Entscheidungsstichwort (Thema)
Formunwirksamkeit einer per Post oder per Telefax von einem Rechtsanwalt eingereichten Klage
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Rechtsanwalt muss seit dem 1.1.2022 ein besonderes elektronisches Postfach (beA) unterhalten und nutzen.
2. Wenn ein Rechtsanwalt als vertretungsberechtigter Prozessbevollmächtigter im finanzgerichtlichen Verfahren eine Klage oder vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen oder schriftlich sonst einzureichende Anträge und Erklärungen bei Gericht einreicht, müssen diese in elektronischer Form übermittelt werden.
3. Ein per Post oder per Telefax übermittelter Antrag gilt als nicht vorgenommen.
4. Wenn eine Übermittlung per beA nicht funktioniert hat, weil sich eine neue beA-Karte aus technischen Gründen nicht rechtzeitig einrichten ließ, ist der Kläger gehalten, dies unverzüglich vorzutragen und glaubhaft zu machen. Ein Zeitraum von mehr als zwei Wochen nach ursprünglicher Klageerhebung kann ohne den Vortrag besonderer Umstände nicht als unverzüglich angenommen werden.
Normenkette
AO § 108; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2; FGO §§ 52a, 52d, 56; AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Am 14.08.2022 (00:17 Uhr) erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt (im Folgenden Klägervertreter), per Telefax Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 sowie die Gewerbesteuermessbescheide 2014 und 2015 vom 04.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.07.2022. Die Klage ging zusätzlich/nochmal per Post am 15.08.2022 beim Finanzgericht ein. Beide Klagen waren eigenhändig unterschrieben.
Mit Verfügung vom 15.08.2022, an den Klägervertreter per Telefax und per beA übermittelt, wies der Berichterstatter auf die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung nach § 52d Finanzgerichtsordnung (FGO) hin (Bl. 115 der Gerichtsakte).
Mit Gerichtsbescheid vom 24.08.2022, dem Klägervertreter mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 27.08.2022 und zugleich per beA übermittelt, hat der Berichterstatter die Klage wegen der Nichteinhaltung der Formvoraussetzungen des § 52d i.V.m. § 52a FGO als unzulässig abgewiesen.
Im Telefonat vom 02.09.2018 (10:18 Uhr) teilte der Klägervertreter der Geschäftsstelle des 9. Senates (…) mit, dass er Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid einlegen werde. Allerdings lasse sich das Rechtsmittel nicht per beA übersenden. Andere Schreiben könne er wohl per beA übersenden, dieses Schreiben speziell bleibe aber immer im Postausgang hängen. Er werde dem Gericht das Rechtsmittel nun per Post übersenden. Sollte etwas gegen die Vorgehensweise sprechen, bitte er um Mitteilung (Telefonvermerk vom 02.09.2022, Bl. 155 der Gerichtsakte).
Der Berichterstatter erteilte dem Kläger daraufhin mit Verfügung vom 03.09.2022 schriftlich folgenden Hinweis (Bl. 156 der Gerichtsakte):
„In dem o.g. Rechtsstreit weise ich – bezugnehmend auf Ihr Telefonat vom 02.09.2022 um 10:18 Uhr mit … (Serviceeinheit des 9. Senats) – darauf hin, dass bei technischen Störungen des beA die Voraussetzungen des § 52d Satz 3 und Satz 4 FGO zu beachten sind. Die technischen Störungen sind glaubhaft zu machen. Sollte die Glaubhaftmachung gelingen, fordere ich Sie bereits jetzt auf, ein elektronisches Dokument jedenfalls nachzureichen § 52d Satz 4 2. Halbs. FGO. Bislang ist eine technische Störung nach Auffassung des Berichterstatters nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels ist aber noch längst nicht abgelaufen, so dass eine fristwahrende formgerechte Einlegung auch noch möglich ist.”
Mit Schriftsatz vom 30.08.2022, per Briefpost eingegangen beim Finanzgericht am 05.09.2022, beantragt der Klägervertreter, die Klage zu „genehmigen” bzw. „für zulässig zu erklären”. In der Zeit von Juni bis Ende August habe er technische Probleme bei der Einrichtung des elektronischen Postfachs gehabt. Trotz mehrerer Versuche und Hinzuziehung des entsprechenden IT-Fachpersonals seien diese Probleme bis vor ein paar Tagen nicht behoben worden. Während dieses Zeitraums sei es nicht möglich gewesen, die Klage mittels des besonderen Anwaltspostfachs (beA) zu übermitteln. Der Fehler habe bei Komplikationen im Zuge des Umtausches der Karten und des PIN-Codes der neuen Karte gelegen. Dies sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen. Somit sei er zur Einreichung der Klage auf die allgemeinen Vorschriften per Post und per Telefax im Sinne des § 52d FGO angewiesen gewesen. Die Klagefrist habe er auf diesem Wege auch ordnungsgemäß eingehalten. Hilfsweise beantragt er, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Seinem Schriftsatz fügte er sog. „Screenshots” aus dem beA-Postfach bei, wonach es am 30.08.2022 (14:04 Uhr) und am 01.09.2022 (15:16 Uhr) zu fehlerhaften Übermittlungen unter dem Aktenzeichen „9 K 1967/22 E, G” Betreff „E. L.” an das Finanzgericht Münster gekommen war. Weiter fügte er eine schriftliche Erklärung des Herrn F. T. bei, dass es im Zeitraum von Juni bis Ende August eine Übermittlung mit dem elektronischen Anwaltspostfach in der K...