Rz. 31
Allgemeines. Im Regelfall schließt Deutschland mit typischen Niedrigsteuerstaaten i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 1 keine DBA. Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, wie die DBA mit der Schweiz, Singapur, Liechtenstein und (mit einem auf bestimmte Einkunftsarten beschränkten Geltungsbereich) Jersey zeigen, und die Zahl der Ausnahmen scheint tendenziell zu steigen. Darüber hinaus können Staaten, mit denen ein DBA besteht, aufgrund § 2 Abs. 2 Nr. 2 als Niedrigsteuergebiete in Betracht kommen.
Rz. 32
Begrenzung der erweitert beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte durch DBA. Im Grundsatz gelten im Verhältnis zu den DBA keine Besonderheiten: Auch im Rahmen der erweiterten beschränkten Steuerpflicht sind die Schranken zu beachten, welche die Vorschriften der DBA der deutschen Besteuerung setzen. Diese Schranken wirken einkunftsartbezogen; die früher teilweise vertretene Auffassung, es bedürfe zur Anwendung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht im Abkommensfall ihrer ausdrücklichen Zulassung im DBA, ist überholt. Bei der Anwendung des § 2 muss vielmehr für jeden Steuertatbestand untersucht werden, ob die erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht durch die Vorschriften des DBA begrenzt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Deutschland als Quellenstaat zugunsten des Ansässigkeitsstaats auf den Steuerzugriff verzichtet; ist der deutsche Quellenzugriff der Höhe nach durch das DBA begrenzt, gilt dies auch im Rahmen des § 2. In der Praxis kommt daher § 2 bei Umzug in einen DBA-Staat nur in eingeschränktem Umfang zur Geltung.
Rz. 33
Begrenzung des Progressionsvorbehalts (§ 2 Abs. 5 Satz 1) durch DBA. Neben der Begrenzung der erweitert beschränkten Steuerpflicht hinsichtlich einzelner Einkünfte stellt sich bei der Abkommensanwendung allgemein das Problem, ob der in § 2 Abs. 5 Satz 1 angeordnete Progressionsvorbehalt durch ein DBA in der Weise eingeschränkt wird, dass Deutschland die dem Ansässigkeitsstaat zugewiesenen Einkünfte nicht zur Ermittlung des Steuertarifs berücksichtigen darf. Diese Frage ist umstritten. Der BFH vertritt entgegen früherer Rspr. nunmehr die Auffassung, dass ein ausdrücklicher Progressionsvorbehalt im Abkommenstext nur deklaratorische Bedeutung habe, so dass sein Fehlen die innerstaatlich angeordnete Anwendung eines solchen Vorbehalts nicht einschränkt. Die Gegenmeinung hält die Verteilungsnormen der DBA insoweit für abschließend, als eine Zuweisung der Besteuerungsbefugnisse an den Quellenstaat – vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung – einen Progressionsvorbehalt ausschließt. Als Argument dient der Vergleich mit dem in allen deutschen DBA enthaltenen ausdrücklichen Progressionsvorbehalt zugunsten des Ansässigkeitsstaates (vgl. Art. 23A Abs. 3 OECD-MA).
Rz. 34
Eigene Auffassung. Die Entscheidung dieser Frage hängt naturgemäß in erster Linie vom einschlägigen DBA ab. Eine ausdrückliche Regelung besteht allerdings regelmäßig nur dort, wo das DBA das Besteuerungsrecht des Quellenstaats der Höhe nach begrenzt (z.B. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA). Eine höhere Besteuerung dieser Einkünfte aufgrund eines im nationalen Recht des Quellenstaats enthaltenen Progressionsvorbehalts wäre abkommenswidrig. Für viele Einkommensarten fehlt dem Abkommenstext jedoch eine ausdrückliche Regelung, so dass die Interpretationskunst des Rechtsanwenders gefragt ist: Folgt aus dem Progressionsvorbehalt zugunsten des Wohnsitzstaats im Wege eines argumentum e contrario, dass die Verteilungsnormen zugunsten des Quellenstaats, denen es an einer entsprechende Regelung mangelt, abschließend sind und einen innerstaatlichen Progressionsvorbehalt ausschließen? Dies ist zu verneinen, weil nach richtiger Auffassung einem Progressionsvorbehalt tatsächlich keine konstitutive Wirkung in der Weise zukommt, dass ohne eine solche Abkommensregelung die Einbeziehung freigestellter Einkommensteile zur Tarifbestimmung verboten wäre. Der Sinn und Zweck des DBA besteht darin, Doppelbesteuerung zu vermeiden. Dasselbe Steuergut soll nicht durch mehrere Abgabengläubiger belastet werden, weshalb das DBA für jedes Steuergut eine eindeutige Zuordnung zu treffen sucht. Über die Höhe der vom jeweiligen Abgabengläubiger auferlegten Belastung wird damit keine Aussage getroffen, schon gar nicht über die Summe der Belastungen. Nähere Maßgaben hierzu lassen sich auch nicht aus dem Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ableiten. Denn dieses Prinzip ist dogmengeschichtlich mit der Idee der geschlossenen Volkswirtschaft verknüpft und daher für Fragen der gerechten Verteilung von Steuergüter auf verschiedene Steuerhoheiten ohne Aussagekraft. Aussagen zu den Belastungswirkungen treffen die DBA grundsätzlich dort, wo die Doppelbesteuerung gerade durch Steuerermäßigung (Anrechnungsmethode) statt durch (sachliche) Steuerbefreiung (Freistellungsmethode) vermieden wird. So ist die Begrenzung der Anrechnung auf einen Höchstbetrag (Ar...