Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen eines einheitlichen Vertragswerkes kann eine Anteilsvereinigung verneint werden, wenn ein bindendes Angebot zur Übertragung eines Gesellschaftsanteils auf einen neuen Gesellschafter bereits nach drei Tagen angenommen worden ist.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 3
Streitjahr(e)
1959
Tatbestand
An dem Stammkapital der B-GmbH in Höhe von 1.225.000 DM waren die Gesellschafter M. und R. J. mit je 367.500 DM beteiligt; die anderen Geschäftsanteile von 490.000 DM befanden sich im Besitz der B-GmbH selbst. Zum Vermögen der B-GmbH gehören Grundstücke. Nach vorherigen mündlichen Vereinbarungen wurden die Beteiligungsverhältnisse an der B-GmbH durch mehrere notarielle Verträge im November 1959 erheblich geändert. Die B-GmbH übertrug und veräußerte von ihren eigenen Anteilen durch Urkunde I vom 9. November 1959 je 182.500 DM an die Gesellschafter M. und R. J. Den ihr verbliebenen Anteil von 125.000 DM bot die B-GmbH durch Urkunde II vom 9. November 1959 der J-GmbH an, die dieses Angebot durch Urkunde III vom 12. November 1959 annahm. Die Gesellschafter M. und R. J. übertrugen und veräußerten ihre gesamten Anteile von je 550.000 DM durch Urkunde IV vom 9. November 1959 als Einlage auf die Firma X-KG (KG, Revisionsbeklagte, Steuerpflichtige - Stpfl. -), die am 30. Oktober 1959 gegründet worden war.
Das Finanzamt (FA) vertrat die Auffassung, daß durch die Urkunde IV - bis auf den noch der B-GmbH gehörenden Anteil - alle Anteile am 9. November 1959 in der Hand der Stpfl. vereinigt worden seien. Die I-GmbH sei erst drei Tage später, am 12. November 1959, durch formgültige Annahme (Urkunde III) des Angebots nach der Urkunde II vom 9. November 1959, als weitere Gesellschafterin der B-GmbH hinzugekommen. Durch vorläufigen Steuerbescheid setzte das FA eine Grunderwerbsteuer fest.
Der Einspruch war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Berufung statt. Die gewählte Vertragsgestaltung sei lediglich auf formale - auch gebührenrechtliche - Gründe zurückzuführen. Da alle Beteiligten trotz der mehreren Verträge eine einheitliche Regelung beabsichtigt hätten und da zwischen den Verträgen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang bestehe, sei unbedenklich ein einheitliches geschlossenes Vertragswerk anzunehmen, das eine Steuerpflicht aus § 1 Abs. 3 GrEStG nicht auslöse.
Mit der Rb. beruft sich das FA darauf, daß im Grunderwerbsteuerrecht die rechtliche Betrachtungsweise im Vordergrund stehe. Deshalb müsse die Steuerpflicht auch dann bejaht werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - alle Anteile der B-GmbH (unbeschadet der der B-GmbH selbst gehörenden Anteile) auch nur während dreier Tage in der Hand der Stpfl. vereinigt gewesen seien.
Entscheidungsgründe
Die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. des FA kann keinen Erfolg haben.
Es ist zwar - wie das FA geltend macht - richtig, daß bei der Grunderwerbsteuer als einer Steuer vom Rechtsverkehr die rechtliche Betrachtungsweise im Vordergrund steht, und daß die Beteiligten im allgemeinen auch grunderwerbsteuerrechtlich die von ihnen selbst gewählte Vertragsgestaltung für oder gegen sich gelten lassen müssen. Dieser Grundsatz ist aber nicht ausnahmslos und starr anzuwenden, wie schon der wesentlich von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beherrschte Ersatztatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG (Erwerb der Verwertungsbefugnis) zeigt. Auch § 1 Abs. 3 GrEStG in der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gebilligten Modifikation (Beschluß 1 BvR 345/61 vom 10. Juni 1963, besonders zu III 2, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 16 S. 203, BStBl I S. 620) nimmt insofern eine gewisse Sonderstellung ein, als nicht ein unmittelbarer Grundstücksumsatz, sondern ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang der Steuer unterworfen wird. Als Ergänzungstatbestand zu § 1 Abs. 1 und Abs. 2 GrEStG ist er, wie der Senat erst neuerdings in dem Urteil II 70/63 vom 16. März 1966 (BStBl III 1966, 378) entschieden hat, sinnvoll ab- und einzugrenzen, dies auch unter Beachtung des Umstandes, daß je nach dem Einzelfall die rechtliche oder wirtschaftliche Betrachtungsweise im Vordergrund stehen kann (vgl. insoweit auch Urteil des Senats II 35/56 U vom 19. Dezember 1956, zu II 2 Abs. 2, BFH 64, 284; BStBl III 1957, 108).
Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine Anteilsvereinigung auch dann vorliegen, wenn die restlich-verbliebenen Anteile (größeren oder kleineren Umfangs) sich in handelsrechtlich zulässiger Weise (vgl. für die GmbH § 33 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbH -) im Besitz der Gesellschaft selbst befinden, weil die Gesellschaft begrifflich nicht eine von ihr selbst verschiedene Person, nicht ihr eigener Gesellschafter sein kann (vgl. RFH-Urteil II A 485/29 vom 23. Oktober 1929, Slg. Bd. 26 S. 100, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 3, Rechtsspruch 43; BFH-Urteil II 189/53 U vom 27. Januar 1954, BFH 58, 451; BStBl III 1954, 83, neuerdings insoweit bestätigt durch Urteil des Senats II 26/63 vom 16. März 1966, BStBl III 1966, 254). Gerade dieser auch hier gegebene Fall zeigt, daß § 1 Abs. 3 GrEStG den ihm eigentümlichen Gesetzlichkeiten folgt und jeweils entsprechend den Gegebenheiten des Einzelfalles anzuwenden ist.
Wenn das FG in Würdigung aller Umstände des Streitfalles bei Auslegung der verschiedenen Verträge ohne Rechtsirrtum, ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und gegen die Denkgesetze - insoweit also bindend für den Senat (ß 288 Ziff. 1, § 296 Abs. 1 AO a. F.; vgl. § 118 Abs. 1 und 2 FGO, ferner insoweit Urteil des Senats II 38/62 U vom 30. Juni 1965 zu II 2, BFH 83, 36; BStBl III 1965, 514) zu dem Ergebnis gekommen ist, daß es sich hierbei um ein einheitliches Vertragswerk handele, so ist diese Auslegung, die nicht zu einer steuerpflichtigen Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG führt, durchaus möglich und rechtlich nicht zu beanstanden.
Auch der Senat hat das Vorliegen eines solchen einheitlichen Vertragswerkes - mit Auswirkungen zugunsten oder auch zuungunsten des Steuerpflichtigen - unabhängig von der Frage des Gestaltungsmißbrauchs im Sinne des § 6 StAnpG - in zum Teil amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen - bejaht, wenn alle Beteiligten trotz mehrerer Verträge eine einheitliche Regelung beabsichtigten und wenn zwischen den mehreren Verträgen ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestand (vgl. z. B. insoweit Urteile II 182/56 U vom 8. Oktober 1958, BFH 68, 15; BStBl III 1959, 7; II 265/60 vom 31. Oktober 1963 zu III, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 Nr. 23 S. 24). Nach den Feststellungen des FG hatten alle Beteiligten unstreitig schon Ende Oktober 1959 die Neuregelung der Beteiligungsverhältnisse an der B-GmbH vereinbart; die mehreren Urkunden vom 9. und 12. November 1959 waren auch nach der ausdrücklichen Bestätigung des beurkundenden Notars nur der formgerechte Vollzug eines geschlossenen Vertragswerks, das auch grunderwerbsteuerrechtlich nach seinem Gesamtinhalt gewürdigt werden konnte und mußte. Insbesondere hielt sich die B-GmbH rechtsverbindlich bis Ende 1959 an ihr förmliches Angebot gebunden und die Vorinstanz konnte zutreffend annehmen, daß nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür bestanden, die I-GmbH habe sich erst nach Erhalt des Angebots entschlossen, Gesellschafterin der B-GmbH zu werden. Im Gegenteil hatte der beurkundende Notar außerdem bestätigt, daß die von den Beteiligten beabsichtigte gleichzeitige Übertragung der Geschäftsanteile von der B-GmbH auf die I-GmbH noch am 9. November 1959 nur deshalb unterblieben und durch Angebot vom 9. November und Annahme vom 12. November 1959 ersetzt worden war, weil der Vertreter der I-GmbH seine Bevollmächtigung nicht nachweisen konnte und weil er - der Notar- deshalb Bedenken hatte, diesen Vertreter eine verbindliche Annahmeerklärung abgeben zu lassen. Unter diesen Umständen ist es für den vorliegenden Fall grunderwerbsteuerrechtlich unerheblich, welche Anforderung das Handelsrecht mit Rücksicht auf die Formvorschriften des § 15 GmbHG im übrigen an die Form der Bevollmächtigung zur Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen stellt (vgl. hierzu insbesondere Urteil des Bundesgerichtshofs II ZR 23/53 vom 24. März 1954, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 13 S. 49, wonach der Verkauf und die Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils in notarieller Form durch einen formlos Bevollmächtigten vorgenommen werden kann, wenn die Vollmacht den Bevollmächtigten namentlich benennt; ferner Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, § 167 Anm. 8; ferner Schilling in Hachenburg, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., § 15 Anm. 25 mit weiteren Nachweisen). Da bereits die Bejahung des einheitlichen Vertragswerkes zur Verneinung der Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG führt, braucht außerdem nicht erörtert zu werden, welche Auswirkungen auf die Grunderwerbsteuer es normalerweise haben müßte, wenn die Beteiligten - sei es auch zur Einsparung von Gebühren - eine bestimmte Art der Vertragsgestaltung wählen.
Demgemäß war die Revision des FA zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 425801 |
BFHE 1966, 406 |
BFHE 86, 406 |