Entscheidungsstichwort (Thema)

Altkontraktregelung zur Erstattung von Währungsausgleichsbeträgen

 

Leitsatz (NV)

1. Die Antragsfrist des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 gilt auch für die nach Absatz 3 zu übermittelnden Angaben und Unterlagen; sie ist eine Ausschlußfrist.

2. Die Regelung des Art. 11 Abs. 2 und 3 VO Nr. 926/80 ist mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

3. Zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Rahmen der Altkontraktregelung zur Erstattung von Währungsausgleichsbeträgen aus Anlaß von Währungsmaßnahmen.

 

Normenkette

EWGV 926/80 Art. 11 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Mit Währungsmaßnahmen vom 4. Oktober 1981 und 12. Juni 1982 wurde die Deutsche Mark gegenüber dem belgischen Franken aufgewertet. Damit erhöhten sich die Währungsausgleichsbeträge (WAB) für Zucker aus Belgien. Am 9. Oktober 1981 und 18. Juni 1982 beantragte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) für sechs bzw. zwei näher bezeichnete Zuckerkontrakte Erstattung der erhöhten WAB nach der Regelung der Verordnung (EWG) Nr. 926/80 (VO Nr. 926/80) der Kommission vom 15. April 1980 über die Befreiung von der Erhebung von WAB in bestimmten Fällen (ABlEG L 99/15). In den beiden Anträgen bezeichnete die Klägerin die Zuckerkontrakte näher und kündigte an, daß die Originalunterlagen sofort nachgereicht würden. Die Unterlagen wurden dem HZA im ersten Fall nach dem 23. Oktober 1981, im zweiten Fall mit Schreiben vom 15. Juli und 16. Juli 1982 übersandt. Das HZA lehnte die Anträge mit der Begründung ab, es fehlten die in Art. 11 Abs. 3 Buchst. b bis j VO Nr. 926/80 geforderten Angaben und die Altverträge seien nicht beigefügt worden.

Die nach erfolglosen Beschwerden eingelegten Klagen wies das Finanzgericht (FG) ab. Es führte im wesentlichen aus:

Nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 seien Anträge auf Erstattung von WAB binnen fünf Arbeitstagen nach der öffentlichen Bekanntgabe der Währungsmaßnahme schriftlich bei der zuständigen Behörde einzureichen. Dabei handle es sich um eine Ausschlußfrist. In den Streitfällen sei die Antragsfrist am 9. Oktober 1981 bzw. am 21. Juni 1982 abgelaufen. Nach Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 müsse der Antrag die für die Beurteilung des Falles erforderlichen Angaben enthalten, insbesondere die in den Buchst. a bis j aufgeführten. Fälle höherer Gewalt hätten unstreitig nicht vorgelegen (vgl. Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 926/80). Diese Regelung sein nicht unverhältnismäßig. Nur durch eine relativ kurze Ausschlußfrist, innerhalb der der Vertrag vorzulegen und alle wesentlichen Daten anzugeben seien, werde der in Absatz 6 der Erwägungsgründe zur VO Nr. 926/80 genannte Zweck erreicht, Mißbräuche zu verhindern und zu einer verwaltungstechnischen Vereinfachung beizutragen. Manipulationen sollten dadurch zumindest erschwert werden. Bei dieser Rechtslage verbiete sich ein Rückgriff auf die nationalen Regelungen zum Schutz des guten Glaubens. Auch für eine Selbstbindung der Verwaltung gegen das Gemeinschaftsrecht bestehe kein Raum.

Die Klägerin legte Revision mit den Anträgen ein, die Vorentscheidungen, die Bescheide des HZA in der Fassung der Beschwerdeentscheidungen aufzuheben, hilfsweise, die Sachen an das FG zurückzuverweisen. Sie macht in beiden Fällen folgendes geltend:

Die Fünftagesfrist gelte nicht für Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80. Die Frist sei ausdrücklich nur in Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 für die Antragstellung vorgesehen. Der Anwendungsbereich der außergewöhnlich einschneidenden Fristenregelung dürfe nicht extensiv ausgelegt werden. Aus dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 könne nicht entnommen werden, daß die hier genannten Angaben und Unterlagen auch innerhalb der Fünftagesfrist der zuständigen Behörde zu übermitteln seien. Bei einer abweichenden Interpretation wäre Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam.

Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 enthalte keine Ausschlußfrist. Wolle man diese Frist überhaupt auf den Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 übertragen, so habe sie allenfalls Ordnungscharakter. Ausschlußfristen müßten angemessene Fristen sein. Die in Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 genannten Angaben und Unterlagen ließen sich in vielen Fällen nicht innerhalb der Fünftagesfrist beschaffen und an die zuständige Behörde versenden. Die Verordnung bezwecke auch nicht, die rechtliche Geltendmachung von Billigkeitsansprüchen durch unverhältnismäßig kurze Fristen abzuschneiden.

Hilfsweise werde geltend gemacht, daß die Ausschlußfrist sich nur auf die unter Buchst. a und b genannten Angaben beziehe. Im Wege der Auslegung, insbesondere unter Berücksichtigung der Zielsetzung und des Zwecks der Fristsetzung, sei zu bestimmen, welche Angaben als wesentlich und welche als weniger wesentlich anzusehen seien. Nur die Einreichung des Antrages selbst sei eine wesentliche Voraussetzung für die Billigkeitserstattung. Darüber hinaus könne man auch den Tag des Vertragsabschlusses noch als wesentlich ansehen. Wenn auch noch die Warenmenge in dem Vertrag angegeben sei, so sei damit noch eine weitergehende Identifizierung des Vertrages erfolgt. Alle weiteren in Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 genannten Angaben seien nachrangig. Gleiches gelte für die Überreichung des Originals oder einer beglaubigten Abschrift des schriftlichen Vertrages über die Einfuhren.

Hilfsweise werde weiter geltend gemacht, daß, falls sich die Ausschlußfrist des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 auf alle Angaben und Unterlagen des Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 einschränkungslos beziehe, diese Vorschrift gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Dieser Grundsatz gelte auch im Gemeinschaftsrecht. Das eingesetzte Mittel sei mit der Bedeutung des Zwecks der Regelung nicht zu vereinbaren. Die extrem knappe Fristsetzung sei zur Erreichung des Gesetzeszweckes auch nicht angemessen und erforderlich. Es sei nicht erforderlich gewesen, die Fristen für eine Antragsspezifizierung und Begründung so extrem knapp zu bemessen, daß damit Anträge mit erheblichen finanziellen Folgen aus formellen Gründen ausgeschieden würden. Die Regelung schaffe auch eine Ungleichbehandlung, da ein Importeur, der beruflich auf Reisen oder mit anderen Aufgaben überlastet sei, sich bereits kraft gesetzlicher Regelung in einer viel ungünstigeren Ausgangsposition befinde als ein Importeur, der im Zeitpunkt des Bekanntwerdens der in der Regel überraschend eingetretenen Währungsmaßnahme seine gesamte Arbeitskraft auf die Stellung der Anträge konzentrieren könne. Die VO Nr. 926/80 diene gerade dem Zweck, aus Gründen der Billigkeit unvermeidbare und unvorhersehbare Nachteile zu mildern. Es sei kein Grund ersichtlich, die Begründung des Ausgleichsanspruchs an so knappe Fristen zu binden. Das sei ein Rechtsausschluß mit enteignungsgleicher Wirkung. Die Frist habe den Zweck, das gute Funktionieren der Abwicklung der Erstattung von WAB sicherzustellen. Mit der kurzen Fristbemessung könne auch keineswegs Betrügereien entgegengetreten werden. Unternehmen, die betrügen wollten, könnten gefälschte oder unrichtige Unterlagen oder Angaben auch innerhalb von fünf Tagen herstellen. Der Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde nicht etwa durch Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 926/80 ausgeräumt. Sie, die Klägerin, könne sich nicht auf den Tatbestand der höheren Gewalt berufen, da schon die strengen Voraussetzungen an das objektive Element (ungewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Umstände) nicht vorgelegen hätten.

Die Zurückweisung ihrer Anträge widerspreche auch dem Grundsatz von Treu und Glauben. Ein Gutglaubensschutz könne nur auf Umstände gestützt werden, die vor Fristablauf begründet worden seien. Diesen Umstand sehe sie, die Klägerin, in Absatz 5 der Dienstanweisung zur VO Nr. 926/80 ,,vom 2. März 1980" (Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung - VSF - M 0965). Hier sei vorgesehen, daß fristgerecht gestellte Anträge unverzüglich auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen seien und der Zollbeteiligte aufzufordern sei, eventuell unklare oder fehlende Angaben oder Einzelheiten innerhalb kurzer Frist zu ergänzen. Entsprechend sei das HZA auch verfahren. Das HZA habe anläßlich des Währungsereignisses vom 4. Oktober 1981 eine umfangreiche Korrespondenz mit ihr, der Klägerin, gehabt. Ihr sei in diesen Schreiben die Möglichkeit der nachträglichen Beibringung von Angaben und Unterlagen ausdrücklich eingeräumt worden, ohne daß sie auf die angeblich auch im Rahmen des Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 geltende Ausschlußfrist hingewiesen worden sei. Die Dienstanweisung in Verbindung mit der Abwicklung von Altkontrakten anläßlich des Währungsereignisses vom 4. Oktober 1981 sowie der Durchführung des Erstattungsverfahrens anläßlich des Währungsereignisses vom 14. Juni 1982 untersagten es dem HZA unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung und des vorausgegangenen Verhaltens, ihre, der Klägerin, Anträge als verspätet zurückzuweisen.

Sollte das HZA in Abrede stellen, daß die materiellen Voraussetzungen der VO Nr. 926/80 erfüllt seien, und sollte der Senat eine Klärung dieser Frage in tatsächlicher Hinsicht für erforderlich halten, so müßte die Sache an das FG zurückverwiesen werden. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) wäre unter den Gesichtspunkten der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu beurteilen.

Das HZA beantragt, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hält es für zweckmäßig, die Verfahren VII R 94/87 und VII R 95/87 zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Revisionen sind unbegründet. Das HZA hat die beiden Anträge der Klägerin zu Recht mit der Begründung abgelehnt, sie habe nicht innerhalb der Ausschlußfrist des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 die erforderlichen Angaben gemacht und nicht die erforderlichen Unterlagen vorgelegt.

1. Nach Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 sind die Anträge ,,binnen fünf Arbeitstagen nach der öffentlichen Bekanntgabe der Währungsmaßnahme schriftlich bei den zuständigen Behörden einzureichen". Der Antrag ,,muß die für die Beurteilung des Falles erforderlichen Angaben enthalten" (Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 926/80). In dieser Vorschrift wird im einzelnen aufgezählt, was der Antrag ,,insbesondere" enthalten muß, z. B. die betreffende Ware, den Preis der im Vertrag vorgesehenen Waren, die Fristen für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag und die Währung, in welcher die Zahlung zu leisten ist. Nach Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 926/80 sind dem Antrag schließlich ,,gegebenenfalls das Original oder eine beglaubigte Abschrift des schriftlichen Vertrages . . . beizufügen".

Der Senat teilt die Auffassung des FG und des HZA, daß die Frist des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 auch für die nach Absatz 3 der Behörde zu übermittelnden Angaben und Unterlagen gilt. Nach dieser Vorschrift muß der Antrag diese Angaben enthalten und müssen die Unterlagen ihm beigefügt werden. Da der Antrag innerhalb der bestimmten Frist einzureichen ist, müssen also auch diese Angaben und Unterlagen bis zum Ende dieser Frist zur zuständigen Behörde gelangen. Diese Regelung ist nicht anders zu werten als z. B. die des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO, wonach in der Schrift der Nichtzulassungsbeschwerde das Erforderliche dargelegt werden muß, was nach einhelliger Auffassung dahin zu verstehen ist, daß diese Darlegung - da die Beschwerde fristgebunden ist (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO) - innerhalb der Beschwerdefrist zu geschehen hat, obwohl der genannte Satz 3 keine eigene Fristbestimmung enthält. Hier wie dort ist die Regelung hinsichtlich der Bedeutung der Fristbestimmung eindeutig.

Für die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung dieser Regelung gibt es keine Anhaltspunkte. Kein solcher ist der Umstand, daß die für die Beurteilung des Falles erforderlichen Angaben, die der Antrag enthalten muß, in Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 926/80 nur beispielhaft aufgezählt worden sind. Gerade die Tatsache, daß durch die Aufzählung von Beispielen die Definition des Begriffes ,,erforderliche Tatsachen" deutlich umschrieben worden ist, spricht dafür, daß es dem objektiven Willen des Verordnungsgebers entsprach, zumindest die Einreichung der genau umschriebenen Angaben und Unterlagen an die Frist zu binden. Zumindest insoweit konnten Mißverständnisse auf seiten der potentiellen Antragsteller nicht entstehen. Andernfalls wäre auch die Regelung des Art. 11 Abs. 4 VO Nr. 926/80 unverständlich, wonach die Behörde zusätzliche Angaben (z. B. Erläuterungen der fristgerecht gemachten erforderlichen Angaben) anfordern und für deren Übersendung eine Frist setzen kann. Auf das Wort ,,gegebenenfalls" in Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 926/80 beruft sich die Klägerin zu Unrecht. Es bedeutet allein, daß Original oder Abschrift des schriftlichen Vertrages nur (fristgerecht) vorgelegt werden muß, wenn es ein entsprechendes Schriftstück überhaupt gibt.

Der Senat folgt auch nicht der Auffassung der Klägerin, die genannte Frist beziehe sich, wenn überhaupt, nur auf die unter den Buchst. a und b genannten Angaben (Tag des Vertragsschlusses und betroffene Ware). Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 926/80 ist eindeutig. Er unterscheidet nicht nach der Bedeutung der in der beispielhaften Aufzählung genannten Fakten. Überdies trifft die Auffassung der Klägerin nicht zu, die Mitteilung der in Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 ausdrücklich genannten Tatsachen oder Unterlagen würden nur gefordert, um den jeweiligen Altvertrag besser identifizieren zu können. Insoweit muß auf die unter Nr. 2 näher erläuterte Zielsetzung der Fristregelung, nämlich Mißbräuche zu vermeiden, hingewiesen werden; nur durch die Einreichung aller genannten Details und Unterlagen innerhalb der kurzen Frist wird die Mißbrauchsgefahr vermindert.

Der Senat teilt die Auffassung des FG und des HZA, daß die Fünftagesfrist für die Einreichung der erforderlichen Angaben und Unterlagen eine Ausschlußfrist ist (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 13. September 1984 IV 29, 30/84, SH, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 305, das der Senat mit Urteil vom 5. Juni 1985 VII R 136/84, BFHE 144, 104, 106, bestätigt hat). Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich einmal aus der systematischen Stellung des Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80 unmittelbar im Anschluß an die Vorschrift des Absatz 1, wonach nur bestimmte Personen Anträge einreichen können. Wäre die Gegenauffassung der Klägerin richtig, es handle sich nur um eine Ordnungsvorschrift, so wäre auch die Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 926/80 nicht recht verständlich, wonach im Falle höherer Gewalt die Mitgliedstaaten von der Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen befreien können. Für die Auffassung des Senats, die sich bereits nach dem Wortlaut aufdrängt, spricht schließlich auch noch der Sinn und Zweck der Regelung des Art. 11 VO Nr. 926/80. Die kurze Antragsfrist soll das Risiko von Mißbräuchen mindern (vgl. im einzelnen die Ausführungen unter Nr. 2). Diesen Zweck kann aber nur eine Ausschlußfrist erfüllen.

2. Nach den vorstehenden Ausführungen stehen der Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil die meisten der in Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80 genannten Angaben und Unterlagen nicht fristgerecht zum HZA gelangten. Es bedarf keines Eingehens auf die Frage, ob sie bestehen könnten, wenn die genannte Regelung des Art. 11 VO Nr. 926/80 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig wäre. Denn jedenfalls liegt ein solcher Verstoß nicht vor.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Teil des Gemeinschaftsrechts. Um festzustellen, ob eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts diesem Grundsatz entspricht, ist in erster Linie zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels angemessen und erforderlich sind (vgl. z. B. EuGH-Urteil vom 24. September 1985 Rs. 181/84, EuGHE 1985, 2897, 2903).

Das Ziel, das mit einer Billigkeitsregelung gleich der der VO Nr. 926/80 verfolgt wird, hat der Senat in den Gründen seines Urteils vom 24. November 1981 VII R 58/79 (BFHE 134, 492), das zur Vorgänger-Verordnung (EWG) Nr. 1608/74 (VO Nr. 1608/74) der Kommission vom 26. Juni 1974 (ABlEG L 170/38) ergangen ist, im einzelnen dargelegt. Er hat dabei betont, daß der pauschale Charakter des Währungsausgleichssystems unbillige Belastungen bewirken könne, die alle zu beseitigen nicht Sinn und Zweck der VO Nr. 1608/74 sein könne. Diese Regelung habe vielmehr lediglich Nachteile ausgleichen helfen wollen, die sich unter ganz bestimmten Voraussetzungen unmittelbar aus einer Währungsmaßnahme ergeben hätten. Eine solche Billigkeitsregelung ist also als solche keine zwangsläufige Folge des Währungsausgleichssystems, das grundsätzlich davon ausgeht, daß sich die betreffenden Wirtschaftskreise selbst mit entsprechenden Mitteln gegen Wechselkursänderungen schützen (vgl. auch Senatsurteil vom 12. August 1986 VII R 45/84, BFHE 147, 290, 292).

Diese Auffassung wird bestätigt durch die Verordnung (EWG) Nr. 1084/84 (VO Nr. 1084/84) der Kommission vom 18. April 1984 zur Aufhebung der VO Nr. 926/80 (ABlEG L 106/26). In der Begründung dieser Verordnung heißt es, die ,,zu sehr von Mißbrauch bedrohte Regelung" sei aufzuheben; um zusätzliche Belastungen aus einer etwaigen Erhöhung der WAB zu vermeiden, würden die Beteiligten künftig die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen haben, indem sie geeignete Klauseln in die Verträge aufnähmen (Absatz 5 der Gründe).

Ziel der Regelung der VO Nr. 926/80 war also einerseits, Einführer, die durch die Währungsmaßnahme überrascht worden sind und durch Altverträge gebunden waren, unter bestimmten Voraussetzungen von den nach dem Währungsausgleichssystem Rechtens zu zahlenden erhöhten WAB aus Billigkeitsgründen zu befreien. Andererseits sollte die Regelung aber auch die Gleichbehandlung dadurch sicherstellen, daß niemand in den Genuß der Billigkeitsregelung kam, der nicht die genannten Voraussetzungen nachweisbar erfüllte, also u. a. durch die neuen WAB nicht zusätzlich belastet war oder die Belastung hätte vermeiden können. Gerade die letztere Zielsetzung der Eingrenzung der Begünstigten und der Verhinderung von Mißbräuchen hat eine besondere Bedeutung wegen des Umstandes, daß die Erfüllung der Voraussetzungen der Billigkeitsregelung im wesentlichen nur anhand kaufmännischer Daten und Dokumente der Beteiligten hatte geprüft werden können und daher - auch im Hinblick auf die Höhe der infrage stehenden zu erstattenden WAB - die Gefahr von Mißbräuchen groß war.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Kommission die Gefahr von Mißbräuchen u. a. dadurch zu vermeiden trachtete, daß sie besonders kurze Fristen für die Antragstellung setzte (10 Tage in Art. 3 VO Nr. 1608/74; 5 Arbeitstage in Art. 11 Abs. 2 VO Nr. 926/80) und innerhalb der Frist entweder den vollen Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen (Art. 2 Abs. 2 VO Nr. 1608/74) oder wenigstens die Einreichung bestimmter Unterlagen und Angaben (Art. 11 Abs. 3 VO Nr. 926/80) forderte. Die große Bedeutung dieser Fristregelung macht die Begründung der VO Nr. 1084/84 deutlich, mit der die VO Nr. 926/80 ersatzlos aufgehoben wurde. Anlaß für die Aufhebung war die Erfahrung, daß ,,in konkreten Fällen der Beweis, daß eine der Bedingungen nicht erfüllt ist, kaum erbracht werden (konnte), obgleich das Gesamtvolumen der Mengen, auf die sich die Befreiungsanträge bezogen, Anlaß zu ernsten Zweifeln an der Zuverlässigkeit der gelieferten Angaben gab" (Absatz 3 der Gründe). In der Begründung heißt es weiter, daß solche Schwierigkeiten sich nur durch eine Regelung vermeiden lassen würden, die praktisch undurchführbar wäre (Absatz 4 der Gründe). Unter diesen Umständen hielt die Kommission die ,,Aufhebung der zu sehr von Mißbrauch bedrohten Regelung" für den ,,einzig gangbaren Weg". Gleiches macht auch die Begründung der VO Nr. 926/80 deutlich, aus der sich ergibt, daß Änderungen gegenüber der VO Nr. 1608/74 (also auch die Verkürzung der Frist) auf die gewonnenen einschlägigen Erfahrungen zurückzuführen sind; ferner ergibt sich aus dem 6. Erwägungsgrund, daß die Festlegung gewisser ,,pauschaler Grenzen" dazu dienen sollten, ,,Mißbräuche zu verhindern".

Aus dem Vorstehenden ergibt sich die Bedeutung der Fristregelung des Art. 11 VO Nr. 926/80. Im Vergleich mit diesem Ziel ist das eingesetzte Mittel - Pflicht des Antragstellers, innerhalb einer relativ kurzen Frist bestimmte Angaben zu machen oder Unterlagen einzureichen - angemessen und erforderlich. Die Kommission war also durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gehindert, eine solche Vorschrift zu erlassen, zumal sie den Rahmen für eine Entlastungsregelung abgab. Etwas anderes müßte nur dann gelten, wenn die Fristregelung den Betroffenen die Inanspruchnahme der Billigkeitsregelung praktisch unmöglich gemacht hätte. Davon kann aber nicht die Rede sein. Die geforderten Angaben und Unterlagen sind solche, die die Antragsteller im Regelfall präsent haben. Es ist ihnen also durchaus zumutbar, sie innerhalb von fünf Arbeitstagen der zuständigen Behörde verfügbar zu machen. Der damit verbundene Aufwand ist nicht übermäßig. Hinzu kommt, daß es die Billigkeitsregelung der VO Nr. 926/80 bereits (in der Form der VO Nr. 1608/74) seit 1974 gab, ebenso wie die Erfahrung gelegentlicher Währungsmaßnahmen mit nachfolgender Erhöhung der WAB, so daß die davon betroffenen Wirtschaftskreise Vorkehrungen treffen konnten, um zumindest die für einen Antrag auf Billigkeitserstattung der erhöhten WAB notwendigen Angaben und Unterlagen kurzfristig vorlegen zu können. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 926/80 die Mitgliedstaaten ermächtigte, die Antragsteller wenigstens im Falle höherer Gewalt von den Folgen der Nichteinhaltung der Fristen zu befreien. Es ist zwar richtig, daß nach der Rechtsprechung des EuGH an die Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen hohe Anforderungen zu stellen sind, die unstreitig im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Das ändert aber nichts daran, daß im Rahmen der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, zu berücksichtigen ist, daß aufgrund Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 926/80 die Folgen der Nichteinhaltung der vorgesehenen Fristen in bestimmten Fällen gemildert werden können.

Die Einwendungen der Klägerin gegen diese Auffassung sind nicht stichhaltig. Daß die Bearbeitung der Anträge durch die zuständigen Behörden oft jahrelang dauert, ist ohne Einfluß auf den Zweck der kurzen Fristsetzung, der, wie ausgeführt, in der Verhinderung von Mißbräuchen liegt. Gewiß können auch innerhalb der kurzen Frist Unterlagen gefälscht werden. Daraus ergibt sich aber nur, daß die Fristsetzung Mißbräuche nicht ausschließt, zumal die geschilderte Voraussehbarkeit von Währungsmaßnahmen auch die Vorbereitung solcher Mißbräuche ermöglicht. Daß die Fristsetzung geeignet ist, Mißbräuche zu vermeiden, ist aber zweifelsfrei, zumal diese in vielen Fällen nicht ohne Kontaktaufnahme mit den Lieferanten möglich sind, die kaum vorweggenommen werden kann und nachträglich innerhalb von fünf Arbeitstagen durchzuführen gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte. Die Gleichbehandlung der Einführer ist nicht in Gefahr, da auch überlastete oder während des Fristlaufs abwesende Einführer Vorkehrungen für den seit Jahren immer wieder eintretenden Fall der Erhöhung der WAB wegen Währungsmaßnahmen hätten treffen können. Die von der Klägerin zitierten EuGH-Urteile sind alle zu dem nicht vergleichbaren Fall des Kautionsverfalls bei Verletzung von Nebenpflichten ergangen.

3. Es kann unentschieden bleiben, ob die gemeinschaftsrechtlichen oder einzelstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes oder von Treu und Glauben zu einem Rechtsanspruch in Fällen der vorliegenden Art auf Gewährung der von ihr beantragten Billigkeitserlasse führen könnten. Denn jedenfalls greifen diese Grundsätze hier offenkundig nicht ein.

Mit Recht geht die Klägerin davon aus, daß ihre Berufung auf den Gutglaubensschutz nur auf ein Verwaltungshandeln gestützt werden könnte, das vor Ablauf der Fünftagesfrist lag. Denn die einmal eingetretene Rechtsfolge des Fristablaufs kann durch ein später eingetretenes, aufgrund eines nachhaltigen Verwaltungshandelns verursachtes Vertrauen der Klägerin auf ein bestimmtes späteres Verhalten der Verwaltung unter keinen Umständen ungeschehen gemacht werden.

Die Klägerin beruft sich auf Absatz 5 der Dienstanweisung des Bundesministers der Finanzen (BMF) zur Anwendung der VO Nr. 926/80 (VSF M 0965). Diese Dienstanweisung kann aber von vornherein keine Grundlage für die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben sein, da es insoweit an einem konkreten Rechtsverhältnis fehlt (vgl. Senatsurteil vom 18. März 1986 VII R 55/83, BFHE 146, 294, 297). Außerdem konnte diese Dienstanweisung kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in ein bestimmtes zukünftiges Verhalten der Zollstellen erzeugen. Denn die im genannten Absatz 5 enthaltene Anweisung an die Zolldienststellen enthält nichts, was mit der Fristregelung des Art. 11 VO Nr. 926/80 in der Auslegung des Senats unvereinbar wäre; in Art. 11 Abs. 4 VO Nr. 926/80 heißt es ausdrücklich, daß die zuständige Behörde zusätzliche Angaben anfordern und für deren Übermittlung eine Frist setzen kann.

Auch der Hinweis auf den Schriftwechsel des HZA mit der Klägerin vermag deren Berufung auf den Grundsatz des Gutglaubensschutzes nicht zu begründen. Es kann dahinstehen, ob das entsprechende tatsächliche Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren noch berücksichtigt werden kann. Auch kann unentschieden bleiben, ob den behaupteten schriftsätzlichen Äußerungen des HZA gegenüber der Klägerin die Nachhaltigkeit zukommt, die allein ein entsprechendes Vertrauen der Klägerin schützenswert machen könnte. Denn jedenfalls wäre ein etwaiges Vertrauen der Klägerin, das HZA werde seine unrichtige Rechtsauffassung von der Bedeutung der Fristregelung des Art. 11 VO Nr. 926/80 auch in Zukunft beibehalten, schon deswegen nicht schützenswert, weil sich aus Art. 11 VO Nr. 926/80 ausdrücklich und offenkundig etwas anderes ergibt. Überdies vermittelt auch der Grundsatz von Treu und Glauben keinen Rechtsanspruch darauf, daß die Verwaltung an einer früher geäußerten unrichtigen Rechtsauffassung auch in Zukunft festhalten wird (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 4 AO 1977, Anm. 59, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

4. Der Senat ist zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht verpflichtet. Er hält die richtige Auslegung der Fristregelung der VO Nr. 926/80 für derart offenkundig, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3431). Soweit der Senat sich zum gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geäußert hat, geht es allein um die Gültigkeit der Fristregelung der VO Nr. 926/80. In einem solchen Fall ist der Senat zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nur dann verpflichtet, wenn er die entsprechende Vorschrift des Gemeinschaftsrechts für ungültig hält oder wenigstens Zweifel an der Gültigkeit hat (vgl. Urteil des Senats vom 23. Februar 1988 VII R 31/86 und VII R 29/87, BFHE 152, 382, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH); das ist hier nicht der Fall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416820

BFH/NV 1990, 470

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