Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsbefugnis bei fehlerhafter Berücksichtigung korrekter, elektronisch übermittelter Daten nach § 175b AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Änderungsbefugnis gemäß § 175b Abs. 1 AO ist auch gegeben, wenn die elektronisch übermittelten Daten (hier: vom Arbeitgeber gemäß § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG übermittelte elektronische Lohnsteuerbescheinigung) korrekt waren und die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides auf einen Fehler der Finanzverwaltung zurückzuführen ist, der wahrscheinlich ebenso bei Vorlage einer Bescheinigung in Papierform aufgetreten wäre. Insoweit ist keine den Wortlaut einschränkende teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 175b Abs. 1 AO geboten.

2. Für die Anwendbarkeit des § 175b AO ist es unerheblich, worauf die unzutreffende Auswertung elektronisch übermittelter Daten beruhte, insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Besteuerungsgrundlagen korrekt erklärt hat.

 

Normenkette

AO § 175b Abs. 1; EStG § 41b Abs. 1 S. 2; AO § 93c

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob der Antragsgegner zur Änderung des Einkommensteuerbescheides 2018 nach § 175b Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) berechtigt war.

Die Antragsteller sind Eheleute, die nach §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Veranlagungszeitraum 2018 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.

Zur Steuernummer des Antragstellers wurden dem Antragsgegner durch den Arbeitgeber des Antragstellers am 23.01.2019 zwei Datensätze (elektronische Lohnsteuerbescheinigungen) übermittelt, die unter anderem die folgenden Angaben enthielten:

In Rahmen der Einkommensteuererklärung erklärten die Antragsteller in der Anlage N des Antragstellers einen Bruttoarbeitslohn i. H. v. 25.303 EUR (Kennzahl 47/110) und i. H. v. 2.273 EUR (Kennzahl 47/111) sowie „Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre – gegebenenfalls laut Nummer 19 der Lohnsteuerbescheinigung – vom Arbeitgeber nicht ermäßigt besteuert” i. H. v. 9.000 EUR (Kennzahl 47/165). Auf Aufforderung der Veranlagungsstelle des Antragsgegners legten die Antragsteller eine Abschrift des Protokolls einer Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht P-Stadt vom 19.04.2018 vor, aus dem ein zwischen dem Antragsteller und seinem Arbeitgeber geschlossener Vergleich hervorgeht. Das Arbeitsverhältnis des Antragstellers war mit Wirkung zum 31.08.2018 gekündigt worden, für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt er eine Abfindung i. H. v. 9.000 EUR brutto.

Im Einkommensteuerbescheid 2018 vom 25.09.2019 berücksichtigte der Antragsgegner (erklärungsgemäß) einen Bruttoarbeitslohn des Antragstellers i. H. v. 27.576 EUR (rechnerisch: 34.303,16 EUR + 2.273,01 EUR ./. 9.000 EUR). Von dem so ermittelten zu versteuernden Einkommen i. H. v. 46.003 EUR wurden 37.254 EUR nach dem Splittingtarif und (unter Berücksichtigung der Entschädigung zuzurechnender Werbungskosten i. H. v. 251 EUR) 8.749 EUR nach § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert. Der im Rahmen der Veranlagung seitens des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung ergangene Hinweis, dass die Daten der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung von den erklärten Werten abweichen würden und um Prüfung gebeten werde, wurde von der Sachbearbeiterin mit einem handschriftlichen Vermerk „Abfindungsvertrag liegt vor. Geprüft.” abgezeichnet.

Im Mai 2021 wurde der Antragsgegner verwaltungsintern darauf hingewiesen, dass die ermäßigt besteuerten Entschädigungen i. S. d. § 34 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2017 in Kennzahl 47/165 einzutragen seien. Diese Entschädigungen seien – wie in Ziffer 19 der Lohnsteuerbescheinigung beschrieben – im Bruttoarbeitslohn und daher auch im Betrag zur Kennzahl 47/110 enthalten. Da der Antragsgegner im Streitfall die Entschädigung ausschließlich in Kennzahl 47/165 und nicht auch in Kennzahl 47/110 berücksichtigt habe, sei die Entschädigung im Ergebnis der Besteuerung entzogen worden.

Der Antragsgegner erließ daraufhin am 20.05.2021 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2018, in welchem er einen Bruttoarbeitslohn des Antragstellers i. H. v. 36.576 EUR berücksichtigte. Von dem zu versteuernden Einkommen i. H. v. 55.003 EUR wurde ein Betrag i. H. v. 8.749 EUR ermäßigt besteuert. Auf Seite 1 des Änderungsbescheides heißt es unter „Art der Festsetzung”, dass der Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert worden sei. Im Erläuterungstext wies der Antragsgegner darauf hin, dass die übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen einen Bruttoarbeitslohn i. H. v. 36.576 EUR ausweisen würden und die Entschädigungszahlung, indem sie bisher ausschließlich als Entschädigung und nicht auch beim Bruttoarbeitslohn berücksichtigt worden sei, der Besteuerung entzogen worden sei. Der Bescheid vom 17.09.2019 (sic) werde gem. § 175b AO geändert. Dieser Bescheid ändere den Bescheid vom 25.09.2019.

Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren machten die Antragsteller geltend, dass keine Änderungsbefugnis nach §§ 165 AO, 173 AO und 129 AO bestanden habe. Auch § 175b AO sei nicht...

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