Ein BMF-Schreiben hat in erster Linie die Ansicht der Finanzverwaltung zu bestimmten steuerlichen Fragestellungen darzulegen. Insoweit legt sich die Finanzverwaltung einer Selbstbindung in der Beurteilung einschlägiger Sachverhalte auf, von der nicht ohne gesonderten Grund abgewichen werden darf. Voraussetzung dafür ist, dass die zur Verfügung gestellten Ausführungen operabel für die Finanzverwaltung in der Einzelanwendung bzgl. der durch die Steuerpflichtigen vorgelegten Sachverhalte sind. Spiegelbildlich steht ein hohes Maß an Rechtssicherheit für den im einzelnen Sachverhalt betroffenen Steuerpflichtigen bzw. deren Berater gegenüber. Für das BMF-Schreiben zu Kryptowährungen besteht die besondere Anforderung darin, die durch das EStG zur Verfügung gestellten Besteuerungstatbestände in den Bereich der bei digitalen Währungen möglichen Transaktionen zu überführen. Gerade im Hinblick darauf, dass Kryptowährungen in ihrer Programmierung und Wirkungsweise sehr unterschiedlich aufgebaut sein können, bleibt eine Einzelfallbeurteilung zwingend erforderlich.
Diese allgemeinen Anforderungen werden jedoch nicht erfüllt, wenn im BMF-Schreiben neue Besteuerungstatbestände losgelöst von den zugrunde liegenden steuerrechtlichen Vorschriften entwickelt werden. Auch ist es problematisch, wenn es für die Veranlagungsstellen in den FA trotz des BMF-Schreibens nicht möglich sein sollte, die Ausführungen des Steuerpflichtigen bzw. seine Berechnungen im Detail überprüfen zu können und die Ergebnisse daher ungeprüft in die Veranlagung übernommen werden (vgl. FG Nürnberg v. 8.4.2020 – 3 V 1239/19, dort II.3. a), ErbStB 2020, 258 [Günther]).
Vor diesem Hintergrund ist im BMF-Schreiben die Absicht erkennbar, die bekannten Erscheinungsformen an Transaktionen bei Digitalwährungen weitestgehend einer Besteuerung zuzuführen. Besonders deutlich wird dieser Eindruck hinsichtlich des dem Tatbestandmerkmal "Anschaffung" einer Kryptowährung zugedachte weiten Anwendungsbereichs. Ob dies tatsächlich auch vor den angerufenen FG Bestand haben wird, ist eine derzeit offene Fragestellung. Letzteres hängt davon ab, inwieweit die einzelnen Ausprägungsformen der bei Digitalwährungen möglichen Geschäftsvorfälle unter die durch das EStG zur Verfügung gestellten Besteuerungstatbestände bzw. Besteuerungstatbestandsmerkmale (Einkünfte gem. § 2 EStG; Tatbestandsmerkmale Wirtschaftsgut, Anschaffungskosten, Herstellungskosten etc.) subsumiert werden können. Falls eine solche notwendige Zuordnung für die in Betracht kommenden Geschäftsvorfälle zu einzelnen digitalen Währungen nicht oder nur teilweise gelingt, werden am Ende spezielle gesetzliche Besteuerungstatbestände unumgänglich werden, sofern seitens des Gesetzgebers die Absicht zu deren Besteuerung besteht.