Leitsatz
1. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 25.11.1997, VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461) fest, dass im Rahmen einer Außenprüfung ermittelte Tatsachen bei der Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheids nur ausnahmsweise nicht verwertet werden dürfen, wenn ein sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot zum Zug kommt.
2. Auskunftsbegehren dürfen auch an Dritte gerichtet werden, wenn der Steuerpflichtige unbekannt ist und ein hinreichender Anlass aufgrund konkreter Umstände oder allgemeiner, auch branchenspezifischer, Erfahrungen besteht.
3. Liegen die Voraussetzungen für ein qualifiziertes Verwertungsverbot vor, weil ein weiteres Beweismittel nur unter Verletzung von Grundrechten oder in strafbarer Weise von der Finanzbehörde erlangt worden ist, so kann dieses Verwertungsverbot ausnahmsweise im Weg einer Fernwirkung auch der Verwertung dieses nur mittelbaren – isoliert betrachtet rechtmäßig erhobenen – weiteren Beweismittels entgegenstehen.
Normenkette
§ 85, § 88 Abs. 1, § 92 Sätze 1 und 2 Nr. 1, § 93 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 164 Abs. 1 und 2, § 194 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 208 Abs. 3, § 393 Abs. 1 Satz 1 AO, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine aus mehreren Mitgliedern bestehende Tanzkapelle in der Rechtsform einer GbR. Das FA stellte für die Streitjahre 1995 bis 1998 zunächst nach Erklärung und Anforderung von Aufstellungen über die Auftritte gewerbliche Einkünfte einheitlich und gesondert fest. Im Rahmen von Außenprüfungen bei Gastwirten stellten die Prüfer fest, dass nicht die Saalwirte, sondern die Saalmieter die Tanzkapellen beauftragten. In der Folgezeit richtete das FA an die von den Prüfern mit Namen und Anschrift erfassten Mieter auf § 93 AO gestützte Auskunftsbegehren hinsichtlich der aufgetretenen Musikkapelle sowie des Entgelts. Es stellte klar, dass die Auskünfte nicht für die Besteuerung der Adressaten benötigt würden. 40 Auskünfte waren der Klägerin zuzuordnen. Danach hatte die Klägerin entweder Auftritte überhaupt nicht oder nur mit geringeren Beträgen erklärt. Mangels Mitwirkung, wegen eines vor Beginn ebenfalls eingeleiteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, nahm der Prüfer unter Auswertung des Kontrollmaterials Hinzuschätzungen nebst Unsicherheitszuschlägen von rd. 46.000 DM vor.
Entscheidung
Der BFH hob das ohne ausreichende Feststellungen auf ein umfassendes Verwertungsverbot wegen angeblich rasterfahndungsähnlicher Ermittlungen gestützte Urteil des FG auf und verwies die Sache zur Ermittlung der bislang nicht festgestellten Schätzungsgrundlagen an das FG zurück. Der BFH verneinte eine Fernwirkung evtl. Verwertungsverbote für die im Rahmen der Außenprüfungen bei den Gastwirten möglicherweise rechtswidrig nach § 194 Abs. 3 AO gefertigten Kontrollmitteilungen auf die für sich betrachtet als rechtmäßig beurteilten Auskunftsbegehren an die Saalmieter und die auf den Auskünften beruhenden Schätzungen des Prüfers. Der BFH verneinte insbesondere ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot wegen Verletzung des aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Auskünfte betreffen zudem nicht eine erhöht schutzwürdige Privatsphäre. Vielmehr ist die Klägerin typischerweise erwerbswirtschaftlich und damit marktoffen tätig geworden. Das Recht auf Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechts sei dem verfassungsrechtlichen Gebot einer gleich- und gesetzmäßigen Besteuerung gegenüberzustellen. Die Klägerin sei trotz des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens im Besteuerungsverfahren weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet, denn Besteuerungs- und Strafverfahren stünden nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander.
Hinweis
1. Die Entscheidung befasst sich erstmals mit der in der Rechtsprechung des BFH bislang nicht entschiedenen Rechtsfrage, ob Verwertungsverbote im Besteuerungsverfahren eine Fernwirkung in der Weise entfalten, dass isoliert betrachtet spätere rechtmäßig genutzte Beweismittel auch dann unverwertbar sind, wenn ihr Einsatz auf vorangegangenen, möglicherweise einem Verwertungsverbot unterliegenden Beweiserhebungen beruht.
2. Der BFH schließt sich nunmehr der auch im Schrifttum überwiegend befürworteten differenzierenden, auch im Strafprozess vom BGH vertretenen Lösung an. Danach dürfen aufgrund qualifizierter Grundrechtsverstöße oder in strafbarer Weise von den Finanzbehörden erlangte Erkenntnismittel – isoliert betrachtet rechtmäßig eingesetzte Beweismittel – nicht verwertet werden. Andernfalls könnten die zur Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Positionen notwendigen Verwertungsverbote ausgehöhlt werden. Liegen keine derartigen qualifizierten grundrechtsrelevanten Verfahrensverstöße vor, so bleiben Ermittlungsergebnisse, die gleichzeitig oder im Nachhinein aufgrund einer als solcher rechtmäßigen Aufklärungsmaßnahme und in Form eines selbstständigen Erkenntnismittels gewonnen oder bes...