Rz. 39
"(1) Die Vorschriften der §§ 7 bis 18 und des Absatzes 2 werden durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt."
Vorrang der §§ 7 bis 18 AStG nach § 2 AO. Nach § 20 Abs. 1 AStG bestehe zwischen den §§ 7–18 AStG und dem DBA-Recht keine Berührung. Diese erst durch das StÄndG 1992 (G 25.2.1992, vgl. zur Gesetzesbegründung insoweit BT-Drs. 12/1506, 181) eingefügte Vorschrift bringt klarstellend den abkommensinhärenten Missbrauchsvorbehalt zum Ausdruck. Bereits in der ursprünglichen Gesetzesfassung sah der Gesetzgeber keinen Konflikt und folglich auch keinen Regelungsbedarf. Die gleichwohl erfolgte Regelung des Verhältnisses folgte im Zusammenhang mit der Einführung der sog. verschärften Hinzurechnungsbesteuerung (Hinzurechnung von Einkünften mit Kapitalanlagecharakter, § 7 Abs. 6 AStG durch StÄndG 1992, nunmehr § 13 AStG). Eine Abkommensüberschreibung wollte der Gesetzgeber darin aber nicht erkennen.
Rz. 40
Folgt man dieser Sichtweise, dann besteht kein Regelungsbedürfnis. Gleichwohl fügte der Gesetzgeber die Regelung ein. Im Schrifttum findet das hier vertretene klarstellende Verständnis allerdings nur zum Teil Zustimmung. Der wohl überwiegende Teil lehnt diese Sichtweise ab und erkennt in der Vorschrift eine Abkommensüberschreibung.
Rz. 41
Eigene Stellungnahme: § 20 Abs. 1 AStG ist klarstellender Natur. Dies folgt aus dem Grundsatz, wonach DBA nicht missbräuchlich genutzt werden. Die dagegen vorgebrachte Kritik, die Tatsache der Aufnahme einer zunehmenden Anzahl von Missbrauchsklauseln überzeugt nicht, denn diese regeln nur Einzelheiten und geben insoweit Hilfestellung bei der Anwendung des allgemeinen Grundsatzes. Folgt man dieser Sichtweise nicht, dann ist ungeachtet des möglicherweise als "missverständlich" empfundenen Wortlauts des § 20 Abs. 1 AStG die Anordnung des Vorrangs der §§ 7 ff. AStG eindeutig. § 20 Abs. 1 AStG bringt den Vorrang der andernfalls anzuwendenden DBA zum Ausdruck. Hierbei handelt es sich um einen Vorrang kraft Spezialität. Ob das DBA selbst vor oder nach dem Inkrafttreten des § 20 Abs. 1 AStG in Kraft trat, ist unerheblich. Aufgrund des eindeutigen Urteils des BVerfG ist dieser Streit auch nicht mehr entscheidungserheblich. Unabhängig welcher Auffassung der Rechtsanwender folgt, besteht der Vorrang der Hinzurechnungsbesteuerung.
Rz. 42
Das Vorrangverständnis (bzw. die Vorranganordnung) besteht weitergehend auch für die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG (s. § 15 AStG Rz. 20). Diese stellt ebenfalls eine besondere Missbrauchsvermeidungsvorschrift dar und basiert auf der gleichen Grundkonzeption wie die Hinzurechnungsbesteuerung, nämlich der abweichenden Einkünftezurechnung. Ungeachtet vieler Bedenken kann § 15 AStG durch ein DBA nicht derogiert werden. Das lediglich deklaratorische Regelungsverständnis zeigt sich auch in der Fassung der Anwendungsvorschrift, denn diese erfasste in § 21 Abs. 7 AStG (in der Fassung des StMBG vom 23.12.1993) nur den Absatz 2 (nicht aber Absatz 1).
Rz. 43
Gleiches gilt auch für die Verfahrensvorschriften der §§ 16–18 AStG. Eine Kollision ist gleichwohl nicht erkennbar, da diese sich auf die Hinzurechnungsbesteuerung beziehen und die deutschen Abkommen keine solchen Regelungen enthalten. Im Ergebnis läuft dieser Verweis leer und hat wohl legislatorischen Vorsorgecharakter.