Dr. Tobias Hagemann, Prof. Dr. Adrian Cloer
Rz. 8
Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht v. 1794 kannte Steuern auf den Wegzug (sog. Abfahrtsgeld, 2. Teil, 17. Titel, §§ 141ff.) und das Erbe bei einem Ausländer (sog. Abschossgeld, 2. Teil, 17. Titel, §§ 161ff.). Das Gesetz gegen die Steuerflucht v. 26.7.1918 stellte die erste Maßnahme bei Aufgabe des "dauernden Aufenthaltes" dar und sah das Weiterbestehen der (unbeschränkten) Steuerpflicht bei Personensteuern (in der Sprache des damaligen Gesetzgebers: Personalsteuern) für Zwecke der Bundesstaaten- und der Reichsteuern vor (§ 1 Abs. 1 StFluchtG) dar. Die Einkommensteuer wurde in Höhe des 2,5-fachen des Durchschnitts des steuerpflichtigen Einkommens der letzten drei Jahre festgesetzt (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 StFluchtG) und bei der Vermögensteuer gab es einen Mindestwert (§ 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 6 StFluchtG). Es bedurfte einer Anzeigepflicht vor Wegzug und der Abgabe eines Vermögensverzeichnisses (§ 4 StFluchtG). Weiterhin musste eine Sicherheitsleistung erbracht werden (§ 5 StFluchtG). Auch bedurfte es der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (§ 18 StFluchtG). Auf Antrag konnte eine Freistellung von der Steuerpflicht gewährt werden, wenn die Auswanderung im deutschen Interesse liegt oder die Ablehnung eine außergewöhnliche Härte darstellte (§ 21 Abs. 1 StFluchtG). Die Nichtbefolgung des Gesetzes zog empfindliche Strafen (u. a. mindestens 3 Monate Gefängnis, Verlust der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau und Kinder) nach sich (§ 22 i. V. m. § 23 StFluchtG). Das Gesetz sollte ursprünglich drei Jahre nach dem Krieg auslaufen (§ 30 StFluchtG). Es erfolgte zunächst eine Verschärfung und trat erst zum 1.9.1925 außer Kraft (Art. VI Nr. 5 VerkStÄndG).
Im Verordnungswege erließ der Reichspräsident am 8.12.1931 die sog. Reichsfluchtsteuer. Diese ursprünglich auf den 31.3.1931 bis 31.1.1933 befristete Maßnahme führte bei deutschen Staatsangehörigen bei Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes zu einer Steuer i.H.v. 25 % auf das gesamte Vermögen (§ 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 VO), sofern alternativ ein Mindestvermögen von 200.000 RM oder ein jährliches Einkommen von 20.000 RM erzielt wurde (§ 2 Nr. 4 VO). Die Steuer fiel weg, wenn innerhalb von zwei Monaten ins Inland zurückgekehrt wurde (§ 7 Abs. 1 S. 1 VO). Erfolgte die Zahlung der Steuer nicht fristgemäß, drohte u. a. eine Mindestgefängnisstrafe von 3 Monaten und eine unbeschränkte Geldstrafe (§ 9 Nr. 1 VO), der Erlass eines Steuersteckbriefes (§ 9 Nr. 2 VO), die Vermögensbeschlagnahme (§ 9 Nr. 3 VO) und die öffentliche Bekanntgabe (§ 9 Nr. 4 VO) und Ausschreibung (§ 9 Nr. 5 VO).
Das ursprünglich auf die Verhinderung des Wegzugs vermögender Personen gerichtete Gesetz zielte nunmehr im Rahmen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Wesentlichen auf Juden. Es erfolgte eine Verschärfung des Gesetzes, insb. durch Herabsetzung der Vermögensgrenze auf 50.000 RM. Die Nationalsozialisten nutzten es zur Ausraubung der Juden und verzahnten es mit diversen anderen Vorschriften (z. B. Einführung des Flugplatzzwanges und dem Hauptflugbuch) sowie administrativer Schikanen auch durch die Finanzverwaltung. Es erfolgte eine mehrfache Verlängerung, letztmals unbefristet am 9.12.1942
Auch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erfolgte zunächst die Weitererhebung der Reichsfluchtsteuer. Die Reichsfluchtsteuer hob der Bundestag mit Gesetz vom 23.7.1953 auf. Der BFH stellte die Unzulässigkeit der weiteren Festsetzung bzw. der Erhebung nach Inkrafttreten des Aufhebungsgesetzes klar.
Bis zum Inkrafttreten des AStG bestanden keine steuerspezifischen gesetzgeberischen Maßnahmen gegen einen Wegzug. Der Vollständigkeit halber ist aber auf das Lastenausgleichsgesetz (LAG) vom 14.8.1952 hinzuweisen, das eine Entschädigungskomponente für die infolge des zweiten Weltkriegs besondere Nachteile erlittenen Bevölkerungsgruppen und zugleich eine Finanzierungskomponente (Vermögens- (§§ 16 – 90 LAG), Hypothekengewinn- (§§ 91 – 160 LAG) und Kreditgewinnabgabe (§§ 161 – 197 LAG)) vorsah. Im Fall des Wegzugs wurde die Vermögensabgabe (§ 51 Abs. 1 LAG) sowie die Kreditgewinnabgabe (§ 178 Abs. 1 LAG) sofort fällig gestellt.