Rz. 16
Rückwirkende Gesetzesänderung durch AmtshilfeRLUmsG. § 50 i Abs. 1 Satz 1 verhindert nach hier vertretener Auffassung (1.) die Entstrickung von Wirtschaftsgütern und Anteilen i.S. des § 17 EStG, die vor dem 29.6.2013 ohne Besteuerung der stillen Reserven in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 3 bzw. eines Besitzunternehmens i.S. des § 50 i Abs. 1 Satz 4 überführt oder übertragen worden sind, wenn vor dem 1.1.2017 ohne Anwendung von § 50i Abs. 1 das Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt worden wäre (z.B. durch Wegzug des Gesellschafters), und sichert (2.) eine inländische Besteuerung der stillen Reserven im Falle des Verkaufs oder der Entnahme dieser Wirtschaftsgüter bzw. Anteile, wenn die Veräußerung oder Entnahme nach dem 29.6.2013 stattfindet (§ 52 Abs. 48 Satz 1 EStG). Der Tag der Gesetzesverkündung des AmtshilfeRLUmsG (29.6.2013), mit dem § 50 i eingeführt wurde (Anm. 2), markiert damit den zeitlichen Anwendungsbereich von § 50 i Abs. 1 Satz 1. Für die verfassungsrechtliche Prüfung ist neben dem Tag der Gesetzesverkündung auch der Tag der Beschlussfassung im Bundestag (6.6.2013) von Relevanz. Denn nach ständiger Rspr. von BVerfG und BFH kennzeichnet der Gesetzesbeschluss den frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem der Stpfl. nicht mehr in den Fortbestand der geltenden Rechtslage vertrauen darf. Die mit dem BEPS-UmsG I eingefügte Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 50i Abs. 1 Satz 1 auf Sachverhalte, bei denen das deutsche Besteuerungsrecht an den Wirtschaftsgütern und Anteilen vor dem 1.1.2017 – ohne Anwendung von § 50i Abs. 1 – ausgeschlossen oder beschränkt worden wäre, ist am 23.12.2016 – also vor dem 1.1.2017 – im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden, weshalb insoweit keine rückwirkende Gesetzesverschärfung vorliegt.
Rz. 17
Echte Rückwirkung hinsichtlich Verhinderung der Entstrickung. § 50 i Abs. 1 Satz 1 wirkt auf den Entstrickungszeitpunkt dergestalt zurück, dass eine Entstrickung i.S. der allgemeinen Entstrickungsnormen (z.B. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) tatbestandlich nicht verwirklicht wurde bzw. die Entstrickung rückgängig gemacht wird (zum Verhältnis von § 50 i zu den Entstrickungsnormen s. Anm. 49 f., 99). § 50 i Abs. 1 Satz 1 verhindert damit rückwirkend die Verwirklichung der Tatbestände der allgemeinen Entstrickungsnormen (tatbestandliche Rückanknüpfung bzw. unechte Rückwirkung) und somit auch die aus ihnen zu ziehenden belastenden Rechtsfolgen (Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. echte Rückwirkung). Mit Blick auf die Inlandsbesteuerung des konkreten Entstrickungsereignisses (z.B. Wegzug) führt die rückwirkende Anwendung von § 50 i Abs. 1 Satz 2 rechtsfolgenseitig damit zu einer steuerlichen Entlastung, weil die stillen Reserven in den Wirtschaftsgütern bzw. Anteilen nachträglich nicht aufzudecken und zu versteuern sind. Folglich wirkt sich die mit § 50 i Abs. 1 Satz 1 verbundene nachträgliche Rechtsfolgenänderung im Veranlagungszeitraum der Verwirklichung des ursprünglichen Entstrickungsereignisses nicht belastend, sondern entlastend aus, weshalb eine grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung nicht angezeigt ist.
Rz. 18
Unechte Rückwirkung hinsichtlich Sicherung des Besteuerungsrechts. Die durch § 50 i Abs. 1 Satz 1 verhinderte Entstrickung geht jedoch mit belastenden Rechtsfolgen in zukünftigen Veranlagungszeiträumen (ab 2013) einher, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter und Anteile i.S. des § 17 EStG tatsächlich veräußert oder entnommen werden. Im Unterschied zum gesetzlichen Status Quo vor dem 29.6.2013 ist die Veräußerung/Entnahme in Deutschland nicht mehr steuerfrei möglich. Diese belastende Rechtsfolgenänderung für die Jahre ab 2013 hat ihre Ursache in der Schaffung von § 50 i Abs. 1 Satz 1, der zum einen die Entstrickung in Vorjahren dadurch verhindert hat, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen Entstrickungsnormen rückwirkend derogiert wurden, und zum anderen ein Besteuerungsrecht am Veräußerungsgewinn gesichert hat. Die rückwirkende Verhinderung von Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm (hier Entstrickungsvorschriften) kombiniert mit der Begründung eines zukünftigen Besteuerungsrechts (hier durch § 50 i) qualifiziert als Erscheinungsform für eine unechte Rückwirkung i.S. der Dogmatik des BVerfG.
Rz. 19
Besteuerung ursprünglich steuerfrei realisierbarer Wertzuwächse. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist entscheidend, in welchem Umfang der Gesetzgeber bei zutreffender Rechtsanwendung (vor Schaffung von § 50 i EStG) Wertzuwächse in Wirtschaftsgütern und Anteilen hätte besteuern dürfen. Unter Berücksichtigung der BFH-Rspr. (Anm. 10) hätte im Zeitpunkt der Entstrickung der Wirtschaftsgüter und Anteile (z.B. bei Wegzug des Mitunternehmers) eine Besteuerung der stillen Reserven vorgenommen werden müssen. Die im Zeitraum zwischen der Entstrickung und der tatsächlichen Veräußerung/Entnahme entstandenen Wertzuwächse durften im Regel...