Leitsatz (amtlich)

Zu einer Gehörsverletzung bei fehlender Berücksichtigung des Vortrags zum Verständnis des Verkäufers vom Inhalt einer Mängelrüge im Sinne des § 377 HGB (im Anschluss an BGH, Urteile vom 18. Juni 1986 - VIII ZR 195/85, NJW 1986, 3136 unter II 1; vom 21. Oktober 1987 - VIII ZR 324/86, juris Rn. 19; vom 14. Mai 1996 - X ZR 75/94, NJW 1996, 2228 unter II 2).

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; HGB § 377

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Entscheidung vom 30.01.2023; Aktenzeichen 2 U 1017/20)

LG Berlin (Entscheidung vom 25.03.2020; Aktenzeichen 105 O 64/18)

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Kammergerichts - 2. Zivilsenat - vom 30. Januar 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 158.579,69 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte aufgrund der ihr am 11. Juli und 23. August 2017 erteilten Aufträge am 2. und 21. August sowie am 20. September 2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten) an die Klägerin.

Rz. 2

Während der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Klägerin kurz vor Abschluss der Produktion am 13. Oktober 2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Noch am 13. Oktober 2017 teilte sie der Beklagten in einem Telefonat mit, dass "in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten" seien und die Ware deshalb nicht verkehrsfähig sei. Noch am selben Tag übersandte sie der Beklagten Fotos per E-Mail. Im Text der Nachricht heißt es unter dem Betreff "Fremdkörper": "anbei die Fotos zur Fremdkörper-Reklamation. Bitte geben Sie mir dazu ein kurzes Feedback". Die beigefügten Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben "GE805", Produktionsdatum 8. November 2016, Mindesthaltbarkeitsdatum 8. November 2018 und einer "Lot Nr. M2261108" sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20. September 2017, Mindesthaltbarkeitsdatum 8. November 2018 und Chargennummer 201709020-1701655.

Rz. 3

Die Klägerin sperrte die bereits produzierten und noch bei ihr befindlichen Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine von ihr veranlasste Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper.

Rz. 4

Mit E-Mail vom 16. Oktober 2017 bestätigte die Beklagte den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Bei einer kurz danach stattfindenden Krisensitzung besprachen die Parteien den Sachverhalt und die Möglichkeit der kurzfristigen Bereitstellung anderer Jalapeños-Rohware. Am 26. Oktober 2017 teilte die Beklagte unter Bezugnahme auf die "Reklamation der von uns gelieferten GE805 - Jalapeños grün in Scheiben" in einer E-Mail an die Klägerin mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne.

Rz. 5

Mit der Klage hat die Klägerin zuletzt Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets und der Kosten für die sachverständige Untersuchung des Kunststoffteils sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen.

Rz. 6

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

II.

Rz. 7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Rz. 8

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag bereits deshalb nicht zu, weil er gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Selbst wenn unterstellt werde, dass die Rügefrist erst mit der Entdeckung des Fremdkörpers am 13. Oktober 2017 begonnen habe und unter Berücksichtigung des anschließenden Wochenendes bis zum 17. Oktober 2017 gelaufen wäre, fehle es an einer hinreichend bestimmten Mängelrüge der Klägerin. Hierfür müssten Art und Umfang des Mangels wenigstens in allgemeiner Form so genau dargelegt werden, dass der Verkäufer das Vorhandensein des behaupteten Mangels prüfen, Beweise sichern und gegebenenfalls Abhilfe schaffen könne.

Rz. 9

Die Mitteilung vom 13. Oktober 2017 genüge diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der übermittelten Fotos nicht. Es sei denkbar, dass sich die Beanstandung auf lediglich einen einzelnen - den abgebildeten - Karton, auf alle Kartons mit der "Lot Nr. M2261108", auf die gesamte am 20. September 2017 erfolgte Lieferung, auf sämtliche Ware mit der (vorangestellten) Nummer "K5409" aus allen drei Lieferungen oder aber auf die gesamte Ware aus allen drei Lieferungen beziehe. Welche Mangelbehauptung die Klägerin nun konkret erhoben habe, habe ein Empfänger in der Person der Beklagten anhand der Mängelanzeige nicht feststellen können. Das sei hier auch bedeutsam, weil die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihrer Lieferantin und der Nachforschung bei dieser davon abhängig sei, in welchem Umfang ihr gegenüber Mängel angezeigt würden. Unter anderem die Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer sei der Grund für das Bestimmtheitserfordernis.

III.

Rz. 10

Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat deren Vorbringen in einem zentralen Punkt - der Frage einer ordnungsgemäßen Mangelanzeige gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB - gehörswidrig übergangen.

Rz. 11

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, NJW 2022, 3413 Rn. 26; Senatsbeschlüsse vom 30. August 2022 - VIII ZR 429/21, NZM 2022, 831 Rn. 10; vom 5. Oktober 2022 - VIII ZR 88/21, WM 2022, 2242 Rn. 10; jeweils mwN). Als grundrechtsgleiches Recht soll es sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2022 - VIII ZR 298/21, ZIP 2023, 972 Rn. 17; vom 8. August 2023 - VIII ZR 20/23, NJW 2023, 3496 Rn. 12; vom 6. Februar 2024 - VI ZR 526/20, juris Rn. 10; jeweils mwN).

Rz. 12

In den Entscheidungsgründen müssen die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu würdigen und in den Entscheidungsgründen hierzu Stellung zu nehmen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 6. September 2022 - VIII ZR 352/21, juris Rn. 11 mwN; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 - IV ZB 4/20, NJW-RR 2020, 1389 Rn. 17; vom 1. Juni 2023 - I ZR 154/22, juris Rn. 12; jeweils mwN).

Rz. 13

2. Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt, eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten.

Rz. 14

a) Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Beklagte als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Klägerin bis zum 17. Oktober 2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, diesbezügliche eigene Nachforschungen anstellen und ihre eigene Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. Das Berufungsgericht hat dementsprechend bei seiner Würdigung maßgeblich auf die Verständnismöglichkeit der Beklagten als Empfängerin der Rüge abgestellt.

Rz. 15

In diesem Zusammenhang kam dem - vom Berufungsgericht (sogar) als unstreitig gewerteten - Vortrag der Klägerin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Beklagte mit der als Anlage eingereichten E-Mail vom 26. Oktober 2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Darin teilt die Beklagte mit, dass sie aufgrund der Reklamation zu den gelieferten "GE805 - Jalapeños" ihren Lieferanten kontaktiert und von diesem eine - erste, aus ihrer Sicht nicht ausreichende - Stellungnahme zur angezeigten Verunreinigung erhalten habe. Sie habe dem Produzenten deshalb für eine substantiellere Stellungnahme Proben des Fremdkörpers zur Analyse überlassen und sich im Falle einer wiederum nicht zufriedenstellenden Antwort die Beauftragung eigener Untersuchungen vorbehalten. Ferner werde sie ihren gesamten Lagerbestand bei demselben Unternehmen wie die Klägerin scannen lassen und bitte zudem um Mitteilung des der Klägerin vorliegenden Befundes. Schließlich hat die Beklagte erklärt, dass sie einen Eintrag weiterer Fremdkörper in den Lieferungen (Folgechargen) nicht ausschließen könne.

Rz. 16

Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Beklagten hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Gesichtspunkts BGH, Urteile vom 18. Juni 1986 - VIII ZR 195/85, NJW 1986, 3136 unter II 1; vom 21. Oktober 1987 - VIII ZR 324/86, juris Rn. 19; vom 14. Mai 1996 - X ZR 75/94, NJW 1996, 2228 unter II 2; Achilles in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 377 Rn. 188) sowie zu den von ihr auf dieser Grundlage veranlassten Untersuchungen, Nachforschungen und möglichen Abhilfen ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Klägerin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Beklagten auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei und - im allgemeinen - die Möglichkeit zur Untersuchung und Nachforschung durch den Verkäufer der Grund für das rechtliche Bestimmtheitserfordernis sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das Berufungsgericht das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2021 - VIII ZB 68/20, juris Rn. 38 mwN).

Rz. 17

b) Die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen der Klägerin in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen, zur Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit der Mängelrüge gelangt wäre.

Rz. 18

3. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Rügen hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

IV.

Rz. 19

Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

Dr. Bünger     

Dr. Schmidt     

Dr. Matussek

Dr. Reichelt     

Dr. Böhm     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16281625

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge