Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist bei nachträglicher Option zur Umsatzsteuerpflicht – Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung bei Erzielung steuerfreier Umsätze
Leitsatz (redaktionell)
Bei der nachträglichen Option zur Umsatzsteuerpflicht wird die Festsetzungsfrist durch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verlängert, da auch ein Unternehmer, der vor Ausübung der Option lediglich steuerfreie Umsätze erzielt, nach § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG grundsätzlich zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet ist.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; UStG § 4 Nr. 12 Buch. a S. 1, §§ 9, 18 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Der Kläger betreibt seit März 2013 als Einzelunternehmer ein Eiscafé. Die Räume des Eiscafés befinden sich im Erdgeschoss des Objekts Straße in I.
Unter der gleichen Anschrift hatte zuvor sein Vater, GG (künftig als GG bezeichnet), ein Eiscafé betrieben. Die hierfür benötigten Räumlichkeiten hatten die Eltern des Klägers, GG und RG (künftig als RG bezeichnet), gemeinsam von Herrn V (künftig als V bezeichnet) angemietet. Laut dem (undatierten) Gewerbemietvertrag mit der Nr. 316/202 hatte das Mietverhältnis am 1.11.2008 begonnen und sollte am 31.7.2018 enden. Nach diesem Zeitraum sollte sich die Mietdauer, sofern nicht eine Partei unter Einhaltung einer bestimmten Frist widersprechen würde, jeweils um ein Jahr verlängern. In dem Mietvertrag war eine Gesamtmiete von 3.760,20 EUR zzgl. 714,44 EUR Umsatzsteuer pro Monat vereinbart worden. Als Nutzungszweck war ausschließlich der Betrieb eines Eiscafés vorgesehen.
Am 18.3.2018* (*Tatbestandsberichtigung, s. Ende des Entscheidungstextes). übernahm der Kläger das Eiscafé von GG und führte dieses unter Beibehaltung des Firmennamens „Eiscafé F“ fort. Am selben Tag wurde zwischen den Mietvertragsparteien und dem Kläger eine „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag vom 7.10.2008“ mit folgendem (auszugsweise wiedergegebenen) Inhalt getroffen:
Punkt 1: Mit sofortiger Wirkung wird Herr MG, Straße, 00000 I mit allen Rechten und Pflichten in den oben genannten Mietvertrag aufgenommen. Herrn MG ist der Mietvertrag bekannt.
Punkt 2: In allen anderen Vertragspunkten bleibt der oben genannte Mietvertrag rechtswirksam. Sollte irgendeine Bestimmung aus diesem Vertrag rechtsunwirksam sein, so berührt dies nicht die Wirksamkeit des übrigen Vertrages.
Die Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag wurde nach den eigenen Angaben des Klägers geschlossen, um eine Mieterhöhung zu vermeiden. Die Miete wurde in den Jahren 2013 bis 2018 ausschließlich vom Kläger an den V entrichtet.
Am 31.8.2018 wurde ein neuer Mitvertrag zwischen dem Kläger und V geschlossen, an dem die Eltern des Klägers nicht mehr beteiligt waren.
Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) schloss mit Bericht vom 8.3.2017 eine Betriebsprüfung (BP) beim Kläger ab, die die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2015 betraf. Wegen der Einzelheiten der getroffenen Feststellungen wird auf diesen Bericht Bezug genommen. U.a. ging das FA davon aus, dass der Kläger in Bezug auf die Anmietung der Räumlichkeiten in der Straße lediglich ein Drittel der für die einzelnen Streitjahre in Rechnung gestellten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen könne, da die Vermietungsleistung nur in diesem Umfang an ihn, im Übrigen aber an GG und RG ausgeführt worden sei (vgl. Tz. 2.2 des BP-Berichts).
Hiergegen wandte sich der Kläger zunächst mit dem Einspruch und dann in Bezug auf das Jahr 2013 mit der Klage. Das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 5 K 2204/17 wurde durch eine Verständigung mit anschließender Hauptsacheerledigung abgeschlossen. Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs aus dem Mietvertrag erachtete der seinerzeit zuständige Berichterstatter die Klage als unbegründet, da er die Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag als Beitritt zu einem bestehenden Mietvertrag und nicht, wie vom Kläger geltend gemacht, als Übernahme des Vertrags würdigte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 16.5.2019 Bezug genommen.
Im Anschluss an das Verfahren 5 K 2204/17 U optierten die Eltern des Klägers in Bezug auf eine Untervermietung ihres Bruchteils aus der Anmietung der Räumlichkeiten im Objekt Straße zur Umsatzsteuer, und zwar rückwirkend für den Zeitraum vom 18.3.2013 bis zum 31.8.2018. Für diese Jahre gaben sie Umsatzsteuererklärungen ab, in denen sie entsprechend steuerpflichtige Umsätze erklärten. Sie stellten zudem am 30.5.2019 jeweils Rechnungen mit offenem Steuerausweis und folgendem Inhalt aus, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird: „Gem. beiliegenden Anlagen berechne ich Ihnen für die Jahre 2013 bis 2018 meinen 1/3 Bruchteil aus der Anmietung ihres Geschäftslokals weiter. Eine Zahlung muss nicht erfolgen, weil sie bereits im abgekürzten Zahlungsweg unmittelbar an den Eigentümer geleistet haben“. In der Anlage wurde die Umsatzsteuer für die Jahre 2013 bis 2018 in der nachfolgend aufgeführten Höhe ausgewiesen (Beträge in EUR):