Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Niederlassungsfreiheit. Steuerrecht. Körperschaftsteuer. Mutter- und Tochtergesellschaften. Vertikale und horizontale steuerliche Integration
Normenkette
AEUV Art. 49, 54
Beteiligte
Administration des contributions directes |
Verfahrensgang
Cour administrative de Luxembourg (Luxemburg) (Beschluss vom 29.11.2018; ABl. EU 2019, Nr. C 93/27) |
Tenor
1. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zwar eine vertikale steuerliche Integration zwischen einer gebietsansässigen Muttergesellschaft oder einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Muttergesellschaft und ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften, nicht aber eine horizontale steuerliche Integration zwischen den gebietsansässigen Tochtergesellschaften einer gebietsfremden Muttergesellschaft zulassen.
2. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die zur Folge haben, dass eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezwungen ist, eine bestehende vertikale steuerliche Integration zwischen einer ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaften und einigen ihrer gebietsansässigen Enkelgesellschaften aufzulösen, um dieser Tochtergesellschaft eine horizontale steuerliche Integration mit anderen gebietsansässigen Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft zu ermöglichen, obwohl die gebietsansässige integrierende Tochtergesellschaft dieselbe bleibt und die Auflösung der vertikalen steuerlichen Integration vor Ablauf der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Mindestdauer für das Bestehen der Integration dazu führt, dass für die betroffenen Gesellschaften die Besteuerung individuell berichtigt wird.
3. Die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über ein System der steuerlichen Integration, nach denen ein Antrag auf Inanspruchnahme einer solchen Integration vor Ablauf des ersten Steuerjahrs, für das die Anwendung dieses Systems beantragt wird, bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss, nicht entgegenstehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour administrative (Verwaltungsgerichtshof, Luxemburg) mit Entscheidung vom 29. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2018, in dem Verfahren
B u. a.
gegen
Administration des contributions directes
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz und A. Kumin,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von B u. a., vertreten durch G. Simon, avocat,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch D. Holderer als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und A. Armenia als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen drei Gesellschaften luxemburgischen Rechts, B, C und D, und der Administration des contributions directes (Finanzverwaltung, Luxemburg) wegen der Ablehnung ihres gemeinsamen Antrags auf Inanspruchnahme des Systems der steuerlichen Integration für die Steuerjahre 2013 und 2014.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 164bis der Loi modifiée du 4 décembre 1967 concernant l'impôt sur le revenu (Geändertes Gesetz vom 4. Dezember 1967 über die Einkommensteuer) (Mémorial A 1967, S. 1228) in der für die Steuerjahre 2013 und 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: Art. 164bis LIR) sah vor:
„(1) Unbeschränkt steuerpflichtige gebietsansässige Kapitalgesellschaften, deren Kapital zu mindestens 95 % unmittelbar oder mittelbar von einer anderen unbeschränkt steuerpflichtigen gebietsansässigen Kapitalgesellschaft oder von einer inländischen Betriebsstätte einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft gehalten wird, die uneingeschränkt einer der Körperschaftsteuer entsprechenden Steuer unterliegt, können auf Antrag für steuerliche Zwecke in die Muttergesellschaft oder die inländische Betriebsstätte integriert werden, so dass ihre jeweiligen steuerlichen Ergebnisse mit denen der Muttergesellschaft oder der inländischen Betriebsstätte zusammengerechnet werden.
…
(4) Die steuerliche Integration setzt einen gemeinsamen schriftlichen Antrag der Muttergesellschaft oder der inländischen Betriebsstätte und der betreffenden T...