Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite einer Verwendungserlaubnis und einer Sondervergällungsmittelzulassung. Aussetzung des Klageverfahrens im Hinblick auf ein bei der beklagten Behörde anhängiges Billigkeitsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erlaubnis zum Bezug vergällten Alkohols zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, umfasst auch die Herstellung eines zur Reinigung der Abfüllanlage verwendeten Desinfektionsmittels.
2. Die Verwendung eines erlaubnisgemäß hergestellten Handdesinfektionsmittels zur Reinigung der Abfüllanlage ist nicht zweckwidrig.
3. Hat die beklagte Behörde gegenüber dem FG angekündigt, die Bearbeitung des Billigkeitsantrags zurückzustellen, bis die im Klageverfahren streitige Rechtsfrage abschließend geklärt sei, ist es bei Abwägung der prozessökonomischen Gesichtspunkte und der Interessen der Beteiligten weder sinnvoll noch geboten, das Klageverfahren auszusetzen und den Abschluss des zurückgestellten Billigkeitsverfahrens abzuwarten.
Normenkette
AlkStG § 28 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 Nr. 3; AlkStV § 54 Abs. 1-2; EWG RL 92/83 Art. 27 Abs. 1 Buchst. b; FGO § 74
Tenor
1. Der Steuerbescheid vom 22. Dezember 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2022 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist ein Kosmetikhersteller. Pandemiebedingt sollten 2020 u.a. auch Desinfektionsmittel unter Verwendung von Ethanol hergestellt werden.
Entsprechend ihrem Antrag vom 31. März 2020, in dessen beigefügter Betriebserklärung als Verwendungszweck die Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, angegeben war, wurde der Klägerin am 1. April 2020 die Erlaubnis (Erlaubnisschein Nr. RVv 5/2020) zum Bezug von vergälltem Alkohol zur steuerfreien Verwendung zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, erteilt. Als Vergällungsmittel wurde 5,2 kg Triethylcitrat auf 100 Liter reinen Alkohol zugelassen. Die Erlaubnis enthielt die Maßgabe, dass der so vergällte Alkohol nur zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels verwendet werden dürfe.
Nachdem die Klägerin mit Lavendelöl vergällten Alkohol verwenden wollte, um Nagellackentferner und Händedesinfektionsmittel herzustellen, erhielt sie am 4. September 2020 eine geänderte Erlaubnis, mit der 0,35 kg Lavendelöl KBA auf 100 Liter reinen Alkohol (nur zur Herstellung von kosmetischen Mitteln und eines Händedesinfektionsmittels) als zusätzliches Vergällungsmittel zugelassen wurde.
Die Klägerin bezog unversteuertes Ethanol teilweise vergällt mit Lavendelöl KBA und teilweise vergällt mit Triethylcitrat.
Das mit Triethylcitrat vergällte Ethanol verwendete sie in 2020 zum großen Teil zur Herstellung von Desinfektionsmitteln durch Zugabe von Wasser im Mischungsverhältnis 80: 20.
Allerdings mischte sie in 2020 auch 1.620 l mit Triethylcitrat vergälltes Ethanol (entspricht einer Alkoholmenge von 1.475,07 lA) – ohne ein exaktes Mischungsverhältnis zu beachten – mit destilliertem Wasser, um mit diesem Gemisch ihre Abfüllanlage zu desinfizieren. Auch hierbei handelte es sich um ein wirksames, zur Händedesinfektion sowie zur Flächendesinfektion geeignetes Biozidprodukt. Nach einer Spülung der Abfüllanlage mit Leitungswasser reinigte sie diese mit dem Gemisch aus ca. 70 – 80 % Alkohol und 20 – 30 % Wasser nach jedem Abfüllvorgang von Nagellackentferner oder sonstigen Produkten (nicht nach der Produktion von Desinfektionsmitteln). Wenn kein unvermischtes, mit Triethylcitrat vergälltes Ethanol verfügbar war, benutzte die Klägerin auch das ursprünglich zum Verkauf bestimmte, nach Rezeptur angemischte Desinfektionsmittel zur Desinfizierung der Abfüllanlage.
Die Klägerin dokumentierte die verwendeten Alkoholmengen unter Rückrechnung der Produkte aus ihren Verkaufsprozessen.
Erst am 8. Dezember 2021 erhielt die Klägerin die Erlaubnis zum Bezug von vergälltem Alkohol zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, und zu Heiz- und Reinigungszwecken. Als Vergällungsmittel war Trietylhlcitrat zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels und zu Reinigungszwecken zugelassen. Weitere Aufzeichnungspflichten oder Auflagen waren nicht vorgesehen.
Aufgrund einer am 14. Dezember 2021 durchgeführten Steueraufsichtsmaßnahme bei der Klägerin stellte der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA –) fest, dass die Klägerin Ethanol zur Reinigung verwendet habe, und setzte ausgehend von 1.475,07 lA mit Bescheid vom 22. Dezember 2021 für 2020 Alkoholsteuer i.H.v. 19.220,16 EUR fest, da nach seiner Auffassung die Erlaubnis diesen Verwendungszweck nicht umfasste.
Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2022 wurde der dagegen eingelegte Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Üb...