Rz. 175
Nach der Rechtsprechung des BFH gibt es keine betriebsstättenlosen gewerblichen Einkünfte, weshalb jeder Gewerbebetrieb zumindest eine – im Zweifel am Wohnsitz des Geschäftsleiters zu verortende – Betriebsstätte unterhält, der bei Fehlen weiterer Betriebsstätten der gesamte Gewinn zuzuordnen ist.
Bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung entfaltet § 2 AStG für Einkünfte aus Gewerbebetrieb regelmäßig keinen Anwendungsbereich. Darauf reagierte der Gesetzgeber durch Einfügung des § 2 Abs. 1 S. 2 AStG. Diese Vorschrift fingiert für die Anwendung des § 2 AStG für Einkünfte, die weder durch eine ausländische Betriebsstätte noch durch einen ausländischen ständigen Vertreter erzielt werden, das Vorliegen einer inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte. Die Norm zielt insbesondere auf substanzschwache Gewerbetreibende, die nahezu ohne sachliche Betriebsmittel auskommen (Handelsvertreter, Fotomodelle, Prominente bei ihrer Persönlichkeitsvermarktung oder Fußballschiedsrichter). Auch bestimmte Formen digitaler Geschäftstätigkeiten (z. B. dropshipping, IT-Dienstleistungen) sind von der Vorschrift betroffen. Anliegen des Gesetzgebers war es, für solche Steuerpflichtige eine Anwendung des § 2 AStG abzusichern, weil bei unterstellter unbeschränkter Steuerpflicht (und somit regelmäßig einem inländischen Wohnsitz) deren einzige Betriebsstätte im Inland läge.
Rz. 176
§ 2 Abs. 1 S. 2 AStG fingiert das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte für die "Anwendung dieser Vorschrift", d. h. für die Anwendung des § 2 AStG. Außerhalb dieser Vorschrift kommt der Fiktion somit keine Bedeutung zu. Dies gilt einerseits für den Bereich der Gewerbesteuer. Auch für die DBA-Anwendung spielt § 2 Abs. 1 S. 2 AStG aber keine Rolle.
Rz. 177
Die Bedeutung des § 2 Abs. 1 S. 2 AStG für die Anwendung des § 2 AStG ist allerdings ungeklärt. Namentlich betrifft dies die Frage, ob die Regelung Bedeutung auf Tatbestands- und/oder Rechtsfolgenebene hat. Vereinzelt wird der Vorschrift Bedeutung für die Tatbestandserfüllung in Gestalt eines im Inland belegenen Gewerbebetriebs beigemessen. Andererseits wird behauptet, aus dem historischen Kontext und der systematischen Stellung der Norm ergebe sich deren Auswirkung allein auf Rechtsfolgenseite. Wenngleich am gesetzgeberischen Willen, die Vorschrift auf Rechtsfolgenebene anzuwenden, kein Zweifel besteht, ist damit noch keine Aussage zur Relevanz der Norm für den Tatbestand des § 2 AStG getroffen. Für eine Bedeutung auf Tatbestandsebene finden sich durchaus Argumente. So hat der Gesetzgeber explizit das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätten und die Zuordnung der Einkünfte zu dieser angeordnet. Hätte er § 2 Abs. 1 S. 2 AStG auf Rechtsfolgenebene beschränken wollen, hätte es genügt, das Nicht-Vorliegen ausländischer Einkünfte zu fingieren. Da die Norm aber allg. als missglückt zu bezeichnen ist (s. Rz. 180), sollte der Gesetzeswortlaut insoweit nicht überbewertet werden.
Rz. 178-179
einstweilen frei