.
Mit Haftungsbescheid vom 14. Oktober 1975 nahm das FA den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer der GmbH für die auf den Zeitraum vom 1. Juli bis 8. Oktober 1974 entfallenden Rückstände an Lohn- und Kirchensteuern, Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag einschließlich Säumniszuschlägen gemäß §§ 103, 109 der Reichsabgabenordnung (AO) in Anspruch. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) setzte unter Änderung des Haftungsbescheids und der Einspruchsentscheidung die Haftungsschuld herab und wies die Klage im übrigen ab. Zur Begründung führte es aus:
Die Klage sei begründet, soweit das FA den Kläger wegen rückständiger Steuerabzugsbeträge, die auf die Zeit vom 1. bis 8. Oktober 1974 entfielen, und für die Säumniszuschläge in Anspruch genommen habe. Für die auf diesen Zeitraum entfallenden Lohnzahlungen sei der Kläger infolge des am 9. Oktober 1974 eröffneten Konkursverfahrens nicht mehr verantwortlich gewesen. Er sei daher weder zur Einbehaltung noch zur Anmeldung und Abführung der darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge verpflichtet gewesen. Die Inanspruchnahme des Klägers für Säumniszuschläge sei deshalb rechtsfehlerhaft, weil weder dem Haftungsbescheid noch der Einspruchsentscheidung eine nähere Aufgliederung dieser Zuschläge zu entnehmen sei. Im übrigen bestehe der Haftungsanspruch zu Recht.
Mit der Revision macht der Kläger geltend:
Der angefochtene Haftungsbescheid sei nichtig, weil er an schwerwiegenden Mängeln leide. Er entspreche nicht den gesetzlichen Formerfordernissen, da er die Lohnsteuer für vier Anmeldungszeiträume und auch die ev. und rk. Kirchensteuer in einem Betrag zusammenfasse. Hierfür sei unerheblich, daß er - der Kläger - die Lohnsteueranmeldungen mitunterschrieben habe; diese Unterlagen lägen ihm jetzt nicht mehr vor. Außerdem habe das FA in dem Bescheid keine Sachverhaltsfeststellungen zu seinem Verschulden getroffen. Es habe auch nicht geprüft, ob eine Haftung der Muttergesellschaft nach den §§ 113, 114, 115 AO in Betracht komme, und seine Ermessensentscheidung, ihn allein und in voller Höhe in Anspruch zu nehmen, nicht begründet. Ferner hätte das FA zumindest in der Einspruchsentscheidung darlegen müssen, daß es mit den geltend gemachten Steuerforderungen im Konkursverfahren endgültig und vollständig ausgefallen sei.
Auch das FG habe seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verletzt. Es habe die von ihm angetretenen Beweise zu den vorgetragenen Tatsachen, mit denen er den Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung habe ausräumen wollen - keine eigene Finanzabteilung der GmbH, Durchführung sämtlicher Finanzierungsangelegenheiten einschließlich der Buchhaltung durch die Muttergesellschaft, Zusage von Liquiditätshilfen durch die Muttergesellschaft -, nicht erhoben. Auch habe es nicht geprüft, ob er auf die Finanzierungszusage der Muttergesellschaft habe vertrauen dürfen oder ob er von dieser mißbraucht worden sei. Hinsichtlich des Ermessens habe das FG nicht die Ermessensentscheidung des FA nach § 102 FGO überprüft, sondern sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des FA gesetzt.
Das FA könne ihn auch deshalb nicht als Haftenden in Anspruch nehmen, weil es selbst den Lohnsteuerausfall schuldhaft herbeigeführt habe. Es habe allein auf den Hinweis des Konkursverwalters über die Anfechtbarkeit der Forderungsabtretungen auf die Einziehung der ihm am 1. Oktober 1974 abgetretenen Kundenforderungen in Höhe von über 100 000 DM verzichtet und sogar den hieraus bereits vereinnahmten Betrag von 24 548,65 DM an die Konkursmasse abgeführt. Ob eine etwaige Anfechtung der Forderungsabtretung durch den Konkursverwalter hätte Erfolg haben können, habe es nicht geprüft. Eine Anfechtbarkeit nach § 30 Nr. 2 KO sei aber nur gegeben bei sog. inkongruenter Deckung, d. h. wenn die bewirkte Leistung von dem abweiche, was der Gläubiger im Zeitpunkt der Leistung zu beanspruchen hätte. Es sei zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen gegeben seien. Im übrigen hätte es zur Zurückweisung der Ansprüche des Konkursverwalters genügt, wenn das FA dargetan bzw. bewiesen hätte, daß ihm eine Begünstigungsabsicht des Klägers nicht bekannt gewesen sei. Wieso eine solche Erklärung für das FA unzumutbar gewesen sei, wie das FG ohne Begründung ausführe, sei nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der Lohnsteuer für den Monat September 1974 komme seine Haftung deshalb nicht in Betracht, weil es insoweit an einer schuldhaften Pflichtverletzung fehle. Diese Steuer sei am 10. Oktober 1974 fällig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei aber bereits das Konkursverfahren eröffnet gewesen, wodurch der Gemeinschuldner die Verfügungsbefugnis über sein zur Konkursmasse gehöriges Vermögen verloren habe (§ 6 KO). Es könne ihm daher nicht zur Last gelegt werden, daß er die Lohnsteuer für September 1974 nicht abgeführt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz und den durch dieses abgeänderten Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben, hilfsweise die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet.
1. Der Haftungsbescheid vom 14. Oktober 1975 ist nicht deshalb nichtig, weil er keine Auskunft darüber gibt, wie sich die in einer Summe geltend gemachte Lohnsteuer, die sich noch für die Monate Juli bis September 1974 in Streit befindet, auf die einzelnen Anmeldungszeiträume verteilt. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 8. Dezember 1981 VII R 105/78 (BFHE 134, 532, BStBl II 1982, 226) ausgeführt hat, verlangen die nach § 97 Abs. 2 AO für den Inhalt eines vor dem 1. Januar 1977 ergangenen Haftungsbescheids sinngemäß geltenden Vorschriften des § 211 AO eine derartige Aufteilung nicht. § 211 AO verlangt, daß ein solcher Bescheid ,,die Höhe der Steuer" enthält. Damit kommt der allgemeine Grundsatz zum Ausdruck, daß ein Verwaltungsakt bestimmt, unzweideutig und vollständig den Willen der Behörde bekunden muß. Die Frage, inwieweit in einem Haftungsbescheid die Haftungsschuld selbst bestimmt sein muß, muß je nach Art des Haftungsbescheids unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Mai 1980 VI R 169/77, BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669).
Im vorliegenden Fall richtet sich der Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer einer GmbH, der wußte, daß Lohnsteuer für den hier maßgeblichen Zeitraum einbehalten, aber nicht an das FA abgeführt worden war, und der nach den Feststellungen des FG die einzelnen Lohnsteueranmeldungen unterschrieben hatte. Dem Kläger waren demnach die Verhältnisse bekannt, die im Haftungsbescheid mit einem einzigen Lohnsteuerbetrag für den Gesamtzeitraum angesprochen worden sind. Für ihn konnten keine Zweifel bestehen, für welchen Sachverhalt er mit dem in einer Summe ausgewiesenen Steuerbetrag als Haftender in Anspruch genommen werden sollte. Das gilt auch für die für den Haftungszeitraum in einer Summe angegebene ev. und rk. Kirchensteuer. Daß dem Kläger die von ihm unterschriebenen Unterlagen nicht mehr zur Verfügung stehen, ist unerheblich, da das die Frage der inhaltlichen Bestimmtheit des Haftungsbescheids nicht berührt. Diese Tatsache war allenfalls geeignet, die Rechtsverteidigung des Klägers zu erschweren. Dem hätte er aber durch die Aufforderung an das FA, die in einer Summe genannten Beträge aufzuschlüsseln, oder durch Einsichtnahme in die dem FA vorliegenden Lohnsteueranmeldungen abhelfen können.
Die vom Kläger für seine gegenteilige Auffassung zitierten BFH-Urteile betreffen Sachverhalte, die sich vom Streitfall wesentlich unterscheiden. Im Falle des Urteils vom 23. Februar 1977 I R 243/74 (BFHE 121, 307, BStBl II 1977, 366) war von dem Liquidator einer GmbH durch Haftungsbescheid Körperschaftsteuer in einer Summe für mehrere Veranlagungszeiträume angefordert worden, die vor dem Liquidationszeitraum und damit vor dem Beginn der Tätigkeit des Liquidators lagen, und im Falle des Urteils vom 28. Januar 1983 VI R 35/78 (BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472) hatte das FA durch Steuerbescheid festzusetzende Steuerbeträge mit Lohnsteuerhaftungsbeträgen zusammengerechnet und in einer Summe in einem Bescheid angefordert.
Die inhaltliche Bestimmtheit und damit die Wirksamkeit des Bescheids leiden auch nicht darunter, daß dieser - nach Auffassung des Klägers - nicht ausreichend begründet worden ist. Denn die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts (vgl. § 121 AO 1977) ist im wesentlichen ein Ausfluß des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und hat mit den formellen Anforderungen, die an den Inhalt eines Bescheids zu stellen sind, nichts zu tun (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 1981 VII R 3/79, BFHE 133, 163). Im übrigen reicht es aus, wenn die Begründung in der Einspruchsentscheidung nachgeholt wird (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO 1977).
2. a) Die Revision ist hinsichtlich der auf den Monat September 1974 entfallenden Steuerabzugsbeträge begründet. Insoweit hat der Kläger den vom FA und vom FG angenommenen Haftungstatbestand nicht erfüllt. Die für September 1974 einbehaltenen Steuerabzüge waren bis zum 10. Oktober 1974 an das FA abzuführen (§ 41 Abs. 2 Nr. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1971). Zu diesem Fälligkeitszeitpunkt war aber der Kläger nach § 6 Abs. 1 KO nicht mehr zur Verfügung über Geldmittel der GmbH befugt, weil am 9. Oktober 1974 das Konkursverfahren über deren Vermögen eröffnet worden war. Da der Kläger vor dem Fälligkeitszeitpunkt zur Abführung der von den Septemberlöhnen einbehaltenen Lohnsteuer nicht verpflichtet war und er nach Eintritt der gesetzlichen Verpflichtung aus Rechtsgründen an deren Erfüllung gehindert war, erscheint dem Senat sein Verhalten für die auch insoweit eingetretene Steuerverkürzung (§ 109 Abs. 1 AO) nicht ursächlich.
Für diese Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob der Kläger ohne die Konkurseröffnung am 9. Oktober 1974 überhaupt in der Lage und gewillt gewesen wäre, die auf die Lohnzahlungen für September 1974 entfallenden Steuerabzugsbeträge an das FA abzuführen. Ebensowenig kann darauf abgestellt werden, daß er auch für die Vormonate seine Abführungsverpflichtung nicht erfüllt hat, und ob er im September 1974 zum Zwecke der gleichrangigen Befriedigung des FA gekürzte Nettolöhne ausgezahlt und die darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge zur Abführung an das FA bereitgehalten hat. Denn auch wenn er zur Erfüllung dieser steuerlichen Verpflichtung alles seinerseits Erforderliche getan haben sollte, konnte er die einbehaltenen Steuerabzugsbeträge zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr an die Finanzkasse abführen, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Konkursmasse gehörige Vermögen der GmbH mit der Konkurseröffnung auf den Konkursverwalter übergegangen war. Die - wenn auch begründete - Vermutung, daß der Kläger auch ohne die Konkurseröffnung die Steuer nicht abgeführt hätte, kann für den vorliegenden Sachverhalt den Haftungstatbestand der §§ 103, 109 AO nicht begründen.
b) Dagegen ist die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für die Steuerabzugsbeträge, die auf die Monate Juli bis August 1974 entfallen, gerechtfertigt. Als Geschäftsführer der GmbH hatte er gemäß § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), § 103 AO alle Pflichten zu erfüllen, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug oblagen, insbesondere die auf § 41 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 beruhende Pflicht, bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat der Kläger zwar bei den Lohnzahlungen in den Monaten Juli und August 1974 Lohnsteuer einbehalten, diese aber nicht gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 1 LStDV 1971 spätestens am 10. Tag nach Ablauf des jeweiligen Monats an das FA abgeführt. Durch die jeweilige Unterlassung der Abführung bis zu diesem Zeitpunkt sind die Lohnsteueransprüche des FA gegenüber den Arbeitnehmern verkürzt worden. Denn eine Steuerverkürzung i. S. des § 109 Abs. 1 AO liegt vor, wenn die Steuerschuld nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig an die Finanzkasse abgeführt worden ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521 mit weiteren Nachweisen). Diese Haftungsvorschrift findet auf den Streitfall Anwendung, da der haftungsbegründende Tatbestand vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht worden ist (Art. 97 § 11 EGAO 1977). Der Kläger hat den Haftungstatbestand des § 109 Abs. 1 AO in der Form der nicht rechtzeitigen Abführung der Steuerabzugsbeträge für die Monate Juli und August 1974 nach seinem eigenen Vorbringen sogar vorsätzlich verwirklicht. Denn er hat im Vertrauen darauf, daß das FA stillhalten und die Muttergesellschaft später ihre Finanzierungszusage einlösen werde, die Steuern zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten bewußt nicht an das FA abgeführt.
3. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die vom Kläger angegebenen Umstände des Streitfalles ihn hinsichtlich des Schuldvorwurfs nach § 109 Abs. 1 AO nicht entlasten können. Wenn infolge der finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich die GmbH befand, die dem Kläger zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichten, so hätte er die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen dürfen und aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen müssen (so die ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteil des erkennenden Senats in BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521; ebenso § 30 Abs. 3 LStDV 1971). Wenn der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und darauf vertraut hat, er werde die Steuerrückstände aufgrund der Finanzierungszusage der Muttergesellschaft später ausgleichen können, so ist er damit bewußt das Haftungsrisiko eingegangen. Sein Vertrauen auf die Zusage der Muttergesellschaft entschuldigt ihn nicht, weil er dem FA gegenüber als Geschäftsführer der GmbH allein die Verantwortung für deren Steuerabzugsbeträge trägt.
Da es für die Entscheidung des Streitfalles auf das Verhältnis der GmbH zur Muttergesellschaft und auf die näheren Umstände der von dieser erteilten Finanzierungszusage und den damit beim Kläger begründeten Vertrauenstatbestand nicht ankommt, ist die vom Kläger in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der mangelnden Sachaufklärung durch das FG (§ 76 FGO) nicht begründet. Das FG hat im übrigen die vom Kläger behauptete Finanzierungszusage als gegeben unterstellt. Es hat aber die vom Kläger aus dieser gezogene Schlußfolgerung hinsichtlich seines Verschuldens rechtsfehlerfrei nicht nachvollzogen.
4. Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 103, 109 AO Haftenden handelt es sich um eine nach § 118 AO zu treffende und der richterlichen Nachprüfung unterliegende (§ 102 FGO) Ermessensentscheidung. Ermessensentscheidungen der Verwaltung sind zu begründen; anderenfalls sind sie im Regelfall fehlerhaft (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Das gilt jedoch nicht für Ermessensentscheidungen, deren Begründung auf der Hand liegt (vgl. auch § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Durch die im Rahmen des § 109 AO bei der Haftung zu treffende Rechtsentscheidung wird die Ermessensentscheidung (§ 118 AO) in gewisser Weise vorgeprägt. Bei schwereren Verschuldensformen als leichte Fahrlässigkeit kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat. Die Verwaltung braucht dann die die Ermessensentscheidung bestimmenden Erwägungen nicht ausdrücklich in den Bescheid oder die Einspruchsentscheidung aufzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
a) Der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 1976 lassen Ermessenserwägungen des FA bei der Inanspruchnahme des Klägers nicht erkennen. Da bei einer durch den Haftungsschuldner vorsätzlich begangenen Steuerverkürzung - dieser Verschuldensvorwurf trifft den Kläger hinsichtlich der nicht fristgerechten Abführung der Steuerabzugsbeträge - dessen Inanspruchnahme regelmäßig gerechtfertigt ist, konnte das FA von einer Begründung dafür absehen, warum es weder die Muttergesellschaft in Anspruch genommen noch vor der Heranziehung des Klägers eine Befriedigung bei der GmbH, die als Arbeitgeberin nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG 1974 zunächst für die Rückstände haftete, versucht hat. Das gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, daß die vom Kläger dafür angeführten Vorschriften (§§ 113, 114, 115 AO) eine Haftung der Muttergesellschaft entweder gar nicht oder nur unter besonderen, noch festzustellenden Umständen hätten begründen können. Daß eine Inanspruchnahme der GmbH nicht erfolgversprechend war, war wegen des über deren Vermögen eröffneten Konkursverfahrens offensichtlich.
b) Auch soweit sich der Kläger auf ein Mitverschulden des FA beruft, kann dieses allenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung eine Rolle spielen, weil es den Haftungsanspruch aus § 109 AO, der allein an die Erfüllung der dort genannten Tatbestandsmerkmale anknüpft, nicht ausschließt (vgl. BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, letzter Absatz).
aa) Der Kläger sieht ein mitwirkendes Verschulden des FA, das seine Inanspruchnahme ausschließen soll, zunächst darin, daß dieses die rückständigen Abzugsbeträge nicht früher eingezogen hat. Nach Auffassung des VI. Senats des BFH (Urteil vom 11. August 1978 VI R 169/75, BFHE 125, 508, BStBl II 1978, 683) liegt aber ein bei der Ermessensentscheidung zu beachtendes Mitverschulden des FA nicht vor, wenn dieses über einen längeren Zeitraum von seinen Befugnissen u. a. zur Überwachung und Beitreibung der Lohnabzugsbeträge keinen Gebrauch macht. Denn der Arbeitgeber oder dessen Geschäftsführer haben keinen Anspruch auf die Wahrnehmung dieser gesetzlichen Befugnisse durch das FA. Der erkennende Senat schließt sich dem an.
bb) Ein weiteres Mitverschulden des FA, das den Steuerausfall herbeigeführt haben soll, sieht der Kläger darin, daß dieses die ihm von der GmbH, vertreten durch den Kläger, zur Sicherung der rückständigen Lohnsteueransprüche abgetretenen Kundenforderungen im Gesamtwert von über 100 000 DM und die daraus bereits eingezogenen Beträge von 24 548,65 DM für die Konkursmasse freigegeben bzw. an diese ausgezahlt hat. Das FA hat in seinen gegen den Kläger ergangenen Bescheiden auch hinsichtlich dieses Umstands seine Ermessensentscheidung nicht begründet. Der Senat sieht im Hinblick darauf, daß der Kläger die Steuerverkürzung für die Abzugsbeträge der Monate Juli und August 1974 vorsätzlich bewirkt hat, dessen Inanspruchnahme als Haftenden auch unter Berücksichtigung der abgetretenen und vom FA an die Konkursmasse freigegebenen Kundenforderungen als ermessensgerecht an. Das qualifizierte Verschulden des Haftungsschuldners machte auch insoweit eine ausdrückliche Begründung der Ermessensentscheidung durch die Verwaltung entbehrlich (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
Angesichts des schweren Verschuldens des Klägers und des rechtlich zweifelsfreien Haftungsanspruchs gegen diesen war das FA nicht gehalten, seine Befriedigung wegen der rückständigen Steuerabzugsbeträge der GmbH aus der Einziehung der ihm abgetretenen Kundenforderungen zu suchen, nachdem es der Konkursverwalter auf die Anfechtbarkeit der Abtretungen hingewiesen hatte. Das FA war auch nicht verpflichtet, die Rechtslage hinsichtlich der Konkursanfechtung eingehend zu prüfen und sich etwa auf einen Rechtsstreit mit dem Konkursverwalter einzulassen. Vielmehr war es berechtigt, die Kundenforderungen, deren wirksame Abtretung zweifelhaft war, freizugeben und seine Befriedigung auf dem rechtlich sichereren Wege über die Inanspruchnahme des Klägers zu suchen. Hinzu kommt, daß keine Verpflichtung des FA gegenüber dem Kläger bestand, die Kundenforderungen, deren Abtretung es zunächst angenommen hatte, für die Steuerschulden der GmbH einzuziehen. Es ist davon auszugehen, daß das FA bei seiner Entscheidung, den Kläger als Haftenden in Anspruch zu nehmen, stillschweigend diese Ermessenserwägungen angestellt hat. Da demnach die Heranziehung des Klägers nicht ermessensfehlerhaft war, kann es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits dahinstehen, ob die Anfechtung der Forderungsabtretung durch den Konkursverwalter nach der Regelung des § 30 Nr. 2 KO Erfolg gehabt hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 413853 |
BFH/NV 1987, 227 |