[Ohne Titel]
RAin Dr. Alena Kirchinger
Erneut hat ein nationales Gericht Fragen zur Unternehmereigenschaft von Gremienmitgliedern (konkret einem Verwaltungsratsmitglied) dem EuGH vorgelegt. Der Schlussantrag der Generalanwältin ist bereits veröffentlicht. Die Entscheidung des EuGH selbst steht noch aus. Sollte der EuGH den Ausführungen der Generalanwältin folge, so wären deutlich mehr Gremienmitglieder als Nichtunternehmer einzuordnen. Der Beitrag beleuchtet die Ausführungen im Schlussantrag und zeigt auf welche Bedeutung diese haben.
I. Einleitung
Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Gremientätigkeiten zeigt sich weiter im Wandel. Nachdem die Betätigung von Aufsichtsratsmitgliedern hitzig diskutiert wurde, ist nunmehr der Verwaltungsrat einer luxemburgischen AG neuer Diskussionsgegenstand vor dem EuGH. In einem Schlussantrag aus Juli 2023 legt Generalanwältin Kokott dar, weshalb eine natürliche Person, die Mitglied eines gesetzlich zwingend vorgesehenen Organs einer Gesellschaft ist und für diese Tätigkeit eine Vergütung erhält, insoweit nicht als selbständig wirtschaftlich tätig angesehen werden kann.
1. Die Entwicklung der letzten Jahre
Einordnung: Der BFH hat klargestellt, dass dann keine unternehmerische Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds vorliegt, wenn das Mitglied eine nicht variable Festvergütung erhält. Ohne Vergütungsrisiko liege keine Selbständigkeit vor. Der BFH hat sich damit der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. IO angeschlossen.
Bereits als der EuGH und ihm folgend der BFH ihre Urteile zum Aufsichtsrat veröffentlicht haben, wurde gemutmaßt, dass die Ausführungen in den Urteilen nicht nur für Aufsichtsräte einer AG bzw. einer Stiftung gelten. Vor allem auch für Aufsichtsräte in GmbHs (vgl. dazu § 52 Abs. 1 GmbHG, der ausdrücklich auf § 113 AktG verweist), die Gremienmitglieder (also nicht nur Aufsichtsräte) berufsständischer Kammern, Stiftungen oder einiger Körperschaften des öffentlichen Rechts hat man in den Urteilen bereits den Beginn einer Wende gesehen. Da weder der EuGH noch der BFH in seinem jeweiligen Urteil Ausführungen dazu gemacht haben, dass nur Gremien nicht selbständig sein können, die keine Leitungsfunktionen wahrnehmen, spricht viel dafür, dass sogar Vorstandsmitglieder unter die geänderte Rechtsprechung fallen können. Die Finanzverwaltung sieht dies bislang anders und hat sich lediglich der Auffassung angeschlossen wonach ein Aufsichtsratsmitglied oder ein Mitglied eines anderen Gremiums, das nicht der Ausübung, sondern der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder Personenvereinigung dient, bei Erhalt einer Fixvergütung nicht unternehmerisch tätig ist. Demnach möchte die Finanzverwaltung die Rechtsprechung des EuGH und BFH nicht auf Gremienmitglieder angewendet wissen, die einem Gremium angehören, das Leitungsfunktionen wahrnimmt.
Besondere Bedeutung hat die Frage der Selbständigkeit freilich dort, wo die Körperschaft oder Gesellschaft nicht zum (vollen) Vorsteuerabzug berechtigt ist und dennoch verpflichtet ist Gremien als Organe einzurichten. Genau dieser Befund findet sich nun auch im Schlussantrag der GAin Kokott in der Rs. TP.
2. Die Rechtssache ‚TP‘
Sachverhalt: In dem Vorlageverfahren TP geht es um die Frage, ob die Vergütung eines Verwaltungsratsmitglieds einer luxemburgischen Gesellschaft das Entgelt für eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. TP ist Mitglied im Verwaltungsrat mehrerer AGs nach luxemburgischem Recht. In dieser Rolle nimmt er an Entscheidungen über die Rechnungslegung, die Risikopolitik sowie die zu verfolgende Strategie und Ausarbeitung von Vorschlägen für die Aktionärsversammlung teil. Der jeweilige Verwaltungsrat diskutiert kollektiv über mögliche Optionen und trifft Entscheidungen, die ggf. nicht von allen Mitgliedern des Kollegialorgans mitgetragen werden.
Einordnung der Generalanwältin Kokott: Die Generalanwältin prüft, ob eine wirtschaftliche und selbständige Tätigkeit nach Art. 9 MwStSystRL vorliegt. Dabei spricht sie explizit von einem typologischen Ansatz zur Bestimmung des Steuerpflichtigen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es sich beim Begriff des Steuerpflichtigen folglich um einen sog. Typusbegriff handelt. Dies klingt so auch bereits im Urteil IO des EuGH sowie im Urteil zum Aufsichtsratsmitglieds des BFH an. Den Typusbegriff kennen wir auch im deutschen Recht. Im Gegensatz zum sog. Klassenbegriff, dessen jeweilige Voraussetzungen unabdingbar erfüllt sein müssen, um ein Tatbestandsmerkmal zu bejahen, können sich beim Typusbegriff die Kriterien ggf. auch substituieren und in geringerem oder größerem Umfang realisiert sein. Entscheidend ist eine wertende Zuordnung. Einzelnen Kriterien kommt daher nicht unbedin...