Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertung im Inland
Leitsatz (NV)
Unter ,,verwerten" i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in der Zeit vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. September 1976 im Rahmen eines Forschungsvorhabens in Kolumbien tätig. Er stand in einem privatrechtlichen Dienstvertrag mit Prof. X. vom Institut für Ernährungswirtschaft an der Universität A. und bezog sein Gehalt von der dortigen Universitätskasse. Das Forschungsvorhaben betraf die Frage, ob bzw. wann die Ernährung von Mutter und Kleinkind die geistige Entwicklung des Kindes beeinflußt. In Kolumbien ist der Kläger mit seinen Bezügen nicht zu einer Steuer herangezogen worden.
Der Beklagte und Revisionkläger (das Finanzamt - FA -) führte in der Annahme, der Kläger sei unbeschränkt steuerpflichtig, für das Jahr 1975 einen Lohnsteuer-Jahresausgleich für ihn durch, der zu einer Lohnsteuererstattung führte. Auf den Einspruch des Klägers gelangte das FA zu dem Ergebnis, der Kläger sei mit seinen Einkünften aus der in Kolumbien ausgeübten Tätigkeit beschränkt steuerpflichtig. Es bezog sich dabei auf eine Auskunft des Prof. X., wonach die Ergebnisse der Forschungstätigkeit in Kolumbien in Deutschland durch wissenschaftliche Publikationen ausgewertet worden seien. Das FA setzte mit der abweisenden Einspruchsentscheidung unter Aufhebung des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich und Rückforderung des erstatteten Betrages von 125 DM die Jahreslohnsteuer 1975 auf 9 119 DM fest.
Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 605 veröffentlichten Urteil statt, indem es das FA verurteilte, die im Jahre 1975 einbehaltene Lohnsteuer von 9 119 DM zu erstatten.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und macht geltend, daß eine Verwertung im Inland vorliege, wenn der Erfolg der Arbeitsleistung im Inland eintrete.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG wird aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Ob das FG das FA zu Recht verurteilt hat, die 1975 einbehaltene Lohnsteuer von 9 119 DM zu erstatten, kann aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.
1. Der Kläger war allenfalls beschränkt steuerpflichtig. Er hatte nach den von den Beteiligten nicht bestrittenen Feststellungen des FG im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).
Das FG hat festgestellt, daß der Kläger in einem privatrechtlichen Dienstvertrag mit Prof. X. stand. Diese Feststellung läßt jedoch letztlich offen, ob der Kläger Arbeitnehmer des Prof. X. war, ob er wiederkehrende Bezüge i. S. des § 22 Nr. 1 EStG nach Art eines Stipendiums unmittelbar von der Forschungsgemeinschaft bezog oder ob Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) vorliegen. Da die fehlende Feststellung unmittelbaren Einfluß auf die Qualifikation der Einkünfte des Klägers als inländische haben kann, wird das FG sie nachholen müssen. Sollte es dabei zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger eine nichtselbständige Arbeit zu erbringen hatte, werden weitere Feststellungen erforderlich, um beurteilen zu können, ob die Tätigkeit im Rahmen des Forschungsvorhabens im Inland verwertet wurde und damit zu inländischen Einkünften zählt (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG).
2. Unter ,,verwerten" i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt. Dies ergibt sich aus der grammatischen Auslegung und dem Gesamtzusammenhang, in dem das Wort ,,verwerten" steht.
2.1. Das Wort ,,verwerten" kann sich auf einen Gegenstand in dem Sinne beziehen, daß der Wert, der in ihm steckt, herausgeholt wird und zunutze gemacht wird (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, 12. Bd., I. Abteilung 1956, S. 2233). Als Beispiel für die Verwendung des Wortes ,,verwerten" in der Gesetzessprache sei auf § 15 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) hingewiesen, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten (d. h., zu vervielfältigen, zu verbreiten und auszustellen). Der Nutzen der geleisteten Arbeit kann dort gezogen werden, wo die Arbeit ausgeübt wird. Es ist jedoch auch denkbar, den Nutzen an einem anderen Ort zu ziehen, vor allem bei Tätigkeiten, durch die ein geistiges Produkt hervorgebracht wird.
2.2. Unter Verwerten i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann. Wenn der Gesetzgeber in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für das Vorliegen inländischer Einkünfte sowohl an die Ausübung als auch an die Verwertung der nichtselbständigen Arbeit anknüpft, kann sich der Begriff der Verwertung nur auf diejenigen Fälle beziehen, in denen die nichtselbständige Arbeit an einem Ort verwertet wird, der nicht mit dem der Ausübung übereinstimmt. Für die Fälle, in denen die nichtselbständige Arbeit nur am Ort der Ausübung verwertet werden kann, hätte es des Anknüpfungsmerkmals der Verwertung neben dem der Ausübung nicht bedurft.
2.3. Zwar läßt der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG durch den Gebrauch des Passivs (,,verwertet wird oder worden ist") offen, wen die Vorschrift als Verwerter voraussetzt. Der Gesamtzusammenhang, in dem die Vorschrift steht, ergibt jedoch, daß nur der Arbeitnehmer als Verwerter in Betracht kommt.
Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer die dort bezeichneten Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Dies spricht dafür, daß im Zweifel die Tatbestandsmerkmale, an die das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - = § 38 der Abgabenordnung - AO 1977 -), von demjenigen zu verwirklichen sind, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt.
In § 49 Abs. 1 EStG werden, wie die Bezugnahme auf § 1 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung zeigt, diejenigen Einkünfte einer natürlichen Person aufgezählt, die bei ihr zur beschränkten Einkommensteuerpflicht führen, wenn sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG enthält zum überwiegenden Teil keine Fälle, in denen die Steuerpflicht von einem Dritten in dem Sinne abhängig gemacht wird, daß dessen Verhalten zu einem Merkmal des Tatbestandes im engeren Sinne rechnet. Wenn § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG auf Verhältnisse eines Dritten (Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland) abstellt, handelt es sich um allgemeine Anknüpfungsmerkmale, die nicht zu dem Tatbestand im engeren Sinne zählen, von dem die Steuerpflicht abhängt.
Soweit § 49 Abs. 1 EStG, nämlich in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, auf das Tatbestandsmerkmal ,,verwerten" neben dem der ,,Ausübung" abstellt, wird es in dem Sinne verstanden, daß es auf die Verwertung durch denjenigen ankommt, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1970 I R 137/68, BFHE 101, 73, BStBl II 1971, 200; vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76). Das BFH-Urteil vom 23. Mai 1973 I R 163/71 (BFHE 111, 29, BStBl II 1974, 287) betrifft den Begriff der Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, einer Vorschrift, nach der nicht auch die Ausübung maßgebend ist.
In § 40 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1971 war ausgeführt, daß die nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet wird, wenn ihr wirtschaftlicher Erfolg der inländischen Volkswirtschaft unmittelbar zu dienen bestimmt ist. Der Senat muß darauf nicht eingehen; denn die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1975 aufgehoben (vgl. § 1 Nr. 10 der Änderungsverordnung vom 12. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3462). Zwar wurde in der Begründung zum EStG 1935 der Begriff der Verwertung in derselben Weise interpretiert wie in § 40 Abs. 2 LStDV 1971 (vgl. Begründung zum EStG 1934, RStBl 1935, 33, 59). Dies steht jedoch einer davon abweichenden Auslegung einer Gesetzesvorschrift nicht entgegen. Maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den dieser hineingestellt ist.
Der Senat vertritt damit eine andere Auffassung als die, die in den Lohnsteuer-Richtlinien (Abschn. 92 Abs. 2 Satz 2) zum Ausdruck kommt. Insbesondere kann das Tatbestandsmerkmal ,,verwerten im Inland" nicht davon abhängen, ob der Arbeitslohn zu Lasten eines inländischen Arbeitgebers gezahlt wird. Das Gesetz stellt in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für bestimmte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darauf ab, ob sie aus inländischen öffentlichen Kassen gewährt werden. Daraus ist zu entnehmen, daß es bei anderen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht auf den Zahlungsvorgang ankommen kann.
Der Senat gibt seine dem Urteil vom 6. April 1977 I R 252/74 (BFHE 122, 94, BStBl II 1977, 575) zugrunde liegende Auffassung auf. Das Urteil hatte einen Streitfall zum Gegenstand, auf den die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 40 Abs. 2 LStDV 1971 zur Anwendung kam. Das Urteil vom 15. September 1971 I R 202/67 (BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281) betraf die Mitwirkung eines Filmschauspielers an einem Film, der teils im Inland, teils im Ausland gedreht wurde. Das Urteil läßt für den Ort der Verwertung nicht entscheidend sein, wo der Film aufgeführt wurde, sondern stellt darauf ab, wo der Film unter Mitwirkung des Schauspielers entstand. Dies entspricht den oben dargestellten Grundsätzen. Der Schauspieler überträgt dem Hersteller vertraglich das ausschließliche Recht, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen (§ 89 UrhG). Diese Leistung wird in der Regel dort erbracht, wo der Film hergestellt wird. Auf den Ort der Aufführung des Filmes kam es nicht an, weil es sich dabei um die Verwertung eines dem Filmhersteller zustehenden Rechts (§ 94 UrhG) handelt, das dieser durch die Verwertung der Werke der Mitwirkenden (§ 89 UrhG) geschaffen hat.
2.4. Die Feststellungen des FG ergeben nicht, daß der Kläger das Ergebnis seiner Tätigkeit seinem Arbeitgeber im Inland zuführte bzw. ihm zuführen sollte. Eine Verwertung im Inland läge nur vor, wenn der Kläger nach den getroffenen Vereinbarungen seinem Arbeitgeber einen Forschungsbericht zu übergeben gehabt hätte. Dabei käme es nicht darauf an, ob die Forschungsergebnisse den gestellten Anforderungen genügen; entscheidend ist, daß der Arbeitgeber die Entscheidung über die Verwendungsfähigkeit der Ergebnisse nur treffen kann, wenn die Ergebnisse ihm zur Kenntnis gebracht werden. Unerheblich ist auch, ob der Arbeitgeber die Forschungsergebnisse kommerziell verwertete.
Fundstellen
Haufe-Index 414855 |
BFH/NV 1987, 761 |