Rz. 53
Main-Benefit-Test. Damit eine grenzüberschreitende Steuergestaltung, die (mindestens) ein Kennzeichen nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO erfüllt, mitteilungspflichtig ist, ist erforderlich, dass "der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile die Erlangung eines steuerlichen Vorteils im Sinne des Absatzes 3 ist". Es handelt sich hierbei um den sog. Main-Benefit-Test gem. den EU-Vorgaben bzw. den sog. Relevanztest. Was unter einem Steuervorteil i.S.d. Vorschrift zu verstehen ist, ist in § 138d Abs. 3 AO definiert (s. Rz. 81 ff.). Unklar ist, wann ein Steuervorteil den einzigen oder einen von mehreren Hauptvorteilen einer Gestaltung darstellt. Um diese Frage zu beantworten, ist zum einen bedeutsam, ob es sich insoweit um ein objektives oder ein subjektives Kriterium handelt. Zum anderen ist zu klären, wann überhaupt von einem Hauptvorteil auszugehen ist. Das Merkmal des Main-Benefit-Tests ist in hohem Maße unsicher und auslegungsbedürftig.
Rz. 54
Sicht des verständigen Dritten maßgeblich. Nach der Gesetzesbegründung soll es bei der Beurteilung des Main-Benefit-Test auf die Sicht eines verständigen Dritten unter Berücksichtigung aller wesentlichen Fakten und Umstände ankommen, ob der zu erwartende Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile der Gestaltung die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist. Demnach ist die individuelle, subjektive Perspektive des jeweiligen Nutzers oder Intermediärs unmaßgeblich. Dies läuft auf eine objektivierte Sichtweise hinaus, was wohl den Main-Benefit-Test i.S.d. intersubjektiven Nachprüfbarkeit aus Finanzverwaltungssicht handhabbar machen soll. Gleichwohl bringt auch diese vermeintliche Konkretisierung weitere Unklarheiten mit sich. So stellt sich insbesondere die Frage, über welchen Kenntnisstand der verständige Dritte verfügen soll, d.h., ob der verständige Dritte die Gestaltung in ihrer Gesamtheit kennen und damit bspw. auch die erwarteten Auswirkungen in verschiedenen Hoheitsgebieten und Rechtsordnungen vollständig überblicken soll. Dass die Beurteilung "unter Berücksichtigung aller wesentlichen Fakten und Umstände" erfolgen soll, deutet wohl an, dass es auf ein globales Verständnis der Steuergestaltung ankommen soll. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass ein Intermediär häufig nur einen (den von ihm beratenen) Teilausschnitt der Steuergestaltung kennen wird und den Intermediär grundsätzlich keine Ermittlungspflicht bzw. Nachforschungspflicht trifft (s. Rz. 61). Ferner muss auch einem Intermediär (um als solcher gelten zu können) der Schaffensprozess bewusst sein (s. Rz. 6). Dies hat zur Folge, dass auch subjektive Elemente Einzug im Rahmen des Main-Benefit-Tests Berücksichtigung finden müssen.
Rz. 55
Günstige Gesamtauswirkung erforderlich. Damit der Main-Benefit-Test erfüllt ist, soll nach der Gesetzesbegründung "die günstige Auswirkung des steuerlichen Vorteils im Vordergrund stehen." Diese tautologisch anmutende Erläuterung bietet keine Hilfestellung bei der Anwendung des Main-Benefit-Tests. Denn wenn ein steuerlicher Vorteil einen bzw. einen von mehreren Hauptvorteilen einer Gestaltung darstellt, wird die Auswirkung des steuerlichen Vorteils wohl immer im Vordergrund stehen. Umgekehrt kann diese Formulierung ("günstige Auswirkung") nicht bedeuten, dass allein auf die steuerlichen Vorteile unter Ausblenden etwaiger steuerlicher Nachteile einer Gestaltung abzustellen ist. Vielmehr sollte ein "Nettobetrachtung" der erwarteten steuerlichen Vor- und Nachteile einer Gestaltung maßgeblich sein. Dies wird durch die Finanzverwaltung ausdrücklich bestätigt, wonach neben etwaigen Steuervorteilen auch die damit im Zusammenhang stehende Steuerbelastungen zu berücksichtigen sind. Dass insoweit eine länderbezogene Sichtweise ausschlaggebend sein soll, d.h. Steuervorteile im einen Staat nicht mit Steuerbelastungen im anderen Staat ausgeglichen werden können sollen, überzeugt nicht und findet keine Grundlage im Gesetzeswortlaut. Gerade die Tatsache, dass gem. § 138d Abs. 3 Satz 2 AO auch die Effekte im Ausland zu berücksichtigen sind (s. Rz. 89), stützt eine länderübergreifende Betrachtungsweise. Eine auf wirtschaftlichen Erwägungen (s. Rz. 85) beruhende Entscheidung wird regelmäßig länderübergreifende Effekte im Blick haben. Im Ergebnis sollte der Main-Benefit-Test nicht erfüllt sein, wenn eine Gestaltung zwar im einen Staat steuerliche Vorteile zur Folge hat, diese aber durch steuerliche Nachteile in einem oder mehreren anderen Staaten ausgeglichen oder sogar überkompensiert werden. Letztlich muss es für die Person, die die Umsetzung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung beschließt, entscheidungserheblich sein, dass (insgesamt und länderübergreifend) steuerliche Vorteile erzielt werden sollen.
Rz. 56
Motivtest und Gegenfrage. Für die Beurteilung des Main-Benefit-Tests muss es auf einen – möglichst objektivierten – Motivtest ankommen. Denn nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist die "Erl...