Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/DBA-Frankreich: Vorrang des Kassenstaatsprinzips für das Ruhegehalt einer pensionierten französischen Lehrerin mit Ansässigkeit in Deutschland
Leitsatz (redaktionell)
1. Aktive Bezüge und Ruhegehälter aus öffentlichen Kassen können nach dem Kassenstaatsprinzip gemäß Art. 14 Abs. 1 DBA Frankreich grundsätzlich nur in dem Staat, der diese Vergütung zahlt (Kassenstaat), besteuert werden. Diese speziellere Regelung geht Art. 13 Abs. 8 DBA Frankreich in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung, wonach das ausschließliche Besteuerungsrecht für Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung dem Ansässigkeitsstaat zugewiesen wird, vor.
2. In Deutschland nicht steuerpflichtige Bezüge aus der französischen Rentenkasse unterliegen gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) Satz 2 DBA Frankreich, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt.
Normenkette
EStG § 22 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 a) aa), § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3; DBA FRA Art. 13 Abs. 8, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) S. 2; EStG § 19
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger haben ihren Wohnsitz in Deutschland und werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist französische Staatsangehörige. Sie erhielt im Streitjahr als pensionierte Lehrerin im staatlichen französischen Schuldienst Zahlungen aus der französischen Rentenkasse für Staatsbedienstete „Régime des pensions civiles et militaires”) i.H.v. 13.031 €. Diese in Frankreich besteuerten Leistungen bezieht sie seit 1984.
Der Beklagte behandelte die Zahlungen im Einkommensteuerbescheid 2017 vom 06.11.2018 zunächst – anders als in den Vorjahren – als in Deutschland steuerpflichtige sonstige Einkünfte mit einem zu versteuernden Ertragsanteil von 50 %.
Hiergegen legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und begehrten eine Berücksichtigung der Zahlungen wie in den Vorjahren als steuerfreie, nur dem Progressionsvorbehalt unterfallende Einkünfte.
Nach weiterer Erörterung kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass das Besteuerungsrecht nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen vom 21.07.1959 in der Fassung des Streitjahres (DBA Frankreich) bei Frankreich liege.
In einem internen Vermerk vom 05.12.2018 des Hauptsachgebiets Außensteuer in der Einkommensteuerakte 2017 des Beklagten heißt es hierzu:
„Die Steuerpflichtige hat Recht, dass es ein französisches Besteuerungsrecht gibt, wenn die Rente/Pension aus öffentlichen Kassen stammt, allerdings nur, wenn die Empfängerin die französische Staatsangehörigkeit besitzt (siehe Artikel 14 Abs. 1 S. 2 des DBA). Daher ist sowohl ein Nachweis der französischen Staatsangehörigkeit als auch ein Nachweis erforderlich, von welcher Stelle sie die Rente/Pension erhält. Der französische Steuerbescheid ist nicht ausreichend, weil nicht auszuschließen ist, dass Frankreich zu Unrecht besteuert hat (…).”
Nach Vorlage der aufgrund des vorgenannten Vermerks von der Klägerin angeforderten Nachweise erließt der Beklagte am 12.02.2019 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid. Der Beklagte ging nunmehr zwar von der Steuerfreiheit der Bezüge aus, vertrat jedoch die Auffassung, dass sie mit beamtenrechtlichen Versorgungsbezügen vergleichbar und daher in voller Höhe von 13.031 € bei der Ermittlung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) einzubeziehen seien.
Hiergegen wandten sich die Kläger erneut und beantragten eine Berücksichtigung der Bezüge als steuerfreie, nur dem Progressionsvorbehalt unterliegende sonstige Einkünfte mit einem Ertragsanteil von 50 %.
Der Beklagte blieb bei seiner Rechtsauffassung, reduzierte die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte im nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einspruchsbescheid vom 08.08.2019 jedoch auf 9.029 €. Die Reduzierung resultierte aus dem Abzug des Versorgungsfreibetrags nebst Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag und der Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrags.
Mit Einspruchsentscheidung vom 12.11.2019 wies der Beklagte den verbliebenen Einspruch als unbegründet zurück.
Die Zahlungen aus der französischen öffentlichen Kasse seien in zutreffender Höhe dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Einkommensteuergesetz in der Fassung des Streitjahres (EStG) unterworfen worden.
Bei den Zahlungen handele es sich um ein Ruhegeld aus früheren Dienstleistungen der Ehefrau als Lehrerin und somit um Versorgungsbezüge i.S.d. § 19 EStG.
Hiergegen haben die Kläger am 11.12.2019 Klage erhoben und diese wie folgt begründet:
Die Behandlung der Zahlungen wie deutsche Versorgungsbezüge sei nicht zutreffend, da es in Frankreich keine den deutschen Beamten vergleichbare Beschäftigte gebe. Der französische Beamte leiste wie jeder andere abhängig Beschäftigte für seine Ruhestandsversorgung Pflichtbeiträge, die von seinem Gehalt abgezogen würden. Da in Frankreich sämtliche Arbeitnehmer – anders als Beamte in Deutschland – in die französischen Rentensysteme ...