§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. = enge Wortlautauslegung: Der BFH entschied im Revisionsverfahren, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. streng nach dem Wortlaut auszulegen sei und keinen Raum für

  • eine teleologische Reduktion oder
  • eine anderweitige systematische Auslegung

lasse.[50]

Die von der Klägerin angeführte teleologische Reduktion[51] auf solche Fälle, in denen das Besteuerungsrecht tatsächlich auch ausgeschlossen oder beschränkt würde, wurde seitens des BFH verworfen.

Dieser stellt indes allein auf die historische Entwicklung[52] des Wortlautes der Vorschrift ab, wonach ein Ausschluss respektive eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts gerade nicht Tatbestand des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG a.F. sei. Ferner sei aus systematischen Erwägungen heraus kein umgekehrtes Hereinlesen des Ausschlusses respektive der Beschränkung des Besteuerungsrechts aus § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG a.F. in den Tatbestand der Nr. 1 geboten.[53] Aus dieser historischen Auslegung heraus sei das "Darüberstülpen" des Entstrickungstatbestandes in alle Ersatzwegzugstatbestände nicht zwingend, da dieser schließlich nur für Fälle des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AStG implementiert worden sei.[54]

Verfassungsrechtliche/europarechtliche Erwägungen führen zu keiner anderen Auslegung: Letztlich sei aus verfassungsrechtlichen[55] sowie europarechtlichen[56] Gründen keine anderweitige Auslegung des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG angezeigt. Auch die Diskriminierungsklausel des Art. 24 Abs. 1 DBA USA respektive Art. XI des mit den USA geschlossenen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags v. 29.10.1954[57] führe vorliegend zu keinem anderweitigen Ergebnis.[58]

[50] BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, DB 2022, 1424 Rz. 12 = EStB 2022, 249 (Böing/Groll).
[52] BT-Drucks. 16/2710, 21 f.; s. dazu auch im Detail: Ausführungen unter III. 3. dieses Beitrags.
[53] BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, DB 2022, 1424 Rz. 16 = EStB 2022, 249 (Böing/Groll); so auch: Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 29 (Dez. 2021).
[54] S. dazu auch: BT-Drucks. 542/06, 39, der insoweit durch eine "oder"-Verknüpfung eine Gleichrangigkeit der Ersatzwegzugstatbestände regeln will. So auch: Pohl in Brandis/Heuermann, § 6 AStG Rz. 61 (Dez. 2021), der in diesem Kontext wohl auch ein Nebeneinander der Tatbestände sieht.
[55] BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, DB 2022, 1424 Rz. 17 = EStB 2022, 249 (Böing/Groll).
[56] BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, DB 2022, 1424 Rz. 21 = EStB 2022, 249 (Böing/Groll).
[57] BGBl. II 1956, 488.
[58] BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, DB 2022, 1424 Rz. 22 f. = EStB 2022, 249 (Böing/Groll).

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