Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorteilsausgleichung, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist
Leitsatz (redaktionell)
1. Angefallene Umsatzsteuer ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung nicht ersatzfähig, soweit sie der Geschädigte als Vorsteuer abziehen kann. Den in der Abzugsmöglichkeit liegenden Vorteil muss sich der Geschädigte auf seinen Schaden anrechnen lassen; ob er von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist unerheblich.
2. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie – wie hier die Beklagte zur steuerlichen Behandlung des Erblassers – mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BGB § 249; ZPO § 286
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Kammergerichts vom 28. Oktober 2021 unter Zurückweisung des Rechtsmittels hinsichtlich des Anspruchsgrunds im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Einwände der Beklagten gegen die Höhe des der Klägerin zuerkannten Anspruchs zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur Verhandlung und neuen Entscheidung über die Anspruchshöhe sowie über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 50.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Klägerin ist Alleinerbin des am 21. März 2021 verstorbenen A. C. (fortan: Erblasser). Sie nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Erblasser erwarb im Jahr 2017 bei einem Autohaus ein Gebrauchtfahrzeug VW Touareg V6 3.0 zu einem Bruttokaufpreis von 57.500 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-V6-Dieselmotor ausgestattet.
Rz. 3
In erster Instanz hat der Erblasser beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 55.595,24 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1) und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen (Klageantrag zu 2). Zudem hat er die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt (Klageantrag zu 3). Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Erblasser 49.498,17 EUR (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die seit dem Kauf gefahrenen Kilometer) nebst Prozesszinsen seit dem 30. Oktober 2018 zu zahlen und ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.137,64 EUR zu erstatten. Außerdem hat es antragsgemäß den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Rz. 4
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht nach Aufnahme des Rechtsstreits durch die Klägerin durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit – so von der Klägerin zuletzt beantragt – hinsichtlich eines Teilbetrags in Höhe von 2.124,14 EUR in der Hauptsache erledigt sei. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zu einer auf die Höhe des Anspruchs beschränkten Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15, NJW 2017, 736 Rn. 25 ff.) und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil es Vortrag der Beklagten zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Erblassers unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG für nicht hinreichend substantiiert erachtet und damit bei der Bemessung der Anspruchshöhe außer Acht gelassen hat.
Rz. 6
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung, der die Anspruchshöhe betreffende Vortrag der Beklagten zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Erblassers sei unbeachtlich, ausgeführt, die Beklagte habe erstmals in der Berufungsinstanz eingewandt, der Erblasser dürfte als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sein. Ob dieser der klägerischen Schilderung des Fahrzeugkaufs nicht entsprechende Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen sei, könne dahinstehen. Denn jedenfalls sei der Vortrag zu einem Vorteilsausgleich im Umfang der Vorsteuerabzugsberechtigung, den die Beklagte darzulegen und zu beweisen habe, wegen des fortgeschrittenen Alters des Erblassers von 73 Jahren bei Kauf des Fahrzeugs erläuterungsbedürftig und daher in seiner Pauschalität nicht hinreichend substantiiert.
Rz. 7
2. Damit hat das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Rz. 8
a) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2019 – VI ZR 42/18, NJW-RR 2019, 1530 Rn. 5 mwN; Beschluss vom 16. Februar 2021 – VI ZR 1104/20, NJW 2021, 1398 Rn. 7 mwN).
Rz. 9
b) Dies ist hier der Fall. Angefallene Umsatzsteuer ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung nicht ersatzfähig, soweit sie der Geschädigte als Vorsteuer abziehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1972 – VI ZR 49/71, NJW 1972, 1460; Urteil vom 18. März 2014 – VI ZR 10/13, NJW 2014, 2874 Rn. 17; Urteil vom 10. Juli 2014 – VII ZR 67/13, NJW-RR 2014, 1235 Rn. 15; Urteil vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 7). Den in der Abzugsmöglichkeit liegenden Vorteil muss sich der Geschädigte auf seinen Schaden anrechnen lassen; ob er von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1972, aaO; Urteil vom 18. März 2014, aaO). Zu einem derartigen Vorteil des Erblassers hat die Beklagte hinreichend vorgetragen.
Rz. 10
aa) Ein Sachvortrag ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 20; Beschluss vom 26. Oktober 2016 – IV ZR 52/14, NJW-RR 2017, 22 Rn. 27; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7; Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 733/21, juris Rn. 20, jew. mwN). Nichts anderes gilt für die Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung, die vom Ersatzpflichtigen darzulegen und zu beweisen sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2021 – IX ZR 9/21, VersR 2022, 117 Rn. 17 mwN). Das tatsächliche Vorbringen des Ersatzpflichtigen muss das Gericht nur in die Lage versetzen, darüber zu entscheiden, ob die Bedingungen vorliegen, unter denen der Geschädigte sich anspruchsmindernd einen Vorteil anrechnen lassen muss.
Rz. 11
bb) Daran gemessen war der Vortrag der Beklagten zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Erblassers hinreichend substantiiert.
Rz. 12
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Angaben in dem beim Fahrzeugkauf verwendeten Bestellformular dargetan, dass der Erblasser das Fahrzeug in seiner Eigenschaft als Unternehmer firmierend unter „AC e.K.” erworben habe. Sie hat daraus den naheliegenden Schluss gezogen, dass der Erblasser als Unternehmer im Sinne von § 2 UStG gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sei, und geltend gemacht, ein etwaiger Schadensersatzanspruch sei jedenfalls um den Betrag der Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu kürzen.
Rz. 13
Weitergehender Vortrag war von der Beklagten, die über keine eigenen Erkenntnisse zur steuerlichen Behandlung des Erblassers verfügte, nicht zu verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 – XI ZR 465/07, BGHZ 186, 253 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2011 – XI ZR 96/09, NJW-RR 2011, 986 Rn. 14). Vielmehr traf daraufhin die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Erblassers eine sekundäre Darlegungslast. Der Umstand, dass in dem verwendeten Bestellformular als Käufer die Firma des Erblassers angegeben war, stellt einen konkreten Anhaltspunkt dafür dar, dass der Erblasser die beim Fahrzeugkauf angefallene Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen konnte. Die Beklagte als primär darlegungspflichtige Partei hatte keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung. Der Erblasser dagegen wusste um das Bestehen oder Nichtbestehen einer Vorsteuerabzugsberechtigung. Insoweit traf zunächst den Erblasser eine sekundäre Darlegungslast, die auf die Klägerin übergegangen ist. Dies folgt unmittelbar aus § 1922 BGB und dem gesetzlichen Übergang der Rechte auf den Erben, der hinsichtlich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht bessergestellt werden darf als der Erblasser selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019 – IV ZR 153/18, FamRZ 2020, 287 Rn. 11 mwN).
Rz. 14
3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zur Anspruchshöhe sowohl bei der Überprüfung der Leistungsaussprüche und der Feststellung des Annahmeverzugs im landgerichtlichen Urteil als auch bei der Feststellung der Teilerledigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Vortrag der Beklagten zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Erblassers bei der Bemessung der anzurechnenden Vorteile in der gebotenen Weise gewürdigt hätte.
Rz. 15
4. Ebenso wenig stellt sich die Behandlung des Vortrags der Beklagten zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Erblassers als unbeachtlich deshalb aus anderen Gründen als richtig dar, weil die Beklagte die Voraussetzungen, unter denen der Erblasser die beim Kauf des Fahrzeugs angefallene Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen konnte, nur vermutet. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie – wie hier die Beklagte zur steuerlichen Behandlung des Erblassers – mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 21 mwN).
III.
Rz. 16
Zum Anspruchsgrund ist die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen zurückzuweisen, weil die Rechtssache insoweit weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die weiter geltend gemachten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten hat der Senat geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Unterschriften
Menges, Möhring, Krüger, Wille, Liepin
Fundstellen
Haufe-Index 15347280 |
BFH/NV 2022, 1280 |