a) Widerstreitende Steuerfestsetzungen in Kaskadenfällen
Rz. 83
Anwendungsbereich der §§ 174 Abs. 1, 3 AO. Sollte es in Kaskadenfällen entgegen § 4j Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. EStG zur mehrfachen Versagung des Betriebsausgabenabzugs kommen, indem mehrere in diesem Kontext involvierte Finanzbehörden den Betriebsausgabenabzug versagen, sollte der Tatbestand des § 174 Abs. 1 AO eröffnet und damit grundsätzlich Korrekturspielraum betreffend der in diesen Kontext ergangenen Steuerbescheide bestehen. Für den umgekehrten Fall, dass die insoweit involvierten Finanzbehörden davon ausgegangen sind, dass die jeweils andere Finanzbehörde den Betriebsausgabenabzug versagt, sollte der Tatbestand des § 174 Abs. 3 AO Raum für entsprechenden Korrekturspielraum eröffnen.
b) Rückwirkendes Ereignis
Rz. 84
Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Fraglich ist, welche verfahrensrechtlichen Auswirkungen eine nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 4j EStG durch das BVerfG hätte. Konkret stellt sich die Frage, ob hierin ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu sehen ist, so dass (auch) hierauf basierende Steuerbescheide grundsätzlich zu ändern wären. Dies ist nicht der Fall. So wirkt nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Nichtigkeitserklärung oder Unvereinbarkeitserklärung von Steuergesetzen durch das BVerfG nicht zurück, da nach § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht mehr anfechtbare Bescheide unberührt bleiben. Gegenteiliges würde die Bestandskraft weitgehend aushöhlen und auch den Bestandskraftgrundsätzen des Verwaltungsrechts zuwiderlaufen.
Rz. 85
Auswirkungen der Qualifikation des § 4j EStG als unzulässige Beihilfe. Entsprechendes gilt nach Auffassung des BFH für Entscheidungen des EuGH. Sollte § 4j EStG vom EuGH also nachträglich als europarechtswidrig erklärt bzw. als unzulässige Beihilfe eingeordnet werden, wäre (auch) hierin kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu sehen.
c) Feststellung der Nichtigkeit
Rz. 86
Anwendungsbereich des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO. Angesichts der vielfältigen Zweifel an der Verfassungs- und Unionsrechtskonformität des § 4j EStG besteht die Möglichkeit, die unter Zugrundelegung des § 4j EStG ergangenen belastenden Steuerbescheide verfahrensrechtlich offen zu halten. In Betracht kommt insoweit ein Antrag auf vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO. Hintergrund hierfür ist, dass ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nur aufgrund von Korrekturnormen geändert werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerbescheid aufgrund einer Norm erlassen worden ist, deren Verfassungswidrigkeit nachträglich durch das BVerfG festgestellt wird. Denn auch wenn der Steuerbescheid insoweit rechtswidrig geworden ist, ist dieser nicht nichtig i.S.d. § 125 AO; der Steuerbescheid entfaltet also weiterhin Rechtswirkungen. Auf die insoweit maßgebliche Korrekturnorm des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. 2 AO kann sich der Steuerpflichtige dabei nur stützen, wenn der Steuerbescheid im Rechtsbehelfsverfahren offengehalten worden ist. Daneben besteht die Möglichkeit zur Einlegung eines Einspruchs i.S.d. §§ 347 ff. AO gegen den auf § 4j EStG beruhenden Steuerbescheid.
Rz. 87
frei