Leitsatz (amtlich)
Werden Vorsteuerbeträge vom FA mit Selbstverbrauchsteuer (§ 30 UStG 1967/1973) verrechnet, so sind im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung die verrechneten Vorsteuerbeträge Einnahmen, die verrechnete Selbstverbrauchsteuer aber keine Werbungskosten.
Normenkette
EStG §§ 8-9, 9b, 11; UStG 1967/1973 § 9; UStG 1967/1973 § 30
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der mit seiner Ehefrau zusammen veranlagt wird, ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er in den Jahren 1969 und 1970 ein Fabrikgebäude errichtete. Das Gebäude vermietete er nach der Fertigstellung im September 1970. Mit der Abgabe der Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 1970 am 25. Januar 1972 verzichtete der Kläger auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - UStG 1967 - und beantragte gleichzeitig, seine Umsätze der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des UStG 1967 (Regelbesteuerung) zu unterwerfen (§ 19 Abs. 4 UStG 1967).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ im Streitjahr 1972 die Umsatzsteuerbescheide 1970 und 1971, die mit Umsatzsteuerguthaben des Klägers von 42 936 DM und 4 475 DM abschlossen. Dabei wurden auch 72 271 DM und 5 037 DM Selbstverbrauchsteuer mit Vorsteuerbeträgen des Klägers verrechnet. Das FA entsprach auch dem weiteren Antrag des Klägers, die Versteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 UStG 1967 vorzunehmen. Der Kläger konnte aufgrund der ausgeübten Wahlrechte die ihm für den Bau des Gebäudes berechneten Vorsteuern absetzen und hatte die Selbstverbrauchsteuer zu entrichten.
Aufgrund einer Nachschau rechnete das FA 1972 bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dem bisherigen Überschuß der Werbungskosten über die Einnahmen die bezahlte Vorsteuer auf die Investitionen hinzu (für 1970: 42 469 DM; für 1971: 78 891 DM; für 1972: 10 637 DM). Außerdem setzte das FA für 1972 die erstattete Umsatzsteuer in Höhe von 47 411 DM und die Selbstverbrauchsteuer in Höhe von 77 308 DM als Einnahme an. Es kam hierdurch zu einem Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 114 430 DM.
Einspruch und Klage blieben in der hier streitigen Frage ohne Erfolg.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie sind nach wie vor der Auffassung, die Selbstverbrauchsteuer für Investitionen sei in den Jahren 1970 und 1971 bereits mit Ablauf dieser Kalenderjahre entstanden. Alle vor der Festsetzung der Umsatzsteuerzahllast durchgeführten Anrechnungen positiver und negativer Steuerteilbeträge würden sich im Ausgleich der in den jeweiligen Jahren vollzogenen Steuertatbestände ergeben, auch wenn sie erst in späteren Steuerbescheiden festgesetzt würden. Die Kläger bestreiten außerdem, daß die Vorsteuern Werbungskosten seien und daß die Option für die Umsatzsteuer zurückwirke.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer 1972 nach einem Einkommen von 93 330 DM festzusetzen, hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist nicht begründet.
Die Vorentscheidung verletzt entgegen der Auffassung der Kläger nicht die Vorschriften der §§ 8, 9, 9 b und 11 EStG.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei den Vorsteuerbeträgen, die das FA mit der Selbstverbrauchsteuer für 1970 und 1971 verrechnet hat, um Einnahmen i. S. von § 8 Abs. 1 EStG handelt, die den Klägern im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung im Veranlagungszeitraum 1972 zugeflossen sind, und daß die Selbstverbrauchsteuer, die im selben Veranlagungszeitraum mit den Vorsteuerbeträgen verrechnet worden ist, nicht abgezogen werden darf.
Soweit die Kläger meinen, die Vorsteuerbeträge seien keine Einnahmen, verweist der Senat auf seine Ausführungen im Urteil vom 29. Juni 1982 VIII R 6/79 (BStBl II 1982, 755).
2. Die Kläger sind zu Unrecht der Auffassung, die Einnahmen hätten sich nicht im Veranlagungszeitraum 1972 auswirken dürfen.
a) Der Zeitpunkt, in dem sich bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Einnahmen und Werbungskosten auswirken, ergibt sich aus § 11 EStG. Nach dieser Vorschrift sind Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich in dem jeweiligen Kalenderjahr des Zu- und Abflusses zu erfassen, ohne Rücksicht darauf, zu welchem Jahr sie wirtschaftlich gehören.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist für den Zufluß der Vorsteuerbeträge und für den Abfluß der Umsatzsteuer und Selbstverbrauchsteuer nicht jeweils die rechtliche Entstehung des Anspruchs und der Schuld, sondern der jeweilige Zufluß und Abfluß maßgebend.
b) Die Berechnung und Festsetzung der Umsatzsteuer beruht, wie der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 30. September 1976 V R 109/73 (BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227) dargelegt hat, auf zwei besonderen Besteuerungsgrundlagen. Zum einen geht in die Steuerberechnung die Summe der Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UStG 1967 ein, für die die Entstehung der Steuerschuld in § 13 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UStG 1967 geregelt ist (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967). Hinzuzurechnen sind die nach § 14 Abs. 2 und 3 UStG 1967 geschuldeten Steuerbeträge (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967). Von der Steuerzwischensumme, die für diese Besteuerungsgrundlage errechnet ist, sind gemäß § 16 Abs. 2 UStG 1967 diejenigen Vorsteuerbeträge abzuziehen, die auf in demselben Veranlagungszeitraum gemäß § 15 Abs. 1 UStG 1967 entstandenen Vorsteuerabzugsansprüchen beruhen (weitere Zwischensumme). Die beiden festgestellten besonderen Besteuerungsgrundlagen sind miteinander zu saldieren und gehen in einem Saldo auf. Dieser Saldo ist die für den Veranlagungszeitraum zu berechnende Steuer (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 UStG 1967).
Übersteigen die Steuerschulden i. S. des § 16 Abs. 1 UStG 1967 betragsmäßig die Vorsteuerabzugsansprüche i. S. des § 16 Abs. 2 UStG 1967, so schließt die Steuerberechnung mit einem positiven Saldo zugunsten des FA ab. Bei der berechneten und festzusetzenden Steuer handelt es sich um eine Steuerzahlungsschuld des Steuerpflichtigen. Übersteigen dagegen die Vorsteuerabzugsansprüche i. S. des § 16 Abs. 2 UStG 1967 die Steuerschulden i. S. des § 16 Abs. 1 UStG 1967, ergibt die Steuerberechnung einen Saldo zugunsten des Steuerpflichtigen (Rotbetrag). Bei der berechneten und festzusetzenden negativen Steuer handelt es sich um eine negative Steuerzahlungsschuld. Dem Steuerpflichtigen steht in Höhe dieses Betrages ein Auszahlungsanspruch gegen das FA zu (vgl. § 18 Abs. 4 letzter Satz UStG 1967).
Die Besteuerungsgrundlagen sind zwar unselbständige Teile des Umsatzsteuerbescheids. Der Steuerbetrag wie der Erstattungsbetrag sind aber, wie ausgeführt, jeweils ein Saldo, der durch Verrechnung von Umsatzsteuer aufgrund der Umsätze i. S. des § 1 Abs. 1 UStG 1967 mit Vorsteuerbeträgen entstanden ist.
c) Bei der umsatzsteuerrechtlichen Verrechnung handelt es sich nicht um eine Aufrechnung im bürgerlichrechtlichen Sinn.
Vergleichbar dem Kontokorrent, bei dem ursprünglich selbständige Ansprüche durch die Saldierung ihre Selbständigkeit verlieren, gehen die Vorsteuerbeträge und Umsatzsteueransprüche umsatzsteuerrechtlich im Saldo Steuerzahlungsschuld oder Erstattungsbetrag auf. Der Anspruch auf Abzug der Vorsteuerbeträge (§ 15 Abs. 1 UStG 1967), soweit er die Umsatzsteuerschuld oder Selbstverbrauchsteuerschuld mindert, wird durch diese Minderung der Steuerschuld zu einer Einnahme des Steuerpflichtigen (§ 8 EStG). Die wirtschaftliche Verfügungsmacht über diese Einnahme erlangt der Steuerpflichtige aber erst dadurch, daß das FA eine um den Vorsteuerbetrag geminderte Steuerzahlungsschuld oder eine "negative Steuerzahlungsschuld" festsetzt. Daher fließt die Einnahme dem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in dem der Steuerbescheid erlassen wird (§ 11 EStG). Dagegen fließt der Erstattungsbetrag, der im Fall einer "negativen Steuerzahlungsschuld" als Saldo entsteht, dem Steuerpflichtigen erst mit der Auszahlung zu.
Das FA ist infolgedessen ohne Rechtsverstoß von einem Zufluß der Vorsteuerbeträge im Veranlagungszeitraum 1972 ausgegangen, ohne daß es darauf ankommt, wann die Umsatzsteuerschuld und die Selbstverbrauchsteuerschuld entstanden sind.
3. Andererseits führt die Verrechnung der Vorsteuerbeträge mit Umsatzsteuer und mit Selbstverbrauchsteuer einkommensteuerrechtlich zu einem Abfluß der Umsatzsteuer und der Selbstverbrauchsteuer in dem Zeitpunkt, in dem der Umsatzsteuerbescheid erlassen wird.
Der Abfluß der Selbstverbrauchsteuer ist aber kein Abfluß von Werbungskosten. Denn die Umsatzsteuer für den Selbstverbrauch (§ 30 UStG 1967/1973) gehört zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Selbstverbrauch sie entfällt (§ 9 b Abs. 3 EStG). Sie wirkt sich - ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Abflusses - als Teil der Anschaffungskosten oder Herstellungskosten bei der Einkünfteermittlung nur insoweit aus, als sie gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG als Absetzung für Abnutzung zu berücksichtigen ist. Demgemäß führen die Verrechnung der Vorsteuerbeträge mit der Umsatzsteuer und die Verrechnung der Vorsteuerbeträge mit der Selbstverbrauchsteuer einkommensteuerrechtlich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Denn die Umsatzsteuer für die Umsätze aus der Vermietung und Verpachtung des Grundstücks gehört zu den Werbungskosten, die nach § 11 Abs. 2 EStG im Jahre des Abfließens bei der Ermittlung der Einkünfte zu berücksichtigen sind.
Das FA hat daher zutreffend eine Minderung der Einnahmen, die im Zufluß der Vorsteuerbeträge liegt, insoweit nicht zugelassen, als ihnen ein Abfluß der Selbstverbrauchsteuer gegenüberstand.
Fundstellen
Haufe-Index 74389 |
BStBl II 1982, 753 |
BFHE 1983, 235 |